Nachrichten

[Aktuelle Meldungen]

29.06.2009, Nachträge: 01.07.2009, 03.07.2009

Nachtrag 03.07.2009:

Meldung: Bundestag lehnt verfassungsgemäßes Wahlrecht zur Bundestagswahl 2009 ab

Nachtrag 01.07.2009: Innenausschuss empfiehlt Ablehnung des Gesetzentwurfs

In der Sitzung des federführenden Innenausschusses wurde heute mit den Stimmen der CDU/CSU, SPD und FDP beschlossen, dem Plenum die Ablehnung des Gesetzentwurfs (BT-Drs. 16/11885) zur Änderung des Bundeswahlgesetzes zu empfehlen.

Bundestagswahlrecht 2009: Nebelkerzen in Anhörung

Am kommenden Mittwochvormittag wird der Innenausschuss des Deutschen Bundestages über einen Gesetzentwurf der GRÜNEN (BT-Drs. 16/11885) zur Beseitigung des negativen Stimmgewichts im Bundeswahlgesetz abstimmen, bevor am Freitag über den Entwurf in der letzten ordentlichen Plenumssitzung vor der Bundestagswahl 2009 abschließend beraten und entschieden wird.

Nachdem am 17. Juni der letzte Versuch zwischen Union und SPD scheiterte, die vom Bundesverfassungsgericht im Juli 2008 geforderte Änderung des verfassungswidrigen Wahlrechts noch vor der Bundestagswahl am 27. September 2009 gemeinsam zu beschließen, dürfte das im Koalitionsvertrag vereinbarte Abstimmungsverhalten bei streitigen Punkten eine Novellierung verhindern. Die am Wochenende – endlich – aufgeflammte Diskussion rückt das Thema jedoch noch einmal in den Blickpunkt der Öffentlichkeit.

Vorgebrachte Gründe gegen eine zügige Änderung

Die von der Unionsseite genannten Argumente gegen eine Gesetzesänderung in dieser Wahlperiode sind vor allem rechtliche Bedenken einerseits und die zeitliche Knappheit für eine Gesetzesänderung andererseits. Letzteres erscheint insofern fragwürdig, als der Gesetzentwurf zwar lange nach dem Urteil, aber noch im Februar 2009 in den Bundestag eingebracht und am 5. März das erste Mal beraten wurde. Es sind schon weitaus komplexere Sachverhalte in kürzerer Zeit in Gesetzen geregelt worden, zumal das Problem der Überhangmandate und die im Entwurf enthaltene Lösung nicht wirklich neu sind.

Aber auch die rechtlichen Bedenken greifen nicht bzw. sie zeigen, dass die Abgeordneten noch immer nicht den Umfang der vom Bundesverfassungsgericht beanstandeten Regelung kennen. Das wurde besonders in der öffentliche Anhörung von Sachverständigen zum Gesetzentwurf der GRÜNEN am 4. Mai im Innenausschuss des Bundestages deutlich.

Unkenntnis über das negative Stimmgewicht

In dieser Anhörung gab es bis zum Schluss einen offenen Widerspruch zwischen den Aussagen des Sachverständigen Wilko Zicht (Wahlrecht.de) einerseits und des Sachverständigen Johann Hahlen (dem früheren Bundeswahlleiter) und später auch Heinrich Lang sowie der Ausschussmitglieder Gisela Piltz (FDP) und Stephan Mayer (CSU) andererseits, der nicht aufgeklärt wurde. Zicht widersprach deutlich der Darstellung von Hahlen, es ginge nur um einen kleinen, nicht vorhersehbaren Effekt, auf den ein Wähler nicht reagieren könne. Bei Hahlens Behauptung, das negative Stimmgewicht trete nur in einem gewissen Fenster auf, das sich nicht vorhersagen lasse, handelt es sich – im Gegensatz zu den verschiedenen verfassungsrechtlichen Standpunkten – um einen mathematisch widerlegbaren Irrtum.

