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30.11.2007

Innenministerium erteilte Bauartzulassung für verbesserte Wahlcomputertypen

Das Bundesministerium des Innern (BMI) hat am 2. November 2007 einer neuen und verbesserten Version von Wahlgeräten der Firma Nedap eine Bauartzulassung erteilt (siehe Pressemitteilung vom 2. November 2007). Die Verbesserungen zielen auf eine Reihe von Punkten, die in der Vergangenheit zu kritischen Diskussionen führten und die auch der Chaos Computer Club in einem Bericht für das Bundesverfassungsgericht aufzählte.

Die wichtigsten Neuerungen im Einzelnen

1. Die Versiegelung der Elektronikeinheit

Wahlcomputersiegel Der Hersteller wird dem Eigentümer zukünftig einen Gerätepass sowie einen Gerätebegleitschein mit einer Abbildung des gerätespezifischen Prüf- und Sicherungssiegels aushändigen.

Die Versiegelung wird in der Expertise des CCC als unzureichender Schutz angesehen. Auch bei dem von uns beobachteten Einsatz von Wahlgeräten in Neuss im Mai 2007 wurde die Versiegelung als Schwachstelle identifiziert.

2. Die dauerhafte Lagerung

In der Bedienungsanleitung ist künftig vorgeschrieben, dass die Wahlgeräte sowie die Speichermodule nicht nur im Zeitraum zwischen Programmierung und Wahltag, sondern dauerhaft versiegelt oder verplombt und unter Verschluss gelagert werden. Gemeindebehörde und Wahlvorstand müssen die Versiegelungen der Geräte vor Inbetriebnahme auf Beschädigungen überprüfen.

Angesichts der schon innerhalb von 60 Sekunden (Videodokumentation) durchführbaren Manipulation eines Wahlcomputers, muss eine sichere Lagerung der Wahlgeräte kontinuierlich gewährleistet seit. Einige Bemerkungen von Verantwortlichen erwecken den Eindruck, eine sichere Lagerung sei nur für den Zeitraum der Wahl, bzw. für die Tage vor der eigentlichen Wahl zu gewährleisten. Die bisher fehlenden Regelungen zur sicheren Lagerung wurden u. a. auch vom Dortmunder Wahlamtsleiter Ernst-Otto Sommerer bemängelt. Dass diese sichere Umgebung selbst am Tag der Wahl nicht immer gewährleistet war, ergibt sich aus verschiedenen Wahlbeobachtungen.

3. Elektromagnetische Abstrahlungen

Zum zusätzlichen Schutz vor der Verletzung des Wahlgeheimnisses durch die elektromagnetischen Abstrahlungen der Wahlgeräte werden künstliche, softwareinitiierte Verrauschungen vorgenommen.

An den bauartähnlichen (aber nicht bauartgleichen) niederländischen Nedap-Wahlgeräten der Stiftung Wij vertrouwen stemcomputers niet wurden elektromagnetische Abstrahlungen (Radiosignale) festgestellt, die Rückschlüsse auf die Stimmabgabe am Wahlgerät ermöglichen (Meldungen vom 10. Oktober 2006 und 30. Juni 2007). In den Niederlanden führte dies dazu, dass die Computersoftware aller Nedap-Wahlgeräte überarbeitet werden musste. Eine analoge Untersuchung an Wahlgeräten des Mitbewerbers SDU führte wegen deren massiven Abstrahlungen dazu, dass diese Geräte zur Wahl am 22. November 2006 nicht eingesetzt werden durften und in der Stadt Amsterdam auf den bewährten roten Wahlstift zurückgegriffen werden musste.

Die Physikalisch-Technische Bundesanstalt (PTB) konnte an den in Deutschland eingesetzten und besser abgeschirmten Geräten keine solchen identifizierbaren Signale erkennen. Allerdings lassen sich diese durch eine versehentliche oder absichtliche Beschädigung der Abschirmung nicht völlig ausschließen und durch die schnelle technische Entwicklung steigt die Empfangsqualität schwacher Signale immer weiter an.

Wir haben die HSG Wahlsysteme GmbH um die Prüfberichte – welche die Grundlage für die Bauartzulassung sind – der neuen Geräte gebeten, die diese Bitte an Nedap (NL) weitergeleitet hat. Wir werden diese Prüfberichte analog der Baumusterprüfung eines Wahlgerätes: ESD1 hier dokumentieren.

