Unterverteilung von Ausgleichsmandaten

[Wahlrecht Berlin]

Mängel bei der Unterverteilung von Ausgleichsmandaten in Berlin 2006

Achtung! Hier wurde nicht der Rechenweg beschrieben, den der Landeswahlleiter zur Ermittlung des amlichen Endergebnisses beschritten hat. Daran, daß überhängende Parteien von der Ausgleichsmandatverteilung vollständig ausgeschlossen sind, ändert dies aber nichts.

Ausschluß einer überhängenden Bezirksliste vom Ausgleich

Eine überhängende Bezirksliste erhält keine Ausgleichsmandate. Auch dann nicht, wenn so viele Ausgleichsmandate zu verteilen sind, daß ihr diese nach Proporz zustünden.

Auch das im März 2006 geänderte Berechnungsverfahren zur Zuteilung von Ausgleichsmandaten an Bezirkslisten in Berlin zum Ausgleich von Überhangmandaten ist nicht frei von Mängeln. So kann nun auch bei der Unterverteilung das Alabama-Paradoxon auftreten. Insbesondere kann aber eine Bezirksliste einer Partei mit Überhangmandaten am Ende weniger Sitze als eine gleich- oder weniger starke Bezirksliste dieser Partei erhalten.

Bisher regelte ein nicht völlig durchdachtes Anrechnungsverfahren in der Landeswahlordnung die Zuteilung von Ausgleichsmandaten an Bezirkslisten einer Partei. Dieses konnte zu negativen Ausgleichsmandaten führen, mit der Folge, daß ein betroffener Kandidat sich erfolgreich in den Landtag geklagt hat (Wahleinspruch erfolgreich – CDU-Kandidat klagt sich ins Abgeordnetenhaus – Meldung vom 21. März 2003).

Die Regelung wurde in der LWO so geändert, daß Bezirkslisten mit Überhangmandaten, bei der weiteren Zuteilung von Ausgleichsmandaten aussen vor bleiben. Wenn nun besonders viele Ausgleichsmandate zu verteilen sind (was in Berlin wegen der Möglichkeit interner Überhangmandate nicht unwahrscheinlich ist), bleibt eine solche (anfangs noch überhängende) Bezirksliste auf ihrem Stimmenkontigent, auch wenn ihr proportional über diese Sitze noch weitere Ausgleichsmandate zustünden.

Beispiel einer Ausgleichsmandate-Rechnung

Im folgenden Beispiel wird angenommen, eine Partei B erhalte soviele Überhangmandate (ÜM), daß der Sitzanspruch von Partei A von 32 auf 39 Sitze steige. Diese Annahme liegt noch unter einer im Tagesspiegel (vom 2. September 2006) veröffentlichten Prognose von election.de, die eine Erhöhung der Gesamtsitzzahl auf 163 (statt normal 130) sieht.

Die erste Tabelle beschreibt die Verteilung der ürsprünglich Unterverteilung von Partei A, die mittlere Tabelle die Verteilung der Ausgleichsmandate (AM) an die Bezirkslisten und die untere Tabelle diese Unterverteilung mit der Annahme, daß Bezirksliste 1 (BZ 1) nur vier statt fünf Direktmandate (DM – ohne Rückwirkung auf die Gesamtüberhangmandatszahl) und – wegen des Direktmandats weniger – insgesamt einen Sitz mehr erhält.

