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11.02.2011

GRÜNE preschen voran und wollen überhängende Direktmandate unbesetzt lassen

Als erste Bundestagsfraktion in der laufenden Legislaturperiode haben die Grünen einen Gesetzentwurf zur Reform des Bundestagswahlrechts vorgelegt. In der Begründung ihres Entwurfs kritisieren die Grünen die Koalitionsfraktionen von CDU/CSU und FDP, weil diese auch zweieinhalb Jahre nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum negativen Stimmgewicht keinen Gesetzentwurf zur Umsetzung des Urteils erarbeitet hätten. Dies stelle eine Missachtung des Bundesverfassungsgerichts dar, das mit der bis zum 30. Juni laufenden Frist unbedingt eine ausreichende Beratungszeit im Parlament habe sichern wollen. (Zu den Plänen von CDU/CSU, FDP und SPD siehe unsere Meldung vom 3. Januar 2011: „Bundestagsfraktionen verhandeln über 1953er-Wahlrecht und Ausgleichsmandate“.)

Listenverbindungsinterne Kompensation

Inhaltlich entspricht der nun vorgelegte Entwurfs weitgehend dem Vorschlag der Grünen aus dem Jahr 2009. Demnach sollen Überhangmandate einer Partei mit den Listenmandaten, die diese Partei in anderen Bundesländern erringen konnte, verrechnet werden. Allerdings konnte bei der Bundestagswahl 2009 erstmals die CSU in Bayern Überhangmandate erringen, die mangels anderer Landesverbände auf diese Weise nicht hätten verrechnet werden können. Auch bei der CDU hätten bundesweit nicht genügend Listenmandate zur Verfügung gestanden, um den Überhang auszugleichen, wenn die CDU lediglich einen Wahlkreis mehr gewonnen hätte.

Wahlkreissieger ohne Direktmandat

Der neue Gesetzentwurf der Grünen hat nun auch für diese Fälle eine – recht radikale – Lösung parat: Die überhängenden Direktmandate sollen einfach unbesetzt bleiben. Konkret schlagen die Grünen vor, dass so viele Wahlkreissieger in der Reihenfolge der niedrigsten Erststimmenanteile keinen Sitz erhalten, dass kein Überhang mehr besteht. Hätte diese Regelung bei der Bundestagswahl 2009 gegolten, wären die CSU-Kandidaten in den Wahlkreisen München-Ost (Herbert Frankenhauser), München-Nord (Johannes Singhammer) und Nürnberg-Nord (Dagmar Wöhrl) nicht ins Parlament eingezogen. Eine solche Regelung galt vor über 50 Jahren schon einmal im bayerischen Landtagswahlrecht und wurde damals vom Bayerischen Verfassungsgerichtshof gebilligt.

In der Entwurfsbegründung signalisieren die Grünen außerdem Gesprächsbereitschaft über eine Alternativlösung, die dahin geht, als zusätzliches Auswahlwahlkriterium beim Wegfall eines Wahlkreismandates auf die Frage abzustellen, ob der Wahlkreis über die Landesliste im Parlament vertreten ist. Hiervon hätte Johannes Singhammer bei der letzten Wahl profitiert, dessen Wahlkreis München-Nord anderenfalls verwaist wäre. Statt seiner wäre Hans-Peter Uhl aus dem Wahlkreis München-West/Mitte außen vor geblieben.

Berliner Zweitstimmen

Darüber hinaus sieht der Entwurf der Grünen vor – wie bereits ein Entwurf der CDU/CSU-Fraktion aus dem Jahre 2005 –, dass die Zweitstimmen von Wählern, die mit ihrer Erststimme einen erfolgreichen Wahlkreisbewerber einer Partei gegeben haben, die an der Fünfprozenthürde gescheitert ist, bei der Sitzverteilung nicht mehr berücksichtigt werden. Diese Stimmen werden seit der Bundestagswahl 2002 „Berliner Zweitstimmen“ genannt, als die PDS nur in Form zweier Direktmandate aus zwei Berliner Wahlkreisen ein Direktmandat erzielen konnte. Um die Berücksichtigung der Berliner Zweitstimmen war damals ein politischer und rechtlicher Streit entstanden, der sogar zu einer Nachzählung der Stimmen in diesen Wahlkreisen führte. Das Bundesverfassungsgericht hatte in zwei Entscheidungen aus den Jahren 1988 und 2009 dem Gesetzgeber zu erwägen gegeben, diese Zweitstimmen künftig ebenso unberücksichtigt zu lassen wie die Zweitstimmen von Wählern, die einem parteilosen Einzelbewerber zu einem Wahlkreissitz verholfen haben. Nachdem der Grünen-Entwurf mit dem doppelten Stimmgewicht selbst bei externen Überhangmandaten Schluss macht, dürfte es ein Gebot der Wahlgleichheit sein, die sog. Berliner Zweitstimmen ebenfalls zu neutralisieren.

Weitergehende Ideen von DIE LINKE

Sehr viel weiter als der grüne Gesetzentwurf gehen die Vorstellungen, die innerhalb der Partei DIE LINKE diskutiert werden. Ein Gesetzentwurf der Bundestagsfraktion liegt zwar noch nicht vor, aber immerhin ein öffentliches Positionspapier für den Parteivorstand. Dieses Papier sieht u. a. vor: Senkung des aktiven und passiven Wahlalters, Wahlrecht für Einwohner ohne deutsche Staatsbürgerschaft, mehr Einflusses der Bürger auf die Wahl der Abgeordneten, Aufhebung des Parteienmonopols bei der Aufstellung der Kandidaten, Abschaffung der 5 %-Hürde, Verbot von Wahlcomputern, Auflösung der Wahlausschüsse und alleinige gerichtliche Prüfung des Wahlverfahrens sowie die Einführung des passiven Wahlrecht für Straftäter.

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von Wilko Zicht (11.02.2011)