Nachrichten

[Aktuelle Meldungen]

18.10.2007

Nachtrag vom 16.12.2008: Der Verfassungsgerichtshof für das Land Nordrhein-Westfalen (VerfGH NW) hat im Organstreitverfahren – VerfGH 12/08 – der Ökologisch-Demokratischen Partei (ödp) gegen den nordrhein-westfälischen Landtag die Sperrklausel im Kommunalwahlgesetz für verfassungswidrig erklärt.

„Sperrklausel“ im Kommunalwahlgesetz NRW verfassungswidrig – Pressemitteilung des VerfGH NW vom 16.12.2008
Kommunalwahlrecht von Nordrhein-Westfalen im Vergleich

NRW: Kommunalwahlgesetz trotz vieler Mängel in Kraft getreten

Am 17. Oktober 2007 ist das neue nordrhein-westfälische Kommunalwahlgesetz in Kraft getreten. Die am 20. September 2007 in dritter Lesung mit den Stimmen von CDU und FDP beschlossene Reform des Wahlgesetzes (LT-Drs. 14/3977 mit Änderungen in LT-Drs. 14/4980) ist – neben einer Reihe technischer Mängel – auch zum Teil verfassungsrechtlich bedenklich.

Sperrhürde für den ersten Sitz – manchmal auch oberhalb von fünf Prozent

Die gegenüber dem ursprünglichen Gesetzentwurf verschärfte Sperrklausel für die nordrhein-westfälische Kommunalwahlen kann dazu führen, dass eine Partei mehr als die im Durchschnitt für einen Sitz notwendigen Stimmen erhalten muss, um in den Gemeinderat oder Kreistag gewählt zu werden. In kleineren Gemeinden (mit bis zu 36 Gemeinderatssitzen) kann diese Hürde auch oberhalb von 5 Prozent der gültigen Stimmen liegen (bis über 8,6 Prozent). Sowohl die Möglichkeit, dass einer Partei mit mehr als 5 Prozent der Stimmen der Einzug in den Gemeinderat verweigert wird, als auch eine inhaltlich nicht begründete Hürde, die über der mittleren Stimmenzahl für einen Sitz liegen kann, sind verfassungsrechtlich problematisch.

Dabei wurde im Landtag selbst festgestellt, dass eine verfassungsrechtlich weitgehendere Begründung für eine Sperrklausel notwendig ist, als der deutlich artikulierte Wunsch, einige nicht dabei haben zu wollen. Es sei aber nicht zu erkennen, wie das Gericht guten Gewissens mit einer schlüssigen Begründung überzeugt werden könne. Mit dieser Begründung wurden auch zwei (wortgleiche) Gesetzentwürfe der SPD und der GRÜNEN verworfen, die eine 2- bzw. 3 Prozent-Hürde vorsahen, welche allerdings nicht die geforderte Begründung, einen Nachweis der Funktionsstörung im gewählten Gremium, enthielten. Inhaltlich wurde die Ein-Sitz-Sperrhürde dann aber mit den vielen störenden Einmanngruppierungen begründet und dabei das Beispiel des Kreistags des Rhein-Sieg-Kreises (RSK) gebracht. Allerdings würde keine Gruppierung bei Anwendung des neuen Verfahrens aus dem Kreistag ausscheiden (Wahlergebnis Kreistag RSK 2004). Zur Verwirrung führt auch die Bezeichnung der Einsitzhürde als „Grundmandatsklausel“. Da dieser Begriff bisher für die völlig andersartige Grundmandatsklausel im Bundestagswahlrecht gebraucht wurde (in § 6 BWahlG am Ende des ersten Satzes), droht hier Verwechslungsgefahr, insb. da aus dem Urteil zur Grundmandatsklausel zitiert wurde (BVerfGE 95, 408).

Aber auch für die eigentlich beabsichtigte 1,0-Sitz-Sperrhürde fehlt die verfassungsrechtliche Rechtfertigung. Dies galt auch für die vor der Verschärfung des Entwurfes ursprünglich vorgesehene 0,75-Sitz-Hürde. Dass es einer solchen Begründung auch hier bedarf, meint jedenfalls ein Gutachten des Innenministeriums zum Grundsatz der Wahlgleichheit in § 33 KWahlG (Kommunalwahlrecht NRW, S. 20 f.) aus dem Jahr 2005.

Verfassungsrechtliche Beurteilung

Nach dieser Logik hat der Gesetzgeber zwei Grenzen zu beachten. Die Fünfprozenthürde, die als maximale Sperrklausel nicht überschritten werden darf und die Einsitzhürde, deren Verschärfung einer verfassungsrechtlichen Begründung bedarf.

Beide Grenzen werden durch die unglückliche Zuordnung der Gesetzformulierungen überschritten, so dass der Gesetzesentwurf als verfassungsrechtlich bedenklich einzustufen ist.

Mängel erkannt, aber nicht gebannt

Erstaunlicherweise wurden einige der handwerklichen Mängel im Gesetzentwurf vom Landtag explizit (und ähnlich der Wahlrecht.de-Kritik) angesprochen, aber ohne daß es noch zu einer Korrektur gekommen wäre.

Meldungen


von Martin Fehndrich (18.10.2007, letzte Aktualisierung am 19.10.2007)