Rechenbeispiel: NRW-Einsitzhürde

[Nordrhein-Westfalen]

Nachtrag vom 16.12.2008: Der Verfassungsgerichtshof für das Land Nordrhein-Westfalen (VerfGH NW) hat im Organstreitverfahren – VerfGH 12/08 – der Ökologisch-Demokratischen Partei (ödp) gegen den nordrhein-westfälischen Landtag die Sperrklausel im Kommunalwahlgesetz für verfassungswidrig erklärt.

„Sperrklausel“ im Kommunalwahlgesetz NRW verfassungswidrig – Pressemitteilung des VerfGH NW vom 16.12.2008
Kommunalwahlrecht von Nordrhein-Westfalen im Vergleich

Eine Sperrhürde oberhalb von 5 % im Kommunalwahlrecht NRW

Das nordrhein-westfälische Kommunalwahlgesetz findet sich seit dem 17. Oktober 2007 eine Sperrklausel für den ersten Sitz (Kommunalwahlsystem Nordrhein-Westfalen). Gleichzeitig wurde das Divisorverfahren mit Standardrundung (Sainte-Laguë) eingeführt. Die etwas verworrene Ausformulierung dieses Verfahrens im Gesetz, aber auch ein Bezug auf den falschen Divisor können dazu führen, dass eine Partei mit mehr als einem Anspruch von 1,0 Sitzen bzw. von mehr als 5 Prozent der Stimmen nicht im Gemeinderat vertreten ist.

Beispiel

Als Beispiel ein (fiktives) Wahlergebnis einer Gemeinde mit 20 Gemeinderatssitzen. Partei A hat 5 % der Stimmen und man sollte meinen, sie wäre damit auch im Gemeinderat.

Partei   Stimmen
 A  5%    50
 B  8%    80
 C  8%    80
 D 39%   390
 E 40%   400
SUMME  1.000

Schritt 1 – Divisorverfahren, oder das was das KWG daraus macht

Im ersten Schritt (§ 33 Absatz 2 KWahlG) wird als erste Schätzung für den Divisor die Zahl der gültigen Stimmen durch die Ratsgröße geteilt. Wenn im Beispiel ein Prozent einer Stimme entspricht, ist das 1.000/20=50. Die Stimmen der Parteien werden dann durch diesen vorläufigen Divisor von 50 geteilt.

Partei Stimmen  Zahlenbruchteil  gerundet
                  Stimmen/Divisor_1
 A       50         1                 1
 B       80         1,6               2
 C       80         1,6               2 
 D      390         7,8               8
 E      400         8,0               8 
Summe  1000        20,0              21

Dieser Ansatz führt zu einer zu großen Anzahl von Sitzen, so dass ein höherer Divisor gewählt werden muss. Das Kommunalwahlgesetz schreibt nun vor, den Divisor so zu erhöhen, dass eine konforme Verteilung herauskommt (auf den nächstfolgenden Divisor, der bei Rundung die Ausgangszahl ergibt, heraufzusetzen).

Diese Formulierung führt übrigens zu einer nicht durchführbaren Verfahrensvorschrift. Da vorgeschrieben wurde, dass Bruchteile ab 0,5 (also auch genau 0,5) aufzurunden sind, gibt es diesen nächstfolgenden Divisor in der Menge der rationalen Zahlenbrüche nicht. Da das Divisorverfahren mit Standardrundung explizit vorgeschrieben ist, wird die Lücke in der Verfahrensbeschreibung hier dadurch gelöst, dass 0,5 auch abgerundet werden kann.

Der kleinste Divisor im Beispiel ist 52 (mit Abrunden eines Bruchteils von genau 0,5, sonst müßte man mit Konstruktionen wie 52+ε für positives, gegen Null gehendes ε arbeiten. Divisoren 52,1 oder53,0 funktionieren im Beispiel auch, sind aber wohl nicht mehr nächstfolgende Divisoren).

Partei Stimmen  Zahlenbruchteil  gerundet
                   Stimmen/52
 A       50         0,96           1
 B       80         1,53           2
 C       80         1,53           2 
 D      390         7,5            7
 E      400         7,69           8 
Summe  1000                       20

Damit sind die Sitze nach dem Divisorverfahren mit Standardrundung (Sainte-Laguë) verteilt.

Schritt 2 – Einsitzsperrklausel

Die Einsitzhürde regelt der Absatz 3. Wenn der Zahlenbruchteil für einen einzigen Sitz nicht mindestens 1,0 ist, bleibt die Partei bei der Sitzverteilung unberücksichtigt. Der Zahlenbruchteil (aus Absatz 2, s.o.) der 5%-Partei A ist 0,96, d.h. diese Partei erhält ihren Sitz trotz 5 % der Stimmen bzw. einem idealem Sitzanspruch von 1,0 nicht.

Beispiele, bei denen eine Partei trotz mehr als 5 Prozent der Stimmen die Sperrklausel des KWG verfehlt, lassen sich für Gremien bis 36 Sitzen konstruieren. In einem Gremium mit 20 Sitzen kann die Sperrklausel bis über 8,6 % steigen. In Sitzbruchteilen kann die Hürde bis knapp unter 2,0-Sitze steigen. Umgekehrt können natürlich auch Parteien trotz weniger Stimmen als bei einem Anspruch von 1,0-Sitzen die KWahlG-Sperrklausel überwinden.


von Martin Fehndrich (letzte Aktualisierung: 10.10.2007)