Grundverteilung (ohne Ausgleich)
Bezirk Partei A
Zweitstimmen
DM (A) HN-Anspruch ÜM
BZ 1 55.954 5 4,40916837 4 1
BZ 2 55.797 1 4,39679678 4
BZ 3 53.470 3 4,21342947 4
BZ 4 53.421 3 4,20956828 4
BZ 5 44.811 3,53110133 4
BZ 6 37.350 4 2,94317544 3 1
BZ 7 24.296 1,91452183 2
BZ 8 23.996 2 1,89088187 2
BZ 9 18.358 1,44660816 2
BZ 10 12.951 1,02053722 1
BZ 11 12.893 1,01596683 1
BZ 12 12.795 1,00824444 1
Summe 406.092 18 32,00000000 32 2
Verteilung von insgesamt 39 Mandaten
(d. h., 30 = 39 − 9 an nicht überhängende Bezirkslisten)
Bezirk Partei A
Zweitstimmen
DM (A) HN-Anspruch AM Sitze
BZ 1   5     5
BZ 2 55.797 1 5,35157998 6 2 6
BZ 3 53.470 3 5,12839367 5 1 5
BZ 4 53.421 3 5,12369400 5 1 5
BZ 5 44.811 4,29789506 4 0 4
BZ 6   4     4
BZ 7 24.296 2,33026842 3 1 3
BZ 8 23.996 2 2,30149494 2 0 2
BZ 9 18.358 1,76074530 2 0 2
BZ 10 12.951 1,24215123 1 0 1
BZ 11 12.893 1,23658836 1 0 1
BZ 12 12.795 1,22718902 1 0 1
Summe 312.788 18 30,00000000 30 5 39
Man beachte. Liste BZ 2 hat weniger WK und ZS als BZ 1, aber einen Sitz mehr!
Verteilung von insgesamt 39 Mandaten
(d. h., 35 = 39 − 4 an nicht Überhänger [BZ 1 nur 4 DM] und
das wegfallende DM im BZ 1 erhöht nicht Ausgleichsrechnung)
Bezirk Partei A
Zweitstimmen
DM (A) HN-Anspruch AM/ÜM Sitze
BZ 1 55.954 4 5,31100336 6 2 6
BZ 2 55.797 1 5,29610134 5 1 5
BZ 3 53.470 3 5,07522875 5 1 5
BZ 4 53.421 3 5,07057780 5 1 5
BZ 5 44.811 4,25333973 4 0 4
BZ 6   4     4
BZ 7 24.296 2,30611105 3 1 3
BZ 8 23.996 2 2,27763585 2 0 2
BZ 9 18.358 1,74249204 2 0 2
BZ 10 12.951 1,22927413 1 0 1
BZ 11 12.893 1,22376892 1 0 1
BZ 12 12.795 1,21446703 1 0 1
Summe 368.742 17 35,00000000 35 6 39

Kritik

Einer Bezirksliste Sitze vorenthalten, weil sie besser abgeschnitten hat als eine anderen Liste derselben Partei, dürfte mit der Wahlgleichheit kaum zu vereinbaren sein. Der nicht berücksichtigte Kandidat hätte bei einer Wahlprüfung gute Karten.

Daß dann noch wegen den gewonnen Direktmandaten weniger Sitze in den Bezirk gehen, stellt eine Art internes negatives Stimmgewicht dar.

Verbesserungsvorschlag

Wenn einer anfangs überhängenden Bezirksliste mit wenigen Überhangmandaten im weiteren Verteilungsprozess weitere Ausgleichssitze zustehen, dann soll sie diese auch erhalten.

Vorschlag von Wahlrecht.de:

Die Ausgleichssitze gingen dann – zusätzlich zu den schon zugeteilten Sitzen – Sitz für Sitz jeweils an die Bezirksliste mit dem jeweiligen höchsten Anspruch. Bezirkslisten mit Überhangmandaten müßte man bei dieser Regelung nicht mehr getrennt betrachten, der Anspruch auf den nächsten Sitz dürfte in aller Regel so niedrig sein, daß kein Sitz mehr zugeteilt wird.

Für eine solche Regelung, die sich nur auf die Verteilung der Ausgleichsmandate auf Bezirkslisten beschränkt, bräuchte es auch keine Gesetzesänderung, weil die Regelungen in der Landeswahlordnung vom Verordnungsgeber getroffen werden können.

Die Regelung hätte den weiteren Vorteil, daß das Alabama-Paradoxon bei der Zuteilung der Ausgleichsmandate an Bezirkslisten nicht mehr auftreten kann. Das Verfahren Hare/Niemeyer funktioniert einfach nicht, wenn im Verteilungsprozess die Sitzzahl geändert und Listen mal einbezogen, mal nicht einbezogen werden.

Gegen einen Wechsel des Berechnungsverfahrens spricht ebenso nichts, eine Änderung der Verteilungszahl, Gesamtsitzzahl und zu berücksichtigenden Listen stellen auch so nach der Logik des Hare/Niemeyer-Verfahrens einen Systemwechsel dar (das Anrechnungsverfahren, nach dem bis 2001 gerechnet wurde, war auch ein anderes System).

Natürlich sollte das Berliner Wahlsystem im Ganzen reformiert werden, also


von Martin Fehndrich (03.09.2006, letzte Aktualisierung: 14.09.2006)