Negative Ausgleichsmandate in Berlin |
[Abgeordnetenhauswahl Berlin] |
Achtung: Die Seite bezieht sich auf die Landeswahlordnung und die Auslegungen des Landeswahlleiters bei der Abgeordnetenhauswahl am 21. Oktober 2001. Zur Wahl am 17. September 2006 gibt es eine neue Landeswahlordnung (mit anderen Mängeln).
- Konkret hat dies bei der Wahl 2001 zu einem Sitzverlust der CDU-Bezirksliste Treptow-Köpenick geführt. Betroffen war der Bezirkslistenbewerber Carsten Wilke.
Der CDU stand insgesamt ein (!) Ausgleichsmandat zu. Bei der Neuverteilung der erhöhten Mandatszahl auf die Bezirkslisten der CDU erhalten jedoch zwei Bezirkslisten jeweils einen zusätzlichen Sitz:
- Steglitz-Zehlendorf
- Tempelhof-Schöneberg
Die Bezirksliste Treptow-Köpenick erhält dagegen plötzlich ein Mandat weniger als vorher.
- In den §§ 17 und 19 LWG ist die Grundverteilung der Mandate (ohne Ausgleichsmandate) abschließend geregelt. Das heißt, nach den Worten des § 17 IV „die Sitze ... werden ... zugeteilt“ (und zwar ohne Vorbehalt).
- In § 19 II LWG wird die LWO nur zur notwendigen Berechnung der Ausgleichsmandate ermächtigt, die „erforderlich sind, um unter Einbeziehung der Überhangmandate die Sitzverteilung im Wahlgebiet nach dem Verhältnis der gesamten Zweitstimmenzahl der Parteien im Wahlgebiet zu gewährleisten“.
- § 73 6d LWO bewirkt dagegen eine gänzlich neue Verteilung unter Umverteilung und Streichung der vom Gesetz schon zugeteilten Sitze.
- Es ist nicht erkennbar, warum diese Umverteilung erforderlich im Sinne von §19 II LWG sein sollte.
- Nach dem rechtsstaatlichen Grundsatz der Normenhierarchie darf eine Verordnung einem Gesetz nicht widersprechen. Damit dürfte § 73 6d LWO rechtswidrig sein.
- Landeswahlgesetz: Proporz mit Abzug der Direktmandate
Im LWG (§§16-19) werden die Sitze proportional auf die Bezirkslisten einer Partei verteilt. Die Zahl der schon zugeteilten Direktmandate wird danach abgezogen.
- Landeswahlordnung: spezielles Anrechnungsverfahren
Bei der erneuten Verteilung auf die Bezirkslisten einer Partei nach § 73 6d LWO wird die Zweitstimmenzahl zugrunde gelegt, die um die Zahl der für die Direktmandate anzurechnenden Zweitstimmen vermindert worden ist. Die anzurechnenden Zweitstimmen ergeben sich durch Multiplikation der Direktmandate der Partei im Bezirk und den Stimmen, die die Partei landesweit im Durchschnitt für ein Mandat benötigte.
- Das heißt, auch wenn das LWO in § 73 6d davon spricht, das Verfahren (Hare-Niemeyer) würde erneut angewendet, handelt es sich im Ergebnis um ein anderes Verfahren. Daher kann es auch zu anderen Ergebnissen kommen als bei der ersten Verteilung.
- Es gibt mindestens drei veröffentlichte Wahlleiterauslegungen:
- Zur Abgeordnetenhauswahl im Jahre 2001 (vorläufiges amtliches Ergebnis).
Hier wurde in der Wahlnacht vom Statistischen Landesamt eine gesetzeskonforme, aber LWO-widrige Berechnungsweise verwendet. Es wurden nicht alle Listenmandate erneut verteilt, sondern lediglich die zusätzlichen, also die Ausgleichsmandate. Dementsprechend wurden den Bezirkslisten nicht nur die Direktmandate angerechnet, sondern auch die Listenmandate.
- Zur Abgeordnetenhauswahl im Jahre 2001 (endgültiges amtliches Endergebnis).
Die stärker dem Wortlaut der LWO folgende (aber gesetzeswidrige) Feststellung des amtlichen Endergebnisses 2001 führte zu einer Änderung der personellen Besetzung des Abgeordnetenhauses gegenüber dem vorläufigen amtlichen Endergebnis.
Nach Zeitungsberichten (Morgenpost vom 24.11.2001) hat die Geschäftsstelle des Landeswahlleiters dies als Folge der üblichen Stimmenverschiebungen zwischen dem vorläufigen und amtlichen Endergebnis dargestellt. Dies ist definitiv falsch. Tatsächlich hat bei der Korrektur der vorläufigen Ergebnisse sogar die CDU-Bezirksliste Treptow-Köpenick 78 Stimmen gewonnen (aber das Mandat von Carsten Wilke verloren), während die Bezirksliste Tempelhof-Schöneberg 33 Stimmen verloren (aber das Mandat von Matthias Wambach gewonnen) hat.
- Zur Abgeordnetenhauswahl im Jahre 1999 (amtliches Endergebnis).
Beim amtlichen Endergebnis der Wahl im Jahre 1999 wurde beim Anrechnungsverfahren mit negativen Sitzansprüchen weitergerechnet, während sie 2001 auf Null gesetzt wurden. Die LWO enthält hierzu keine ausdrückliche Regelung.
- Die Regelungslücke von § 73 6d LWO hinsichtlich der Behandlung negativer Sitzansprüche führt dazu, daß der Landeswahlleiter die Sitzverteilung letztlich nach eigenem Ermessen beeinflussen kann. Dies ist im Lichte des Grundsatzes der Unmittelbarkeit der Wahl höchst fragwürdig.
- Die LWO schreibt nämlich für den Fall von Überhangmandaten eine Neuverteilung der Sitze auf die Landes- und Bezirkslisten (im Sinne von § 73 6d LWO) ausdrücklich vor.
- Diese Neuberechnung hat aber für die Bezirkslisten der SPD, der keine Ausgleichsmandate zustanden, nicht stattgefunden. Im Ergebnis hätte eine Neuberechnung für die SPD (unter Anrechnung der gewonnenen Direktmandate) zu einem Sitzverlust der Bezirkslist Pankow (Peter Luther) zugunsten der Bezirksliste Steglitz-Zehlendorf (Peter Arndt) geführt.
- Nach Ansicht des Landeswahlleiters entfällt bei Listen, denen keine Ausgleichsmandate zustehen, die Neuberechnung mangels zusätzlicher Verteilungsmasse. Eine solche Ausnahmeregelung mag zwar auf den ersten Blick sinnvoll sein, sie existiert jedoch in der LWO nicht.
- Grundsätzlich ist es richtig, die LWO so auszulegen, daß sie zu keinen Widersprüchen mit dem LWG führt. Eine solche Auslegung darf aber nicht - wie geschehen - nur für eine der Parteien vorgenommen werden. Dadurch wurde zum einen die rechtswidrige Sitzverteilung nicht vollständig korrigiert und zum anderen in den Grundsatz der gleichen Wahl eingegriffen, weil für die SPD-Bezirklisten ein anderes Sitzverteilungsverfahren galt als für die Bezirkslisten der anderen Parteien.