Rückblick 2007 ...
Auch wenn im vergangenen Jahr in Deutschland nur wenige Wahlen stattfanden, so gab es eine Reihe wahlrechtlich interessanter Ereignisse – von bemerkenswerten oder absurden Urteilen über Wahlgesetzänderungen bis hin zur ersten Beachtung unserer Bemühungen im Bundestag – an die wir hier noch einmal kurz erinnern wollen, bevor wir wieder einen kurzen Ausblick auf das kommende Jahr 2008 wagen:
„Negatives Stimmgewicht“ vor dem Bundesverfassungsgericht
Den letzten Jahreswechsel verbrachten wir mit dem Sammeln von Unterschriften für die Wahlprüfungsbeschwerden wegen negativer Stimmgewichte bei der Bundestagswahl 2005. Zweihundert Wahlberechtigte traten unseren Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht bei – allen ein Danke für die Unterstützung.
In den Verfahren selbst tat sich erwartungsgemäß wenig. Das Bundesverfassungsgericht gab allen Beteiligten Gelegenheit zur Stellungnahme, die aber diesmal niemand wahrnahm. Die Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts stehen ebenso wie die zu den Wahlprüfungsbeschwerden gegen die Bundestagswahl 2002 aus.
Einsatz von Wahlcomputern
Das Thema Wahlcomputer mobilisiert dagegen stärker. Die drei Wahlprüfungsbeschwerden zu diesem Thema wurden von mehr als 800 Wahlberechtigten unterstützt. Zu Beginn des Verfahrens bat der Berichterstatter des Bundesverfassungsgerichts den Chaos Computer Club (CCC) um dessen Erkenntnisse zur Sicherheit der Geräte. Dieser nahm ausführlich und mit auch für Nichttechniker verständlichen Worten sowie einem klarem Ergebnis Stellung.
Unabhängig davon (aber zufällig kurz danach) waren Wahlcomputer im Rahmen einer Petition auch ein Thema einer öffentlichen Sitzung des Bundestagspetitionsausschusses zu Wahlrechtsfragen. Die Art der Behandlung des Themas durch die Abgeordneten aller Fraktionen ist durchaus positiv bemerkenswert und ist sicherlich auch der umfassenden Berichterstattung über die CCC-Stellungnahme geschuldet.
Während der laufenden Wahlprüfungsverfahren vor dem Bundesverfassungsgericht gab es weitere Wahlen mit Wahlcomputern, so bei Kommunalwahlen in Sachsen-Anhalt, der Landratswahl in Bad Oeynhausen und einer Bürgermeisterwahl in Alsbach-Hähnlein, bei der auch sonst einiges daneben ging. Ebenso wurde ein Bürgerentscheid in Neuss mit Wahlgeräten durchgeführt und bot uns die Gelegenheit zu einer Wahlbeobachtung. Während in den Niederlanden die Wahlgeräte die Zulassung verloren, erteilte das BMI im November neuen und sichereren Geräten eine Zulassung, wobei es teilweise auf die Kritik an der Sicherheit (Funkabstrahlungen – sichere Umgebung – Siegel) einging. Zur kommenden Landtagswahl in Hessen dürfen nur die sichereren Wahlgeräte benutzt werden. Zusätzlich muss vorher eine Probewahl durchgeführt werden.
Digitaler Wahlstift
In Hamburg wird dagegen weiterhin auf Papier gewählt und per Hand gezählt. Ursprünglich war der Einsatz eines digitalen Wahlstifts vorgesehen. Nachdem immer mehr Fragen zum Einsatz des Stiftes auftauchten, halfen wir als Mitveranstalter einer Informationsveranstaltung zum Thema „Wie sicher ist elektronisches Wählen?“ mit anschließender Podiumsdiskussion, auf der der Landeswahlleiter, der Stifthersteller, eine Verfassungsrechtlerin und IT-Experten zu Wort kamen. Im Anschluss an diese Veranstaltung kippte die öffentliche Meinung und nachdem der CCC zwei Angriffszenarien aufzeigte und auch die technischen Experten in einer Anhörung von einem kurzfristigen Einsatz zur Bürgerschaftswahl 2008 abrieten, gab es keinen Konsens mehr für den Stift unter den Bürgerschaftsfraktionen. Dies zeigt, wie wichtig eine vollständige Information der Wähler im Vorfeld einer Wahl ist. Auch die vorgeschriebenen Prüfungen des Wahlstiftes durch die PTB konnten erst am Ende dieses Jahres beendet werden.
Wahlrechtsentscheidungen
Verschiedene Gerichte haben wahlrechtlichen Entscheidungen gefällt:
- In Berlin teilte der Berliner Verfassungsgerichtshof unsere Bedenken gegen die vorläufig durchgeführte Unterverteilungsmethode.
- In Hamburg kippte das Hamburgische Verfassungsgericht die Relevanzschwelle, da das Vorgaukeln eines nicht mehr vorhandenen Einflusses der Wähler auf die personelle Zusammensetzung der Bürgerschaft dem Grundsatz der Normenklarheit widerspricht.
- Der Staatsgerichtshof für das Land Baden-Württemberg in Stuttgart stützte sein Urteil dagegen auf mathematisch falsche Aussagen und setzte absurde Kriterien, so dass selbst noch viel stärker verzerrende Zuteilungsverfahren verfassungsgemäß wären.