Übernahme in Bundeswahlgeräteverordnung

Das BMI beabsichtigt diese Vorkehrungen als Standard in der Bundeswahlgeräteverordnung (BWahlGV) vorzuschreiben, will aber erst Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts in einschlägigen Wahlprüfungsverfahren abwarten. In Karlsruhe sind drei Wahlprüfungsbeschwerden (2 BvC 3/07, 2 BvC 4/07 und 2 BvC 5/07) wegen des Einsatzes von Wahlcomputern bei der Bundestagswahl 2005 anhängig, die Sicherheitsbedenken, Verstöße gegen Wahlordnungen und Wahlgesetze geltend machen, aber vor allem die Verfassungsmäßigkeit durch die fehlende Öffentlichkeit und Transparenz der Abläufe im Wahlgerät in Frage stellen. Auf Anfrage von Wahlrecht.de teilte die Presseprecherin des Bundesverfassungsgerichts mit, dass die Entscheidungen für Anfang 2008 angestrebt werden.

Auch das BMI sieht die von Wahlgerätekritikern beschriebene Gefahr durch Innentäter, räumt eine theoretische Manipulierbarkeit ein („Einen absoluten technischen Schutz vor Wahlmanipulationen wird es nie geben.“) und verweist auf ein Bündel technischer und organisatorischer Sicherungsmaßnahmen in den wahlrechtlichen Regelungen sowie die dezentrale Organisation der Wahl durch die Gemeindebehörden.

Die Erfahrungen aus den Niederlanden, aufgrund derer das niederländische Innenministerium entschied, die Nedap-Wahlgeräte bis auf weiteres nicht mehr einzusetzen, seien auf Deutschland nicht übertragbar. Das BMI sieht im Einsatz von Wahlgeräten nach wie vor eine sichere Alternative zur Wahl mit Stimmzettel und Urne.

Auswirkungen auf die hessische Landtagswahl

Auf die Landtagswahl in Hessen werden die geplanten neuen Anforderungen in der BWahlGV aber keine direkten Auswirkungen haben (nach der hessischen Landeswahlgeräteverordnung gilt die Zulassung durch das BMI automatisch für die Landeswahlen in Hessen). Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts und damit die darauf folgende ergänzte BWahlGV werden erst nach der Landtagswahl in Hessen erwartet. Damit bleibt jedoch auch die gleiche rechtliche Unsicherheit, falls ein hessischer Wahlberechtigter Wahleinspruch einlegt. Allerdings hat der Landeswahlleiter bisher noch nicht die notwendige Verwendungsgenehmigung für die Wahlgeräte erteilt.

Bei der Bundestagswahl 2005 wurden in folgenden hessischen Gemeinden Wahlcomputer eingesetzt:

PLZGemeindeGeräte
BTW 2005
Planung 2008
34266Niestetal7Einsatz geplant
35683Dillenburg3kein Einsatz
65760Eschborn24kein Einsatz
65812Bad Soden am Taunus15Einsatz geplant
63179Obertshausen11Einsatz geplant
63225Langen21Einsatz geplant
64665Alsbach-Hähnlein6Einsatz geplant
68519Viernheim15Einsatz geplant
68623Lampertheim25Einsatz geplant
65527Niedernhausenkeineerstmaliger Einsatz zur LTW 2008 geplant

Weiterer Einsatz in anderen Bundesländern

In Bad Oeynhausen teilt man nach den Erfahrungen der Landratswahl im Mai 2007 die Einschätzung des Innenministeriums, trotz vereinzelter kritischer Stimmen von Wählern und Wahlhelfern. Bad Oeynhausen benötigte am wenigsten Minuten bis zur Meldung des Gesamtergebnisses – bei sehr geringer Wahlbeteiligung. Der Wahlausschuss der Stadt empfiehlt einstimmig die Anschaffung von 28 solcher elektronischer Wahlgeräte. Allerdings wusste der Wahlausschuss nicht um die rechtliche Diskussion über die Zulässigkeit der Wahl mit Nedap-Wahlcomputern zur Bundestagswahl 2005 und generell bei Wahlcomputern. Die endgültige Entscheidung fällt im nächsten Jahr mit der Verabschiedung des Haushaltes.

Die letzte Wahl mit Nedap-Wahlcomputern war am 11. November 2007 der erste Wahlgang der Bürgermeisterwahl in Fredersdorf-Vogelsdorf. Die Stichwahl findet am 2. Dezember 2007 statt. Wie zur Hauptwahl haben sich Wahlbeobachter angekündigt.

Entwicklung bei der Wahlcomputerpetition

Der Petitionsauschuss des Deutschen Bundestages hat inzwischen die Petition gegen Wahlcomputer an die Bundesregierung weitergeleitet und erwartet eine schriftliche Stellungnahme innerhalb eines Jahres.

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von Martin Fehndrich (30.11.2007, letzte Aktualisierung am 07.01.2008)