Nachrichten

[Aktuelle Meldungen]

09.07.2007

Wir können alles, außer Hochdeutsch.

„Und Mathe.“ – möchte man ergänzen, wenn man sich das Urteil des Verfassungsgerichts des Bundeslandes durchliest, welches mit der Überschrift um Sympathien wirbt. Der Staatsgerichtshof für das Land Baden-Württemberg (StGH) wies in dieser Entscheidung eine Wahlprüfungsbeschwerde zur Landtagswahl 2006 in Baden-Württemberg zurück. Auffallend in dem, im Anschluss an die mündlichen Verhandlung am 14. Juni 2007 verkündeten Urteil, das eher auf Hochdeutsch- als auf Mathekenntnisse hindeutet, sind:

Analyse der Entscheidung

Unter diesen Umständen kann es nicht überraschen, dass die vom Gericht geprüften Regelungen des Wahlrechts nach Ansicht der Stuttgarter Richter verfassungsgemäß sind. Im Folgenden beschränkt sich unsere Analyse des Urteils auf Leitsatz 3, eine Analyse anderer Teile der Entscheidung folgt zu einem späteren Zeitpunkt. Die mathematisch falsche Aussage, auf der dieser Teil der Entscheidung beruht, wird mit einfachen Gegenbeispielen widerlegt.

Analyse des Leitsatzes 3 – Einfluss der Wahlkreisverteilung auf die Bezirke

Leitsatz 3 lautet:

Die in Art. 26 Abs. 4 LV gewährleistete Wahlrechtsgleichheit wird nicht verletzt, wenn die durchschnittliche Größe der Wahlkreise in den vier Regierungsbezirken des Landes voneinander abweicht. Für die Frage der verfassungsrechtlichen Zulässigkeit der Abweichungen von der Durchschnittsgröße der Wahlkreise kommt es auf die Verhältnisse im gesamten Land an.

Die durchschnittliche Größe der Wahlkreise in den Regierungsbezirken bedeutet aber nichts anderes als die Größe [gemeint ist immer die Zahl der Wahlberechtigten] eines Regierungsbezirks durch die Zahl seiner Wahlkreise. Eine unterschiedliche durchschnittliche Größe der Wahlkreise in den vier Regierungsbezirken bedeutet somit eine ungleichmäßige Verteilung der Wahlkreise auf die Bezirke.

Durchschnitt Wahlkreisgröße = Regierungsbezirksgröße/Wahlkreisanzahl

Anders ausgedrückt ist damit die Zahl der Wahlkreise eines Regierungsbezirks für das Gericht verfassungsrechtlich ohne Belang. Mit der Durchschnittsgröße benutzt das Gericht allerdings eine unhandliche und wenig anschauliche Größe. Besser sollte man – wie die Beschwerdeführer und das Innenministerium – von der Zahl der Wahlkreise in den Regierungsbezirken sprechen. Diese kann man, im Gegensatz zur Durchschnittsgröße, als beliebige ganze Zahlen wählen.

Die verfassungsrechtliche Begründung beruht vollständig auf folgender Aussage, die man in ihrer Klarheit als mathematische Aussage (im Folgenden „Aussage 1“) betrachten kann:

Die unterschiedliche Durchschnittsgröße der Wahlkreise in den vier Regierungsbezirken des Landes hat auf die Zusammensetzung des Landtags keinen Einfluss.

Diese Aussage ist falsch und kann mit einem einfachen Gegenbeispiel widerlegt werden. Eine mathematisch äquivalente Aussage ist: „Die Zahl der Wahlkreise in den Regierungsbezirken hat keinen Einfluss auf die Zusammensetzung des Landtages“.

Das Gericht versucht seine Aussage Schritt für Schritt zu begründen, denn die unterschiedlichen Durchschnittsgrößen der Wahlkreise haben keinen Einfluss auf

und dann wird weiter dargelegt, dass die Regierungsbezirke für die Einteilung der Wahlkreise nur soweit relevant seien, dass die Wahlkreisgrenzen nicht die Grenzen der Regierungsbezirke schneiden dürften.

