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18.11.2005

Wahleinspruch gegen die Verwendung von Wahlcomputern

Fehlende öffentliche Kontrolle – Manipulationen möglich

Ein Politikwissenschaftler und ein Software-Spezialist haben Einspruch gegen die Verwendung von Wahlcomputern bei den Bundestagswahlen eingelegt. Das Zustandekommen des Wahlergebnisses sei beim Einsatz von Wahlcomputern nicht öffentlich nachvollziehbar und damit gesetzeswidrig. Außerdem seien die in Deutschland eingesetzten Geräte in keiner Weise manipulationssicher. Etwa zwei Millionen Wähler gaben am 18. September ihre Stimmen an solchen Geräten ab.

Berlin, November 2005. Weil in etwa zweitausend Wahlbezirken mit Wahlcomputern abgestimmt worden ist, haben der Politikwissenschaftler Prof. Dr. Joachim Wiesner (71) und der Softwarespezialist Dr. Ulrich Wiesner (38) beim Bundestag Einspruch gegen das Ergebnis der Wahl vom 18. September eingelegt (Az. WP 108/05 und WP 145/05). Die beiden begründen ihren Einspruch mit der fehlenden Kontrollmöglichkeit des Ergebnisses durch die Öffentlichkeit. Die Möglichkeit einer öffentlichen Kontrolle sei die wesentliche Voraussetzung für demokratische Wahlen überhaupt.

Die beanstandeten Geräte sind erstmals 1999 in Köln zum Einsatz gekommen und werden inzwischen in ca. 30 Wahlkreisen zum Teil flächendeckend eingesetzt – über zwei Millionen Wähler sind davon betroffen. Die Wahlcomputer verzichten auf eine geräteunabhängige Kontrollmöglichkeit des Wahlergebnisses, wie z. B. ein Papierprotokoll.

„Der Einsatz dieser Wahlcomputer verstößt in vielfacher Weise gegen geltendes Recht“, stellt der Politikwissenschaftler Joachim Wiesner fest. „Die Art und Weise, in der bei diesen Geräten das Ergebnis festgestellt wird, stellt sogar eine geheime Auszählung dar. Deshalb ist der Einsatz der Geräte von Anfang an gesetzeswidrig. Das Öffentlichkeitsprinzip bei Wahlen ist unveräußerliche Grundlage aller demokratischen Kontrolle“, meint der Wahlexperte.

Manipulation in zwei Minuten – Deutsche wählen mit Geräten, die andere Länder als unsicher einstufen

Der Einsatz von Wahlcomputern ist in der Bundeswahlgeräteverordnung geregelt. Diese sieht vor, dass Wahlgeräte nach Begutachtung durch die Physikalisch-Technische Bundesanstalt vom Bundesinnenministerium zugelassen werden. Danach liegt es im Ermessen der Gemeinden, ob sie solche Wahlgeräte anschaffen und einsetzen wollen. Die nun beanstandeten Geräte der niederländischen Firma Nedap haben dieses Zulassungsverfahren erfolgreich durchlaufen.

Die Regierung der Republik Irland, welche die Nedap-Geräte ebenfalls angeschafft hat, musste nach heftigen öffentlichen Protesten gegen deren Einsatz eine Expertenkommission einsetzen. Diese sah sich in ihrem Ende 2004 veröffentlichen Abschlußbericht außerstande, den Einsatz der Geräte zu empfehlen. „Der Bericht der Kommission liest sich wie ein Krimi“, sagt Software-Experte Ulrich Wiesner. „Die Gutachten weisen sowohl auf konzeptionelle Mängel als auch auf konkrete Sicherheitslücken hin: Die Gutachter der Dublin City University schätzen, dass zwei Minuten ausreichen, um die auf den Wahlcomputern installierte Software gegen eine manipulierte Version auszutauschen. Sogar eine detaillierte Bedienungsanleitung zum Aushebeln der Sicherheitsmerkmale der PCs, mit denen die Wahlcomputer für den Einsatz im Wahllokal konfiguriert werden, findet sich im Kommissionsbericht“, sagt Wiesner.

Ergebnis so überprüfbar wie ein Kontostand ohne Kontoauszüge

„Es ist schon erstaunlich, dass der Einsatz von Wahlcomputern hierzulande kaum diskutiert wird, während in den USA, Irland und anderen Ländern eine heftige Debatte tobt,“ wundert sich der IT-Spezialist. „Stellen Sie sich vor, Ihre Bank verzichtet zukünftig darauf, Kontoauszüge zu erstellen, und teilt Ihnen nur noch monatlich den Kontostand mit. Dann können Sie nicht mehr nachvollziehen, wie der Kontostand zustande gekommen ist. Genau diese Kontrollmöglichkeit fehlt Ihnen bei dem per Wahlcomputer zustande gekommenen Wahlergebnis auch. Letztendlich kann sich der Wähler nicht einmal sicher sein, ob er überhaupt gewählt hat.“

Über den Wahleinspruch muss nun der Bundestag als erste Wahlprüfungsinstanz entscheiden. Die Entscheidung wird vom Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung vorbereitet. Das Wahlprüfungsgesetzt sieht vor, dass zu jedem (nicht offensichtlich unbegründeten) Einspruch auch eine öffentliche Verhandlung anberaumt wird. Sollte der Bundestag den Wahleinspruch abweisen, so steht den Klägern noch der Weg zum Bundesverfassungsgericht offen.

Zur Person

Dr. Ulrich Wiesner (38) arbeitet für ein amerikanisches Software-Unternehmen und berät Banken bei der Einführung von Computeranwendungen im Bereich Konsumentenkredite. Er ist promovierter Physiker und lebt in Neu-Isenburg bei Frankfurt.

Prof. Dr. Joachim Wiesner (71) war bis zu seiner Emeritierung im Jahre 1999 hauptberuflich Professor der Politikwissenschaft einschließlich Sozialpolitik und der Empirischen Sozialforschung an der Katholischen Fachhochschule Nordrhein-Westfalen, Abteilung Köln und lehrte außerdem als Privatdozent an der Universität zu Köln. In seiner aktiven Zeit hat er sich unter anderem mit dem internationalen Vergleich von Wahlsystemen und deren Einfluss auf die politische Stabilität der jeweiligen Länder beschäftigt. Joachim Wiesner lebt heute in Bonn.

Literatur- und Recherchehinweise


von Dr. Ulrich Wiesner (18.11.2005, letzte Aktualisierung: 18.11.2005)