Unterverteilung von Ausgleichsmandaten

[Wahlrecht Berlin]

Mängel bei der Unterverteilung von Ausgleichsmandaten in Berlin 2006

Zuteilung Ausgleichsmandate in Berlin 2006 (Beispiel FDP)

Wie wurden die insgesamt dreizehn Mandate der FDP in Berlin nach dem vorläufigen Endergebnis an die Bezirkslisten unterverteilt?

Zuerst wurden zwölf Mandate (vor Überhang- und Ausgleichsmandaten) nach dem Quotenverfahren mit Restausgleich nach größten Bruchteilen (Hare/Niemeyer) verteilt.

Dann werden die Ausgleichsmandate (also für die FDP das eine Ausgleichsmandat) wieder nach dem Quotenverfahren mit Restausgleich nach größten Bruchteilen verteilt, was bei wenigen Ausgleichsmandaten bedeutet, die Sitze gehen an die größeren Listen, bzw. hier, das eine Ausgleichsmandat geht an die stärkste Bezirksliste in Steglitz-Zehlendorf.

Wahlergebnis der FDP Grund-
verteilung
Ausgleichsmandate-
verteilung
Sitze
im AGH
Sitze nach
Hare/Niemeyer
BezirkeStimmenQuote
(von 12)
SitzeQuote (von 1)Sitze (AM)Sitze gesamtQuote (von 13)Sitze HN
Mitte 6.9740,80010,06710,8671
Friedrichshain-Kreuzberg3.7060,42500,03500,4610
Pankow 7.5550,86710,07210,9391
Charlottenburg-Wilmersdorf14.1681,62520,13521,7612
Spandau 7.7650,89110,07410,9651
Steglitz-Zehlendorf18.3412,10420,175132,2802
Tempelhof-Schöneberg13.0121,49310,12411,6172
Neukölln 8.0480,92310,07711,0001
Treptow-Köpenick 5.4870,63010,05210,6821
Marzahn-Hellersdorf 4.6230,53010,04410,5751
Lichtenberg 4.1300,47400,03900,5130
Reinickendorf 10.7861,23710,10311,3411
Insgesamt 104.59512,000121,00011313,00013

Diese Berechnungsweise führt nicht zum selben Ergebnis, wie eine Verteilung von 13 Sitzen nach dem Quotenverfahren mit Restausgleich nach größten Bruchteilen (Hare/Niemeyer). Im konkreten Fall ginge der Sitz nach Tempelhof-Schöneberg, während das Ausgleichsmandat nun an die stärkste Liste im Bezirk Steglitz-Zehlendorf gegangen ist.

Das Verfahren stellt damit eine Art Hare/Niemeyer parallel dar. An eine Gruppe von Listen wird zweimal auf Basis derselben Stimmen Sitze zugeteilt.

Dadurch verstärken sich natürlich die Rundungsfehler der Zuteilungsverfahren. Das System ist damit insgesamt weniger proportional. Im Extremfall kann eine Liste mehr als 1,5 Sitze über ihrem rechnerischen Sitzanspruchs (Quote) erhalten. Eine solche Überaufrundung würde beispielsweise dann auftreten, wenn die FDP ein weiteres Ausgleichsmandat erhielte. Das zweite Ausgleichsmandat ginge an die zweitgrößte Bezirksliste Charlottenburg-Wilmersdorf, mit einem Sitzanspruch von 1,896 (der auf drei aufgerundet würde). Die Verzerrung wirkt i.d.R. als Bonus für die großen Bezirkslisten, wenn wenige Ausgleichsmandate (also vor allem weniger als die Zahl der Bezirke) an eine (kleinere) Partei zugeteilt werden.

Unklare Beschreibung in Landeswahlordnung/Landeswahlgesetz

Die gesetzlichen Regelungen sind (in schlechter Tradition wahlrechtlicher Regelungen) ziemlich schwammig formuliert. Das Gesetz überläßt die Verteilung der Ausgleichsmandate auf Bezirkslisten der Landeswahlordnung, nach der Landeswahlordnung wiederum werden die Ausgleichsmandate nach § 17 Abs. 3 des Landeswahlgesetzes zugeteilt. Der genaue Rechenweg ergibt sich allerdings nur indirekt. Hier sind (mind.) zwei Interpretationen denkbar.

  1. Nur die Ausgleichsmandate werden nach dem Verfahren Hare/Niemeyer verteilt. Dabei wird im Landeswahlgesetz „Die Gesamtzahl der ... für jede Partei ermittelten Sitze“ durch den Verweis durch die in der Landeswahlordnung definierten Ausgleichsmandate ersetzt. [Dies ist die hier auf dieser Seiten oben beschriebene Regelung/Landeswahlleiterauslegung zum vorläufigen Endergebnis]
  2. Die Berechnung wird mit der neuen Gesamtzahl der Sitze durchgeführt (also vermehrt um die Ausgleichsmandate, ggfs. unter Abzug der Sitze und Stimmen der Bezirkslisten mit Überhangmandaten). Auch bei dieser Regelung würden die Ausgleichsmandate neu verteilt. In diesem Fall bliebe die Bedeutung von Gesamtzahl der Sitze im Landeswahlgesetz erhalten und müßte nicht uminterpretiert werden. Allerdings wäre dann (auch nach dem Urteil vom 21.03.2003) darauf zu achten, daß es nicht zu einer Umverteilung kommt, zu der es in seltenen Ausnahmefällen (Alabama-Paradoxon) kommen könnte. Die schon vom Landeswahlgesetz im ersten Schritt zugeteilten Sitze wären damit schon vorab zugeteilt und nur die noch verbleibenden Sitze gingen an die noch nicht bedienten größten Reste [Dieses Verfahren hatten wir bis zum vorläufigen Endergebnis vermutet].

