Nachrichten

[Aktuelle Meldungen]

18.05.2007

Wahlbeobachtung: Abstimmung mit Wahlcomputern in Neuss

Am 13. Mai 2007 führte die Stadt Neuss (Nordrhein-Westfalen) einen Ratsbürgerentscheid durch. Dabei stimmten die Neusser über die Frage ab: „Soll die Straßenbahnlinie 709 aus dem Hauptstraßenzug der Stadt Neuss herausgenommen werden?“. Da Neuss Wahlcomputer einsetzte, nutzte ich die Gelegenheit, auf die linke Rheinseite zu fahren und mir diese Geräte und deren Einsatz mal in natura anzusehen.

Beobachtung einer Abstimmung mit Wahlcomputern am 13. Mai 2007 in Neuss

Ort: 41460 Neuss, Görlitzer Straße 3 – Treff 3 – Wahlbezirk 0011

Der Weg führt mich in eine Hochhaussiedlung östlich der Innenstadt. Das Wahllokal wählte ich wegen der direkten Lage an der B 1 am Stadtrand in Rheinnähe und auch wegen der niedrigsten Ordnungsnummer des Wahllokals (0011) aus. Strategisch vielleicht etwas unklug, da hier das Wahlgerät eher später angeliefert wird. Gewählt wird in einem Raum der Stadtteileinrichtung „Treff 3“. Um 6:10 Uhr ist das Wahllokal noch verschlossen.

Kurz vor 7 Uhr das Wahllokal betritt eine Anwohnerin mit Schlüssel (die Hausmeisterin?) das Wahllokal. Um 7:00 Uhr trifft der erste Wahlhelfer ein. Ich stelle mich kurz vor: „Nein, ich bin kein Wahlhelfer, ich möchte endlich einen Wahlcomputer im Einsatz sehen.“ Kurz danach erscheint der zweite Wahlhelfer. Die Hausmeisterin öffnet die Tür von innen und macht Kaffee für die Wahlhelfer.

Gegen 7:10 Uhr wird der Wahlcomputer gebracht. Der Fahrer (PKW mit Neusser Kennzeichen) legt den Koffer mit dem Wahlgerät im Wahlraum auf einen Tisch. Das Wahllokal wird etwas eingerichtet – Stühle raus, Tische an die Seite. Das Gerätegehäuse ist durch eine Kordel mit weißem Siegelpapier der Stadt Neuss versiegelt. Daran sind zwei Schlüssel befestigt. Auf einem kleinen Typenschild am Gerät steht: Wahlgerät ESD1 Software 3.08 und eine Seriennummer. Einen unbeaufsichtigten Zugang zu dem Wahlgerät hatte ich nicht.

Etwas später, gegen 7:20 Uhr, trifft der Wahlvorsitzende ein. Er musste die Wahlunterlagen aus dem Rathaus abholen. Die wurden schon ab 6:40 Uhr in der Innenstadt (im Rathaus?) verteilt. Ich stelle mich vor. Die Wahlhelfer kennen sich alle schon von vorherigen Wahlen. Um 13 Uhr sollen die beiden Helfer laut Plan abgelöst werden.

Aufbau des Wahlgeräts: Der Wahlvorstand durchtrennt die Kordel und steckt beide Schlüssel ein. Das Gerät wird aufgeklappt. Im Gerätegehäuse befinden sich Hinweisschilder zu den Wahlräumen und mit der Wahllokalnummer. Innen sieht man die eigentliche Hardware. Rechts und links sind jeweils zwei Siegel. Je eins von Nedap (von 2004) und der Stadt Neuss (von Jan 2007). Die Bedieneinheit wird herausgenommen und auf den Tisch des Wahlvorstandes gelegt. Mit dem Anschluss der Spannungsversorgung (220 V aus der Steckdose) beginnt die Selbstinitialisierung. Im Gerätedisplay steht „Bitte warten“. Dies dauert mehrere Minuten.

Dann erscheint im vierzeiligen Display (Mitschrift der vier Zeilen):

  Wahlgerät N8400836   Datum 13.05.2007
  Speicher: L4301078    Wahlbezirk 0011
  Stimmen: 0
  Bereit zum Wählen ohne Statistik.

Einen Abgleich der Daten des Ausdrucks (Kassenzettel), den der Vorsitzende mit seinen Wahlunterlagen mitbrachte, mit denen der Anzeige des Wahlgeräts hab ich danach nicht beobachtet. Eine vorherige Überprüfung des Siegels an der Kordel, kann ich nicht ausschließen, diese wurde aber auch nicht kommentiert. Interessant ist eine Bemerkung eines Wahlhelfers: Vor einigen Jahren mussten sie die Wahlgeräte selber abholen und zum Wahllokal fahren. Der ganze Koffer ist ja doch sehr sperrig, wenn man es in einem Golf transportieren soll.

Das war’s auch schon. Die ersten Wähler erscheinen gegen 7:55 Uhr vor der Tür. Der Wahlcomputer wird durch die zwei Schlüssel an der Bedieneinheit vom Wahlvorsitzenden scharf geschaltet. Als erstes wählt einer der Wahlhelfer. Mit dem zweiten Wähler verlasse ich das Wahllokal und fahre frühstücken.