Der Fehler in der Beweisführung findet sich am Schluss des Abschnittes:

Auch bei diesen [§ 2 Abs. 3 Satz 2 und Abs. 4 LWG a. F.] und den weiteren Stufen des in § 2 LWG geregelten Zuteilungsverfahrens kommt dem Umstand, dass der Durchschnitt der Zahl der Wahlberechtigten je Wahlkreis in den vier Regierungsbezirken voneinander abweicht, keine Bedeutung zu.

Hier übersieht das Gericht sowohl den Einfluss auf die Zahl der internen Überhangmandate als auch auf die kaum begründbare bezirksweise Zuteilung der Ausgleichsmandate und damit auf die parteipolitische Zusammensetzung des Landtags. Die Zahl der Wahlkreise in einem Regierungsbezirk (und damit die Durchschnittsgröße der Wahlkreise darin) beeinflusst direkt die Zahl der Überhangmandate und Ausgleichsmandate.

Die Aussage des Gerichts kann durch ein einfaches Gegenbeispiel widerlegt werden (hier nun zwei Beispiele, eins zur Ausgleichsmandateregelung, eins zu den Überhangmandaten). Dabei wird jeweils angenommen, dass sich die Größe der Regierungsbezirke und die Verteilung der Stimmen auf die Parteien nicht ändern.

Gegenbeispiel 1

Angenommen, der Bezirk Stuttgart hätte einen Wahlkreis weniger (25 statt 26) und der Bezirk Freiburg einen Wahlkreis mehr (15 statt 14). Damit wird die Durchschnittsgröße der Wahlkreise in Stuttgart erhöht und in Freiburg reduziert und die Durchschnittsgrößen auf diese Weise etwas angeglichen. Es wird weiter angenommen, die CDU würde wie bei der Wahl 2006 alle Wahlkreise dieser Regierungsbezirke gewinnen. Die Stimmenverteilung an die Parteien bleibe gleich.

Für die CDU würde sich dadurch nichts ändern. Sie hätte im Bezirk Stuttgart einen Sitz (und ein Überhangmandat) weniger und im Bezirk Freiburg einen Sitz mehr. Aber die Ausgleichsmandateberechnung wäre anders. Die SPD erhielte im Bezirk Freiburg ein weiteres Ausgleichsmandat, während es in allen anderen Bezirken keine Änderung bei der Zahl der Ausgleichsmandate gäbe. Im Regierungsbezirk Stuttgart stünden der SPD weiter 15 Sitze zu.

Die SPD hätte dann 39 (statt 38) Sitze und im Landtag säßen insgesamt 140 (statt 139) Abgeordnete. Das heißt aber, die Zahl der Wahlkreise in den Bezirken bzw. deren Durchschnittsgröße hat einen Einfluss auf die Sitzverteilung.

Ergebnis 2006Gegenbeispiel 1
RegierungsbezirkStKaFrBWStKaFrBW
CDU26181411692518151169
SPD1511753815118539
GRÜNE643215643215
FDP644317644317
Summe139140

Ergebnis: Die durchschnittliche Wahlkreisgröße in den Regierungsbezirken hat einen Einfluss auf die Zusammensetzung des Landtags und Aussage 1 ist falsch.

Gegenbeispiel 2

Ein anderes Gegenbeispiel ergibt sich, wenn man einen Wahlkreis aus dem Bezirk Freiburg verschiebt. Da es in Freiburg keine Überhangmandate gibt, gäbe es dort einen Listensitz für die CDU und in einem anderen Bezirk einen CDU-Wahlkreis und damit Überhangmandat für die CDU mehr und damit auch einen CDU-Sitz insgesamt mehr. Die Zusammensetzung des Landtages wäre eine andere.

Meldungen


von Martin Fehndrich (09.07.2007, letzte Aktualisierung am 09.07.2007)