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22.12.2007

Neues Landtagswahlsystem für NRW verabschiedet – Fehler bleiben

Mit breiter Mehrheit verabschiedete am 19. Dezember 2007 der nordrhein-westfälische Landtag in zweiter Lesung die Änderungen des Landeswahlgesetzes. Gewählt werden die Abgeordneten des Landtags in Düsseldorf nun per Zweistimmenwahlrecht. Als Sitzzuteilungsverfahren wird das Divisorverfahren mit Standardrundung (Sainte-Laguë) verwendet.

Keine Mehrheit für richtige Berechnungsformel

Der ursprüngliche Gesetzentwurf enthielt allerdings eine Reihe von Mängeln, die auch in dem bis jetzt noch nicht veröffentlichten fraktionsübergreifenden Änderungsantrag (LT-Drs. 14/5842) nicht beseitigt wurden. Nur die ursprünglich vorgesehene halbe Ersatzbewerberregelung wurde wieder gestrichen (einen ähnlichen Vorstoß gab es beim Bundeswahlgesetz). Die analog zum Kommunalwahlrecht (§ 33 Abs. 4 Satz 5 KWahlG NRW) erwartete Unterausgleichsverhinderungsklausel wurde dagegen nicht eingefügt (vgl. Meldung vom 16. Dezember 2007 – Trotz Expertenhinweisen unveränderter Entwurf zum LWahlG NRW).

Damit hat NRW nun ein neues Landeswahlgesetz

Unsere Befürchtung, der Sachverständigenhinweis in der öffentlichen Anhörung auf technische Mängel und Formelfehler würde nicht beachtet, traf in dieser Form nicht ein. Vielmehr stellte Innenminister Ingo Wolf explizit fest, dass es dafür [den fehler- und widerspruchsfreien Vorschlag] keine Mehrheit gäbe.

Innenminister Ingo Wolf, am 19. Dezember 2007 um 19:08:10:

[...]

Zur Mandatsaufstockung im Fall von Überhangmandaten hat ein Sachverständiger eine andere Berechnungsformel vorgeschlagen. Dafür gibt es keine Mehrheit. Nach unseren Beispielsrechnungen sind beide Methoden in ihren Auswirkungen weitgehend identisch. Die Anhörung hat bestätigt, dass die derzeit gültige Formel verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden ist, sie sollte daher auch erhalten bleiben.

[...]

Es mag ja sein, dass beide Methoden (Methode 1: § 33 Abs. 5 Satz 1/Methode 2: § 33 Abs. 5 Satz 2 ff) in ihren Auswirkungen weitgehend identisch sind. Unserer Meinung nach sollte die Sitzverteilung in einem Wahlgesetz immer eindeutig beschrieben sein (nicht nur weitgehend). Die Mängelliste des neuen Landtagswahlrechts ist damit kaum kürzer als die Liste für das bisherige Gesetz.

Die Lesung erweckte den Eindruck, alle hätten alle ein so schwieriges Kompromisspaket geschlossen, dass keiner dieses nur wegen eines mathematischen Formelfehlers gefährden wolle.

Ansonsten hat man bei der, ausschließlich den Todesfall vor der Wahl betreffenden Ersatzbewerberregelung erkannt, dass diese nur eine halbe Regelung ist und konsequenterweise auf die ganze Legislaturperiode ausgedehnt werden müsste. Für so eine Lösung besteht aber keine Mehrheit. Da so eine Lösung auch nicht geboten ist, hat man auf eine Ersatzbewerberregelung analog zum aktuellen Bundeswahlgesetzentwurf und im Gegensatz zum neuen Kommunalwahlgesetz verzichtet.

Zur Einführung der Zweitstimme gab es unterschiedliche Stimmen. Während für Wolfram Kuschke (SPD) die Frage offen bleibt, „ob das mehr Demokratie bringt?“, sah Ralf Witzel (FDP) eine „bessere Differenzierung“ und „mehr Flexibilität für die Parteien bei der Kandidatenaufstellung“. Allerdings führte er als Begründung auch den weit verbreiteten Irrglauben an, man könne politische Konstellationen wählen. Dies wäre nur dann möglich, wenn die deutschen Wähler so wählen, wie die Albaner. Sonst wird sich auch mit einem Zweistimmenwahlrecht kaum etwas ändern.

Der Antrag der SPD zur Herabsetzung des Wahlalters auf 16 Jahre bei Landtagswahlen wurde dagegen von den Regierungsparteien abgelehnt. Manfred Kuschke sah darin eine vertane Chance, betonte Verfassungsrechtliche Bedenken bestünden nicht und wies darauf hin, daß 16-jährigen Wähler 2009 bei der Kommunalwahl wählen dürfen, ein Jahr später bei der Landtagswahl aber nicht.

NRW ist das vierte Bundesland mit Sainte-Laguë

Nach Bremen, Hamburg und Baden-Württemberg ist Nordrhein-Westfalen nun das vierte Bundesland, dass das Divisorverfahren mit Standardrundung einführt. Bisher war im Wahlgesetz noch kein Zuteilungsverfahren eindeutig beschrieben worden. Nur indirekt konnte aus der Vorschrift den Parteien „so viele Sitze, wie Ihnen im Verhältnis ... zustehen“ zuzuteilen, auf das Quotenverfahren mit Restausgleich nach größten Bruchteilen (Hare/Niemeyer) geschlossen werden.

Ist die Änderung „verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden“?

Inwieweit die Anhörung die Formel im Landeswahlgesetz bestätigt haben soll, entzieht sich unserer Kenntnis, thematisiert wurde diese in der Anhörung nur, als der Fehler angesprochen und eine Korrektur beschrieben wurde.

Unsinnige oder holprige Beschreibungen dürften verfassungsrechtlich unbedenklich sein, wenn es am Ende keinen Zweifel an der richtigen Sitzverteilung geben kann. Bei der Beschreibung des Divisorverfahrens mit Standardrundung dürfte damit nur der unwahrscheinliche Fall gleicher Ansprüche verfassungsrechtlich zweifelhaft sein.

Anders sieht es bei der Verteilung der Ausgleichsmandate aus. Zwei Methoden in einem Gesetz sind gerade wenn dabei unterschiedliche Sitzverteilungen herauskommen, nicht völlig unproblematisch. Ein bloßer Überausgleich, also mehr Sitz im Parlament als notwendig, mag unschön sein, ist aber wahrscheinlich noch hinnehmbar. Bei den damit verbundenen negativen Stimmgewichten ist dies allerdings nicht so klar.

Eine Regelungslücke (Unterausgleich) kann die Landeswahlleiterin oder den Landeswahlleiter allerdings in die unschöne Situation bringen, dass überhaupt kein Ergebnis berechenbar ist oder dies nach eigenem Ermessen interpretiert werden muss. So musste der Berliner Landeswahlleiter wegen der widersprüchlichen Gesetzeslage schon zweimal eine solche freie Entscheidung treffen (2001, 2006) und wurde in beiden Fällen vom Verfassungsgericht korrigiert (VerfGH 175/01, VerfGH 168/06).

Ob solche Regelungen im Gesetz verfassungsgemäß sind, kann bezweifelt werden. Sinnvoll sind sie sicher nicht.

Meldungen


von Martin Fehndrich (22.12.2007, letzte Aktualisierung am 22.12.2007, letzte Aktualisierung der Links: 31.12.2007)