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13.08.2007

Öffentliche Anhörung zum Landtagswahlrecht in Nordrhein-Westfalen

Am 16. August findet um 10 Uhr im Landtag in Düsseldorf eine öffentliche Expertenanhörung des Hauptausschusses zur geplanten Wahlrechtsreform statt. Der Fokus der Fragestellungen (Fragenkatalog, geladene Experten) liegt dabei auf den Themen Zweistimmenwahlrecht, Sitzzuteilungsverfahren und der Senkung des aktiven Wahlalters auf 16 Jahre (siehe auch unsere Meldungen vom 6. Dezember 2006 „NRW-Regierungskoalition will Wahlgesetze ändern“ und 21. Februar 2007 „Neue NRW-Wahlgesetze – Widersprüche in den Referentenentwürfen“).

Dies ist die Gelegenheit für den Landtagsausschuss, sich mit folgenden Themen zu befassen:

  1. das Für und Wider eines Zweistimmenwahlrechts mit weitgehend wirkungsloser Erststimme
  2. Vorteile und Eigenschaften des Divisorverfahrens mit Standardrundung (Sainte-Laguë), insbesondere bei Parlamenten mit nicht konstanter Gesamtmandatszahl wie in NRW (aber auch mit der unverständlichen Formulierung des Verfahrens im Gesetzentwurf der Landesregierung)
  3. die Widersprüche in der Ausgleichsmandateregelung
  4. die halbe Ersatzbewerberregelung und
  5. eine Ausgleichsmandateregelung für erfolgreiche Wahlkreiskandidaten, die keiner Landesliste mit fünf Prozent der Stimmen zugeordnet werden (vgl. Besserstellung einer Partei, da sie keine fünf Prozent der Stimmen bekommen hat).

Zu den fünf Themen

  1. Statt einer weitgehend wirkungslosen Erststimme, die keinen Vorteil für eine Partei hat, sollte man eine Berücksichtigung wie im bayerischen Landtagswahlrecht erwägen.

  2. Wahlrecht.de begrüßt die Einführung des Divisorverfahrens mit Standardrundung (Sainte-Laguë). Der Wechsel wird u. a. mit einer ähnlichen geplanten Änderung im Bundestagswahlsystem begründet, die von einem vom Bundestagswahlprüfungsausschuss erbetenen Gutachten des Innenministeriums gestützt wird. Jetzt muss das Verfahren nur verständlich als Gesetz formuliert werden, wie zum Beispiel in der Vorlage von Pukelsheim/Maier.

  3. Es sollten genau so viele Ausgleichsmandate zugeteilt werden, wie nötig sind, um eine proportionale Sitzverteilung zu gewährleisten. Nach der derzeit vorgeschlagenen Regelung können sowohl zu viele (Überausgleich) als auch zu wenige Ausgleichsmandate (Unterausgleich) zugeteilt werden. Eine mögliche Beschreibung einer passenden Ausgleichsmandateverteilung ist:

    Basierend auf den Stimmen und Sitzen der Partei mit Überhangmandaten wird nach folgender Formel ein Divisor berechnet.

    Divisor = Stimmen der Überhangpartei / (Sitze der Überhangpartei − 1/2)

    Bei mehreren Parteien mit Überhangmandaten nimmt man den niedrigsten Divisor. Die neuen Sitzzahlen der Parteien berechnen sich durch Division der Stimmenzahlen durch diesen Divisor und kaufmännische Rundung. Ergibt sich dadurch eine gerade Gesamtanzahl von Mandaten, erhält die Partei mit dem nächstgrößten Anspruch Stimmen / (schon zugeteilte Sitze + 1/2) einen weiteren Sitz.

  4. Statt eines Ersatzbewerbers könnte man wie in Bayern einen verstorbenen Kandidaten auf dem Stimmzettel belassen und normal nachrücken lassen. Sieht man aber die durchgehende Vertretung des Wahlkreises durch einen Abgeordneten als wichtig an, dann sollte statt der nur halben Ersatzbewerberregelung (Ersatz nur für Tod des Hauptkandidaten vor der Wahl) der Ersatzbewerber auch nach der Wahl für einen ausscheidenden Wahlkreisabgeordneten nachrücken können. Es reicht auch eine optionale Ersatzbewerberkandidatur.

  5. Ausgleichsmandate werden nur verteilt, wenn die Partei mit Überhangmandaten auch die Sperrklausel von fünf Prozent überwunden hat. Für eine Partei mit Überhangmandaten wäre es demnach für die Sitzverteilung immer besser, überhaupt keine Zweitstimmen erhalten zu haben (oder wenigstens weniger als fünf Prozent). Die anderen Parteien erhielten dann nicht nur keine Ausgleichsmandate, die Sitzzahl der anderen Parteien reduzierte sich auch noch um die Zahl der Überhangmandate. Dies stellt einen doppelten Negativanreiz dar, der in Wahlsystemen nichts verloren haben sollte.

    Eine Lösungsmöglichkeit wäre eine beschränkte Ausgleichsmandateverteilung, bei der man zur Beschränkung der Ausgleichsmandate annimmt, die Kleinpartei hätte 5 % der Stimmen erhalten. Es wird ein neuer Divisor bestimmt, mit dem die Sitzzahlen der anderen Parteien neu berechnet werden, wenn dadurch zusätzliche Mandate verteilt werden.

    Divisor = gültige Stimmen x 0,05 / (Direktmandate der Kleinpartei − 1/2)

    Auch hier kann man bei gerader Gesamtanzahl von Sitzen einen weiteren Sitz an die Partei mit dem höchsten Anspruch verteilen. In den meisten Fällen dürften durch die o. g. Regel keine Ausgleichsmandate verteilt werden. Die Regel zieht nur dann, wenn die Kleinpartei mehr als 5 % der Sitze erhalten hat.

Sachverständige der Anhörung

Fragenkatalog

I. Einführung Zweitstimme

1. Ist die Einführung einer Zweitstimme in NRW ein richtiger Schritt?

2. Welche Entwicklung sind in anderen Bundesländern, die über eine Zweitstimme verfügen, und auf Bundesebene in Bezug auf Stimmensplitting, Einflussfaktoren und Kenntnis des Wahlsystems festzustellen?

3. Welche Auswirkungen hätte die Einführung einer Zweitstimme in NRW?

II. Wahlsystem

4. Ist die Umstellung auf das Divisor-Verfahren nach Sainte-Lague ein richtiger Schritt?

5. Sind bei der Formulierung der Ausgleichsmandateregelung Probleme zu erwarten?

6. Wie ist die Ersatzbewerberregelung zu beurteilen?

III. Wahlrecht mit 16

7. Sollte das Wahlalter auf 16 Jahre abgesenkt werden?

8. Welche Erfahrungen und Erkenntnisse liegen in NRW und anderen Bundesländern mit der Herabsetzung des Wahlalters bei Kommunalwahlen auf 16 Jahren vor?

9. War dabei festzustellen, dass Jugendliche sich bei ihrer Wahlentscheidung im Vergleich zu anderen Altersgruppen verstärkt beeinflussen ließen oder zu radikalerem Wahlverhalten neigten?

10. Unterscheiden sich die verschiedenen Altersgruppen in der Wahrnehmung und Beurteilung von Wahlthemen?

Schriftliche Stellungnahme und Dokumente der Experten

Meldungen


von Martin Fehndrich (12.08.2007, letzte Aktualisierung am 14.08.2007)