Kritik

Verletzung der Chancengleichheit

Die Verteilung ohne Berücksichtigung schon zugeteilter Sitze widerspricht dem Gleichheitsgrundsatz, nach dem Sitze proportional auf die Bezirkslisten verteilt werden müssen.

Maßstab ist dabei ein unverzerrtes Verfahren wie Hare-Niemeyer oder Sainte-Laguë, das nicht große Bezirke gegen über kleine bevorzugt (wie es d’Hondt machen würde). Da in Berlin Hare/Niemeyer sowohl bei der Oberverteilung, als auch bei der Unterverteilung gilt, ist nicht zu erkennen, warum dieser Maßstab nicht für alle unterverteilten Mandate, also auch die Ausgleichsmandate, gelten sollte.

Auch das übergroße Auf- oder Abrunden verletzt das Gleichheitsgebot.

Im konkreten Fall wird 1,617 abgerundet, während 2,280 aufgerundet wird. Nach der Logik des Quotenverfahrens mit Restausgleich nach größten Bruchteilen (Hare/Niemeyer) müßte 1,617 vor 2,280 aufgerundet werden.

Auch andere Vergleichsprinzipien führen dazu, daß der dreizehnte Sitz der FDP der Bezirksliste Tempelhof-Schöneberg und nicht der Bezirksliste Steglitz-Zehlendorf zusteht.

Direkter Vergleich

Wenn man nur die vier Sitze an die beiden Listen verteilt, muss man einen Anspruch von 1,66 auf-, einen von 2,34 abrunden (der Ansatz ist mathematisch äquivalent zu Sainte-Laguë).

Erfolgswertdifferenz u. a.

Bezirke Steglitz-
Zehlendorf
Tempelhof-
Schöneberg
Differenz
Stimmen18.34113.012
Quote (von 13)2,2801,617
Quote (direkter Vergleich)2,3401,660
Erfolgswert bei 3-11,3050,6130,692
Erfolgswert bei 2-20,8701,2260,356
Vertretungswert 3-16.113,713.012,06.898,3
Vertretungswert 2-29.170,56.506,02.664,5

Auf 1 normierte Erfolgswerte mit 7.976,3 Stimmen pro Sitz

Auch die Minimierung der Erfolgswertdifferenz oder Vertretungswertdifferenz (das erfüllen die Verfahren Sainte-Laguë, Dean) führt jeweils zu einer Verteilung 2-2. Selbst das Verfahren d’Hondt gewährt den zweiten Sitz an die kleinere List aus Tempelhof-Schöneberg.

Ähnliches gilt für die Unterverteilung der CDU. Auch hier ginge nach einer Berechnung mit den Verfahren Hare/Niemeyer, Sainte-Laguë oder Dean ein Ausgleichssitz an die Bezirksliste in Marzahn-Hellersdorf statt an die Liste aus Charlottenburg-Wilmersdorf.

Besonderer rechtfertigender Grund?

Man könnte nun nach einen besonderen rechtfertigenden Grund fragen, der diesen Eingriff in die Gleichheit rechtfertigt.

Immerhin kann man sich einen Grund denken, der zu dieser Regelung geführt haben könnte. Bei einer Neuberechnung nach Hare/Niemeyer kann das Alabama-Paradoxon auftreten, d.h. eine Liste kann einen schon vor der Ausgleichsmandatsberechnung zugeteilten Sitz wieder aberkannt bekommen, (etwas ähnliches führte 2001 zu einer erfolgreichen Klage gegen negative Ausgleichsmandate, allerdings war damals Ursache, daß bei der Neuberechnung ein völlig anderes Verfahren benutzt wurde.).

Bei der jetzigen Regelung, bei der die Ausgleichsmandate fast völlig unabhängig von der ersten Verteilung verteilt werden, kann dies nicht passieren.

Allerdings rechtfertigt dies keine so brutale Regelung. Ein Mangel eines Quotenverfahrens könnte auch anders gelöst werden, z.B. daß die im ersten Schritt zugeteilten Sitze als zugeteilt betrachtet würden und nur noch die verbleibenden Reste zur Verteilung der verbliebenen Restsitze betrachtet würden.

Unser Verbesserungsvorschlag

Unser Vorschlag bleibt:

Unterverteilung der Ausgleichssitze nach Sainte-Laguë unter Anrechnung aller schon zugeteilter Mandate.

Konkret würde bspw. für jede Liste der Wert Stimmen durch (zugeteilte Sitze +0,5) berechnet und das Ausgleichsmandat an die Liste mit dem höchsten Anspruch zugeteilt.


von Martin Fehndrich (03.10.2006, letzte Aktualisierung: 30.01.2007)