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19.09.2005

Taktische Stimmabgabe im Wahlkreis Dresden I

Nach der gestrigen Hauptwahl in sechzehn der siebzehn sächsischen Bundestagswahlkreise kann es nun in zwei Wochen bei der Nachwahl im Wahlkreis Dresden I zu der von Wahlrecht.de angekündigten und rechtlich problematischen Möglichkeit der taktischen Stimmabgabe kommen.

Wie von Wahlrecht.de prognostiziert, gewann die CDU in Sachsen mehr Direktmandate, als der Landesliste nach dem Zweistimmenproporz zustehen und hat nun drei Überhangmandate im Land. Durch den möglichen Gewinn eines weiteren Direktmandats im von der Nachwahl betroffenen Wahlkreis könnte sie die Zahl der Überhangmandate noch um eines steigern, verlöre aber bei einem „normalerweise“ erwarteten Stimmverhalten der Wähler bei den Zweitstimmen dieses oder im Falle eines Misserfolgs ein anderes Überhangmandat wieder.

Dafür bräuchten nicht einmal alle der 49.638 CDU-Zweitstimmenwähler bei der Bundestagswahl 2002 ihre Zweitstimme erneut der CDU zu geben, es genügen schon rund 41.000 Stimmen, um dieser Partei einen Mandatsverlust zu bescheren (Excel-Datei zum Nachrechnen).

Diese als negatives Stimmgewicht bekannt gewordene Phänomen wird wahrscheinlich dazu führen, dass die Wahlkampfleiter der Union versuchen werden, ihre Wähler von der Stimmabgabe für die eigene Partei abzuhalten – ein sicherlich kurioser Wahlkampf.

Aber auch die Anhänger der anderen Parteien können bei Ihrer Stimmangabe taktischen Gesichtspunkten folgen. Bei der SPD würde sich bei einem Plus von rund 50.000 Stimmen (2002: 53.507) ein Sitz mehr von den Grünen ergeben (auch ein „parteiinterner“ Mandatswechsel von der Landesliste SH nach Sachsen könnte sich bei etwa dieser Stimmenzahl ergeben).

Der Abstand zwischen Union und SPD könnte sich somit auf 224:223 verringern, sich aber auch auf 226:222 erhöhen.

Es kann daneben noch zu weiteren Verschiebungen auch auf anderen Landeslisten kommen. So würde sich bei einem Zweitstimmenergebnis der FDP von 4.000 Stimmen ein Sitz von der NRW-Landesliste (Petra Müller) an Lutz Rüdiger Recknagel nach Thüringen verschieben, ohne dass es bei diesen beiden Landeslisten Änderungen der Stimmzahlen gab. Verantwortlich dafür ist das dem Hare/Niemeyer-Verfahren immanente Wählerzuwachsparadoxon. Dieses tritt zum Beispiel auch ein, wenn die GRÜNEN 40.000 Stimmen erhalten, dann verschiebt sich ein Sitz von Hessen (Priska Hinz) ins Saarland an Klaus Borger. Bei einem Plus von 9.409 Stimmen für die CDU wechselt der letzte erfolgreiche Sitz der CDU-NRW (Cajus Julius Caesar – Listenplatz 34) in das Saarland an Anette Hübinger. Erhält jedoch die CDU – trotz der oben gennanten Zahlen – zu viele Zweitstimmen, geht der Sitz der Saarländerin nach Sachsen und fällt damit wegen der überhängenden Direktmandate weg.

Es bleibt abzuwarten, ob etwa die potentiellen CDU-Wähler im Wissen um das negative Gewicht ihrer Stimme ihr ursprüngliches Stimmverhalten beibehalten oder unseren Ratschlägen in den Tipps und Tricks zur Bundestagswahl 2005 folgen, entscheidend können ebenso die Überlegungen zu den Koalitionsverhandlungen in den nächsten zwei Wochen sein, die auch momentan noch nicht absehbare taktische Stimmenvergaben ermöglichen.


von Matthias Cantow (19.09.2005, letzte Aktualisierung: 19.09.2005, letzte Aktualisierung der Links: 09.06.2011)