17:45 Uhr – die zweite Mannschaft ist da (vier Wahlhelfer) und einer der Wahlhelfer vom Morgen. Der Vorsitzende ist gerade nicht da. Die letzten Wähler kommen. Die Wahlbeteiligung ist gering (bei ca. 20 %), aber für das Ergebnis der Abstimmung wichtig, da für einen gültigen Bürgerentscheid ein Zustimmungsquorum von 20 % erreicht werden muss. Als Anekdote am Rande: Mir wurde die Wahlbeteiligung/Anzahl der Wähler genannt, den Spätwählern auf deren Nachfrage aber nicht („Darf ich Ihnen nicht sagen“). Einer der letzten Wähler war auch etwas erstaunt über die Wahlgeräte („Werden die jetzt auch bei richtigen Wahlen benutzt?“).

18:00 Uhr – Der inzwischen eingetroffene Wahlleiter schließt die Wahl ab. Er und eine Wahlhelferin holen die Schlüssel und drehen diese unter Verlesen der Nedap-Anleitung in der vorgeschriebenen Reihenfolge und Richtung. Dann wird am Gerät gemeinsam die richtige Taste für den Ausdruck des Wahlergebnisses gedrückt. Die Abdeckung hinten am Gerät wird geöffnet und der Ausdruck (Kassenzettel) abgerissen. Dann wird nochmal ausgedruckt und das Wahlergebnis verkündet:

  Wähler:  213
  Ja:       42
  Nein:    171
  Ungültig:  0   (Ungültig, auf meine Nachfrage)

Das Gesamtergebnis in der Stadt Neuss lautet: Ja 13,5 %, Nein 15,8 % der Wahlberechtigten.

Danach wird das Stimmmodul (dies war nicht gesiegelt) entnommen. Dazu werden wieder beide Schlüssel im Gerät unter Verlesen der Anleitung in die richtige Richtung und der richtigen Reihenfolge gedreht. Dann wird der Wahlcomputer wieder zusammengefaltet. Der inzwischen eingetroffene Fahrer vom Morgen nimmt den Computer, packt ihn in seinen Kofferraum und fährt. Das Stimmmodul wird in einem Briefumschlag verpackt und zur Abgabe durch den Vorsitzenden in der Innenstadt vorbereitet. Der Schriftkram war wohl schon weitgehend fertig. Ein Ausdruck des Wahlcomputers mit dem Ergebnis wird auf einen Bericht geklebt. Ich verlasse das Wahllokal um 18:06 Uhr.

wahlcomputer-vorne lupe-13x12.gif wahlcomputer-innen lupe-13x12.gif wahlcomputer-siegel lupe-13x12.gif

Fazit

Echte Angriffspunkte in und am Wahllokal habe ich nicht erkannt. Checksummenprüfung etc. sind eh nur Augenwischerei, bzw. helfen vor allem gegen Verwechslungsgefahr. Der entscheidende Punkt ist die „gesicherte Umgebung“. Die kann man für die Kombination Kordel und Papiersiegel im Kofferraum anzuzweifeln, für die Rückfahrt ohne Kordel und Siegel und weniger Zeitdruck umso mehr. Die Frage, was wäre, wenn das Wahlgerät vor den Wahlhelfern eingetroffen wäre, blieb hier offen (in der Innenstadt stellte sich diese schon).

Eine „sichere Umgebung“ muss aber nicht nur für die 15 Minuten vor und nach der Wahl (gegen gut vorbereitete Spontantäter) gewährleistet sein, sondern für den gesamten Zeitraum zwischen den Wahlen. Ein wesentlicher Angriffspunkt, auf den der Chaos Computer Club immer wieder hinweist, ist der sogenannte Innentäter, der Wochen/Monate vor einer Wahl die Programmbausteine austauscht.

Zu Wahlcomputern mit speziellen Fragen zur sicheren Umgebung gab es eine kleine Anfrage im Bundestag, die beim Punkt der sicheren Umgebung und deren Kriterien und Kontrollen faktisch unbeantwortet blieb (BT-Drs. 16/5194). Die Antwort beschränkt sich sinngemäß darauf, dass eine Gemeinde schon gut auf ihr Eigentum aufpasst, um Diebstähle und Beschädigungen zu vermeiden (vgl. Frage 10).

Das reicht nicht. Das ganze Verfahren muss geeignet sein, eine unbemerkte Manipulation z. B. durch einen Bürgermeister, der in der Gemeinde wohl die meisten Möglichkeiten dazu und mit der eigenen Wiederwahl auch ein großes Interesse hat, zu verhindern. Man muss ... ständig darüber wachen, ob die Sicherungsmaßnahmen ausreichend oder verbesserungswürdig sind. (Statement vom HSG-Geschäftsführer im Oktober 2006)

Weiterer Einsatz von Wahlcomputern an dem Wochenende

Auch in Bad Oeynhausen wurde am 13. Mai bei der Landratswahl im Kreis Minden-Lübbecke mit Wahlcomputern gewählt. Die Wahlbeteiligung war in Bad Oeynhausen besonders gering (24,7 %, alle anderen Gemeinden über 30 %). Die Stichwahl ist am 27. Mai 2007.

Meldungen


von Martin Fehndrich (18.05.2007, letzte Aktualisierung am 14.11.2007)