Negatives Stimmgewicht – ein großer, vorhersehbarer und ausnutzbarer Effekt

Die Dringlichkeit einer Änderung des Wahlrechts zur Bundestagswahl 2009 beruht sehr stark auf der Größe des negativen Stimmgewichts, die sich durch die folgenden Eigenschaften bemerkbar macht:

In der Anhörung genannte „Bedenken“

Daneben gab es einige rechtliche Bedenken, von denen wir hier die wichtigsten nennen:

Die rechnerische „Wegnahme“ von Mandaten

Einige Probleme scheinen die Formulierungen im Gesetzentwurf der GRÜNEN zu bereiten, die angeblich zuvor schon zugeteilte Mandate entziehen. Folgte man dieser Ansicht, wäre auch im derzeit geltende Wahlgesetz rechtlich bedenkliche Regelungen (außerhalb der von Karlsruhe beanstandeten), wie die Sitzverteilung im ersten Schritt, um diese dann bei der Anrechnung der Direktmandate wieder wegzunehmen. In Wirklichkeit werden keine Sitze weggenommen, sondern gar nicht erst zugeteilt (und auch das ließe sich ohne Wegnahme-Formulierung regeln).

Die föderale Verwerfung

Ein weiterer Vorwurf an den vorliegenden Gesetzentwurf ist die „föderale Verwerfung“, die dieser erzeugen soll, da die Korrektur zulasten nicht überhängender Landeslisten gehe. Die Berücksichtigung föderaler Belange bei einem unitarischen Organ wie dem Bundestag kann aber nur untergeordnet sein (vgl. BVerfGE 121, 266 <Abs. 111>). Eine viel stärkere föderale Verwerfung ergibt sich durch die Überhangmandate selbst und müsste folgerichtig durch das Streichen oder Nichtzuteilen von Direktmandaten beseitigt werden, wenn dieses Prinzip wirklich eine so große Bedeutung haben sollte.

Wahlsoftware und Kinderwahlrecht

Als reine Nebelkerze ist die Forderung zu werten, man solle doch erst einmal alle anderen Probleme des Wahlrechts bis hin zum Thema Kinderwahlrecht in aller Ausführlichkeit behandeln, bevor man sich an die Beseitigung des negativen Stimmgewichts macht. Dies kann niemals eine verfassungswidrige Bundestagswahl 2009 rechtfertigen.

Auch dass gerade die Erstellung der „Wahlsoftware“ den Zeitraum für eine Gesetzesänderung beschränke, erstaunt, da es letztendlich nur darum geht, ob das offizielle Wahlergebnis am Wahlabend ein paar Minuten früher oder später verkündet werden kann. Selbst ohne spezielle Software kann die Sitzverteilung vom Bundeswahlleiter ermittelt und veröffentlicht werden – wir tun dies ja auch regelmäßig.

Kein „Wahlrecht“ – Änderung des Wahlgesetzes geboten

Auch wenn eine Änderung des Bundeswahlgesetzes um so mehr Nebenwirkungen zeigt, je näher der Wahltermin gerückt ist, kann diese Änderung theoretisch auch noch in der Woche vor dem Wahltermin kommen.

Und dass eine Gesetzesänderung noch vor der Bundestagswahl 2009 notwendig ist, sollte allen Beteiligten (Abgeordnete, Fraktionen und Parteien) klar sein. Hans Meyer brachte es in der Anhörung auf den Punkt:

„Es ist kein Wahlrecht, wenn man eine Stimme für eine Partei gibt und sie wird gegen die Partei gewertet. Das ist kein Wahlrecht, das hat noch nicht einmal etwas mit Gleichheit und Unmittelbarkeit zu tun, sondern der Grund der Wahl ist vielmehr in einem solchen Fall zerstört.“

Stellungnahmen der Sachverständigen

Meldungen


von Martin Fehndrich und Matthias Cantow (29.06.2009, letzte Aktualisierung: 06.07.2009)