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10.10.2006

Kann man mit Wahlcomputern in Deutschland geheim wählen? Oberbürgermeisterwahl in Cottbus am 22. Oktober 2006

Die durch einen niederländischen Fernsehbericht in der vergangen Woche bekannt gewordenen Sicherheitslücken bei Wahlcomputern treffen möglicherweise auch auf die in Deutschland zugelassenen Wahlgeräte zu. Deren nächster Einsatz steht schon am 22. Oktober 2006 bei der Wahl des Oberbürgermeisters in Cottbus an.

So beschreibt die niederländische Aktionsgruppe „Wij vertrouwen stemcomputers niet“ („Wir vertrauen Wahlcomputern nicht“) in ihrer Sicherheitsstudie vom 4. Oktober 2006, daß die untersuchten Wahlcomputer ES3B der Firma Nedap auf verschiedenen UKW-Frequenzen Funksignale aussenden, die mit einem Radioempfänger in einem Abstand von bis zu 25 Metern empfangen werden können und Hinweise auf das Wahlverhalten geben.

Wegen des mit einfachsten Hilfsmitteln zu realisierenden Stimmen-Detektors empfiehlt die Initiative bei Einsatz der ESB3-Geräte sofortiges Handeln.

Nach Angaben der Aktionsgruppe sehen die 200 ms langen Signale des Wahlgeräts nach Auswahl der Kandidaten auf dem untersuchten (niederländischen) Wahlgerät ES3B so aus:

fingerprint Wahl1
Kandidat A
fingerprint Wahl2
Kandidat B
fingerprint Wahl3
Kandidat C
Spektrum-Bilder der Funksignale von Stimmabgaben für unterschiedliche Kandidaten aus der Sicherheitsstudie von „Wij vertrouwen stemcomputers niet“

Situation in Deutschland – Weitgehende Bauartähnlichkeit der deutschen Geräte

Da die in Deutschland hergestellten Wahlcomputer vom selben Hersteller und zumindest in der Bauart ähnlich sind, stellt sich natürlich die Frage, ob dabei das Prinzip der geheimen Wahl gewahrt werden kann. Akut stellt sich diese Frage bei der Wahl des Oberbürgermeisters der Stadt Cottbus am 22. Oktober 2006.

Der „CDA- oder Grünen-Detektor“ in der einfachsten Form funktioniert in Deutschland zum Glück nicht. Er beruht auf einer geringeren Frequenz beim Display-Refresh, wenn Sonderzeichen (dazu gehören Akzente oder Umlaute) dargestellt werden. Die Aktionsgruppe empfiehlt dementsprechend, auf Sonderzeichen generell zu verzichten, oder diese generell (z. B. in als Sonderzeichen definierten Leerzeichen) zu verwenden. Da in Deutschland nach der Auswahl im Display immer die Aufforderung erscheint „Bitte Stimmabgabe drücken“, wird generell ein Umlaut verwendet und ist diese Empfehlung schon umgesetzt. Glück gehabt.

Die in Deutschland zugelassenen Geräte ESG1 und ESG2 sind allerdings mit den niederländischen Geräten nicht völlig baugleich, stimmen aber in vielen Teilen überein. Beispielsweise erkennt man anhand der Baumusterprüfung eines Wahlgerätes, daß die gleichen Geräteschlüssel (Seite 7 – 2.5 Zubehör) verwendet werden. Eine weitgehende Gleichheit der Bauart ergibt sich aus den Zulassungsunterlagen, mit denen Nedap die Bauarten ESD-1 und ES3B vergleicht (Bauteilvergleich durch die niederländische Prüfbehörde TNO).

Keine klare Aussage zu den Funksignalen deutscher Geräte trifft die Physikalisch-Technische Bundesanstalt (PTB) in ihrer Stellungnahme vom 9. Oktober 2006, die allerdings den Inhalt des Berichtes sehr erst nimmt. Die PTB hält den Teil des Berichtes über die Abstrahlungsmessung und die Schlussfolgerung daraus für nicht übertragbar auf die in Deutschland eingesetzten Geräte, da diese einen im Vergleich zur Beschreibung im Bericht anderen mechanischen Aufbau mit insbesondere erhöhtem Schutz gegen Ab- und Einstrahlungen haben.

Auf Anfrage bestätigte der für die Prüfung der Wahlgeräte verantwortliche Fachbereichsleiter bei der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt, Prof. Dieter Richter, daß es nach den (bisherigen) Erkenntnissen keine Hinweise auf eine Gefährdung des Wahlgeheimnisses durch Messung der Abstrahlung bei den in Cottbus zur Anwendung kommenden Geräten gebe. Dies werde gegenwärtig aber noch einmal überprüft.

Auch die Kreiswahlleiterin in Cottbus, Sabine Hiekel, verweist auf die andere Bauart der deutschen Geräte, die nach deutschen Vorschriften zugelassen und geprüft worden seien, versichert aber, daß den Hinweisen auf jeden Fall nachgegangen werde.

Dagegen verweisen die Autoren der Sicherheitsstudie auf die weitgehende Baugleichheit der deutschen ESD-1- und holländischen ES3B-Geräte, die sich aus einem Bauteilvergleich durch die niederländische Prüfbehörde TNO ergibt, die keinen Schluß auf ein anderes Abstrahlverhalten im Radiofrequenzbereich erkennen lasse.

Nach Angaben der HSG Wahlsysteme GmbH ist auch Nedap derzeit mit einer Analyse befasst.

Es ist eigentlich schwer vorstellbar, daß die PTB gerade auf dem Gebiet der Messtechnik, eine ihrer Kernkompetenzen, etwas übersehen haben soll. Wir gehen daher davon aus, daß der von der PTB untersuchte Wahlcomputer keine so intensiven Funksignale aussendete, wie das von der Aktionsgruppe untersuchte Gerät.

Zu klären ist demnach, ob die anderen Geräte in Deutschland verräterische Funksignale senden oder ob die niederländischen Geräte doch nicht so ähnlich in der Bauart sind, wie von Nedap gegenüber TNO in den Niederlanden dargestellt.

Strafbarkeit nach § 107c StGB – Verletzung des Wahlgeheimnisses

Der Einsatz eines Stimmendetektors bei einer echten Wahl ist wegen der Strafbarkeit nach § 107c StGB verboten.

Wer einer dem Schutz des Wahlgeheimnisses dienenden Vorschrift in der Absicht zuwiderhandelt, sich oder einem anderen Kenntnis davon zu verschaffen, wie jemand gewählt hat, wird mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.

Daher rät Wahlrecht.de dringend – bis zur Klärung dieses Problems – davon ab, bei der Cottbusser Oberbürgermeisterwahl am 22. Oktober mit Empfangsgeräten (Radios, MP3-Player mit Rundfunkteil, Mobiltelefonen usw.) in der Nähe von Wahllokalen zu experimentieren.


von Martin Fehndrich und Matthias Cantow (10.10.2006, letzte Aktualisierung: 11.10.2006)