- In Bremen soll die Bürgerschaftswahl im Wahlbereich Bremerhaven neu ausgezählt werden. Die Wählervereinigung BiW verfehlte die Fünfprozenthürde um eine Stimme und deckte – nachdem sie sich den Zugang zu den Unterlagen erklagen musste – einige Unregelmäßigkeiten bei der Wahl auf.
- Dagegen schaffte es das Bundesverfassungsgericht – gemäß der eigenen Planung – auch im dritten Jahr in Folge nicht (nach 2005 und 2006), über die Gültigkeit der Bundestagswahl 2002 zu entscheiden.
- Auch der Verfassungsgerichtshof in Thüringen quält sich mit einer Entscheidung zur Frage der Verfassungsmäßigkeit der kommunalen Fünfprozenthürde herum und wartet jetzt vor seinem Urteil das des Bundesverfassungsgerichts zur Fünfprozenthürde im schleswig-holsteinischen Kommunalwahlgesetz ab.
Änderungen von Wahlgesetzen
- In Bremen gilt nun das von der Bürgerschaft übernommene Volkswahlgesetz.
- Die Bürgerschaftsmehrheit in Hamburg ersetzte die vom Verfassungsgericht gekippte Regelung der Relevanzschwelle. Bei den Wahlkreislisten werden Listenstimmen wie in Niedersachsen gewertet, durch die Reihenfolge der Zuteilung nur mit geringem, aber immerhin noch möglichen Einfluss der Wähler auf die Listenreihenfolge.
- In Nordrhein-Westfalen wurde das Divisorverfahren mit Standardrundung (Sainte-Laguë) als Zuteilungsverfahren in Kommunal- und Landtagswahlgesetz eingeführt. Beide Gesetze enthalten aber auch Regelungswidersprüche und das Kommunalwahlgesetz eine Ein-Sitz-Hürde, deren relative Sperrwirkung über fünf Prozent liegen kann.
- Im Bundestag schlagen die Koalitionsfraktionen u. a. die Einführung des Divisorverfahrens mit Standardrundung (Sainte-Laguë) vor, auch eine Anpassung des Wahlprüfungsgesetzes an die Praxis, nach der grundsätzlich keine mündliche Verhandlungen durchgeführt werden.
... und Ausblick auf das Jahr 2008
Und das erwarten wir im nächsten Jahr:
- Schon am letzten Januarwochenende wählen die Niedersachsen und Hessen neue Landtage.
- Nicht einmal einen Monat später werden in Hamburg Bürgerschaft und Bezirksversammlungen gewählt – ohne digitale Wahlstifte und mit einem Wahlsystem, welches außer der Hülle nicht viel von dem möglichen großen Einfluss der Wähler im Volkswahlgesetz übrig gelassen hat.
- In Bremerhaven sollen nach dem noch nicht rechtskräftigen Urteil des Wahlprüfungsgerichtes die Stimmen der letzten Bürgerschaftswahl neu ausgezählt werden.
- Auch kommunale Vertretungen werden im neuen Jahr gewählt, zuerst im März in Bayern und in den folgenden Monaten finden noch in Schleswig-Holstein und Brandenburg Kommunalwahlen statt.
- Im Laufe des Jahres könnten Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts – neben dem Landesverfassungsstreit zur Fünfprozenthürde in Schleswig-Holstein – in den anhängigen Wahlprüfungsverfahren zur Bundestagswahl 2002 bzw. 2005 fallen. Die Dauer der Verfahren spricht dafür, dass sich das Gericht nach langer Zeit wieder einmal inhaltlich zu Wahlprüfungsbeschwerden äußert. Die Liste der Verfahren und der damit zu entscheidenden wahlrechtlichen Probleme ist lang – von den Überhangmandaten über die Auswahl des Sitzzuteilungsverfahrens bis zur Zulässigkeit inhomogener Landeslisten. In den Verfahren über den Einsatz von Wahlcomputern wurde uns vom Gericht mitgeteilt, dass eine Entscheidung für Anfang des Jahres angestrebt wird.
- Die Entscheidungen werden hoffentlich so früh kommen, dass sie der Bundestag noch in den Ausschussberatungen zu Änderungen des Bundeswahlgesetzes berücksichtigen kann. Neben dem bisher recht unumstrittenen Vorhaben der Änderung des Sitzzuteilungsverfahrens streitet sich die Koalition noch über eine Regelung zum Nachrücken in Überhangmandate. Es ist aber zu hoffen, dass die beiden Fraktionen auch so erkennen, wie wie ratsam eine Kompensation der Überhangmandate wäre, womit sich das Problem des Nachrückens von selbst erledigen würde.
- In Bayern finden am 28. September die Wahlen zum Landtag und den Bezirkstagen statt. Spätestens hier erwarten wir Klarheit über die Zusammensetzung der Bundesversammlung und so eine Vorentscheidung der Bundespräsidentenwahl am 23. Mai des folgenden Jahres. Die Landtagswahl in Bayern leitet damit quasi schon das Superwahljahr 2009 ein.
- Schließlich wird im November bei der Präsidentenwahl in den USA der 44. US-Präsident (bzw. die erste US-Präsidentin) gewählt.
Für das Interesse an Wahlrecht.de bedanken wir uns bei allen Lesern. Auch im neuen Jahr werden wir sicher eine Reihe interessanter Informationen und Meldungen für Sie bereithalten! Ein besonderer Dank gilt auch wieder den Lesern, die uns auf neue Wahlumfragen hinwiesen oder uns die Umfragen aus lokalen Zeitungen zusandten, sowie den Mitarbeitern der Umfrageinstitute und Medien, die uns bei fehlenden Zahlen halfen.