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25.07.2004

BMI betrachtet Sainte-Laguë als vorzugswürdiges Verfahren für die Bundestagswahl

Das Bundesministerium des Inneren (BMI) kommt in einem Prüfbericht zum Berechnungsverfahren Sainte-Laguë im Vergleich zum Berechnungsverfahren Hare/Niemeyer, der bereits 1998 von den Autoren von Wahlrecht.de durch entsprechende Bitten zur Korrektur des Bundestagswahlsystems an den Deutschen Bundestag angeregt wurde, zu dem Ergebnis, dass das Verfahren Sainte-Laguë für Bundestagswahlen geringfügig vorzugswürdig ist.

Damit schließt sich das BMI einem ähnlichen Urteil des Bundeswahlleiters von 1999 an, der einen Wechsel vom Verfahren Hare-Niemeyer zu Sainte-Laguë befürwortete und den Bundestag veranlasste, eine entsprechende Prüfbitte an die Bundesregierung zu stellen (BT-Drs. 14/1560).

Dabei stellt der Bericht als Besonderheiten des Berechnungsverfahrens Hare/Niemeyer fest,

  1. dass es bei der Erhöhung der Sitzzahl passieren kann, dass einem Wahlvorschlag etwas „weggenommen“ wird.
  2. dass bei Hare/Niemeyer eine andere „Ungereimtheit“ auftreten kann; bei einem Stimmenzuwachs eines Wahlvorschlages kann sich zwischen Wahlvorschlägen, deren Stimmenzahl gleich geblieben ist, eine Verschiebung ergeben.

Diese Eigenschaften, die beim Verfahren Sainte-Laguë nicht vorkommen können, wurden an Beispielen basierend auf den letzten Bundestagswahlen belegt. Als Nachteil des Verfahrens Sainte-Laguë wurde festgestellt, dass in seltenen Fällen die Sitzzahl mehr als ein ganzes Mandat vom Idealanspruch entfernt ist. Auch dies wurde mit einem fiktiven Zahlenbeispiel belegt.

Schließlich ergeben beide Verfahren – im Gegensatz zum Verfahren nach d’Hondt – gleichermaßen unverzerrte Sitzverteilungen, d. h., kleine Wahlvorschläge werden gegenüber großen Wahlvorschlägen weder bevorzugt noch benachteiligt.

In seiner Stellungnahme stellt das Bundesministerium des Inneren schließlich fest:

Da bei dem Verfahren nach Sainte-Laguë/Schepers die erwähnten Paradoxien nicht auftreten können und es in der Praxis kaum vorkommen könnte, dass sich bei Verteilung nach Sainte-Laguë/Schepers die Sitzzahlen nicht im Rahmen der Idealansprüche bewegen, kann nach diesen Ausführungen dieses Verfahren gegenüber dem Verfahren §§ 6 Abs. 2, 7 Abs. 3 BWG (Hare-Niemeyer) als geringfügig vorzugswürdig betrachtet werden.

Der BMI-Bericht „Zum Berechnungsverfahren nach Sainte-Laguë/Schepers für die Verteilung der Sitze auf die Landeslisten und Verbundenen Landeslisten im Vergleich zu den Berechnungsverfahren gemäß §§ 6 Abs. 2, 7 Abs. 3 Bundeswahlgesetz (Berechnungsverfahren nach Hare/Niemeyer)“ wurde im August 2002 dem Wahlprüfungsausschuss des Bundestags übersandt und der Öffentlichkeit bisher vorenthalten. Er wurde nun in einer nichtöffentlichen Sitzung des Wahlprüfungsausschusses am 1. April 2004 beraten, zu der neben dem Bundeswahlleiter auch die Mitglieder des Geschäftsordnungsausschusses und des Innenausschusses geladen waren. Nach Auskunft des Deutschen Bundestages hatte diese Sitzung vor allem den Zweck, Vor- und Nachteile der Verfahren Sainte-Laguë und Hare-Niemeyer darzustellen. Ein Ergebnis der Beratungen liegt noch nicht vor.


von Martin Fehndrich (25.07.2004, letzte Aktualisierung der Links: 10.02.2008)