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22.11.2007
Vom 26. Oktober bis 23. November findet in Minden (Nordrhein-Westfalen) ein Bürgerentscheid über die Frage „Soll das Neue Rathaus am Kleinen Domhof erhalten bleiben?“ statt. Eine Besonderheit ist, dass die rund 66.000 Bürger ausschließlich per Brief abstimmen können.
Der Verein Mehr Demokratie e. V. NRW kritisiert die allein auf dem Postweg und nicht auch an der Urne erfolgende Abstimmung. Dadurch werden Bürgerentscheide als zweitklassiges Demokratieinstrument entwertet. „Bei Bürgerentscheiden handele es sich wie bei Wahlen um wichtige Grundrechte der Bürger auf politische Selbstbestimmung, denen eine entsprechende Achtung und Wertschätzung gebühre.“ Für viele Bürger sei der Urnengang ein wichtiges demokratisches Ritual, dass niemandem vorenthalten werden sollte, so die Initiative.
Fraglich ist, ob eine Durchführung eines Bürgerentscheids ausschließlich per Briefabstimmung überhaupt zulässig ist? Denn auch für kommunale Bürgerentscheide ist – trotz fehlender expliziter Regelungen – die grundsätzliche Geltung der Wahlgrundsätze allgemein anerkannt, womit auch die entsprechende Rechtsprechung gelten sollte.
Bei Wahlen per Brief wird der Grundsatz der geheimen und freien Wahl eingeschränkt. Nach einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts (BVerfGE 59, 119 <125>) ist dies bei Bundestagswahlen dadurch gerechtfertigt, da so dem Grundsatz der Allgemeinheit der Wahl in erhöhtem Maße Rechnung getragen werde. Für eine Wahl allein per Brief und ohne die Möglichkeit, auch an der Urne zu wählen, gibt es kein rechtfertigendes Wechselspiel zwischen den verschiedenen Wahlgrundsätzen mehr – sie wäre verfassungswidrig.
Generell besteht gerade wegen der Beschränkung der geheimen und freien Wahl bzw. Abstimmung kein Rechtsanspruch auf eine Einführung der Briefwahl oder -abstimmung durch den Gesetzgeber. So ist bei kommunalen Bürgerentscheiden zwar in Bayern nach Art. 18a Abs. 10 Satz 4 der Gemeindeordnung (GO) für den Freistaat Bayern und in Bundesländern, die unter Anwendung des Kommunalwahlrechts abstimmen, eine Briefabstimmung ausdrücklich erlaubt, aber etwa auch in (§ 20 Abs. 7) der GO für das Land Brandenburg explizit ausgeschlossen.
Auch die Verwaltungsrechtsprechung in Nordrhein-Westfalen entschied in der Vergangenheit im Ergebnis in diese Richtung. So beschloss das Verwaltungsgericht Arnsberg (Beschluss vom 2. Juni 1999, – 12 L 908/99 –, Abs. 13), dass es grundsätzlich im Ermessen der Gemeinde stünde, ob eine Stimmabgabe per Brief zugelassen wird (im konkreten Fall betrug allein die reine Fahrzeit zum einzigen Abstimmungslokal mit dem ÖPNV bis zu 36 Minuten).
Man kann allerdings bei einem kommunalen Bürgerentscheid dem Grundsatz der Allgemeinheit in Abwägung mit der geheimen und freien Abstimmung zumindest das gleiche Gewicht wie bei einer Wahl beimessen. Denn nicht jeder interessierte Bürger wird seine Reise- oder (bei eintägigen Abstimmungen) Wochenendplanung zur Beantwortung etwa der beim Mindener Entscheid gestellten Frage ändern, so wie es beispielsweise viele bei einer Bundestagswahl ohne eine, momentan vorhandene Möglichkeit der Briefwahl tun würden.
In der Folge nutzte auch das Innenministerium des Landes Nordrhein-Westfalen die Verordnungsermächtigung in § 26 Abs. 10 der GO für das Land Nordrhein-Westfalen zum Erlass der Verordnung zur Durchführung eines Bürgerentscheids vom 10. Juli 2004 (GV NRW 2004, S. 383 – BürgerentscheidDVO): Danach haben die Gemeinden die Durchführung von Bürgerentscheiden in ihrer Satzung zu regeln. Paragraph 5 Abs. 1 BürgerentscheidDVO ermöglicht nun die alternative Briefabstimmung:
(1) Die oder der Stimmberechtigte kann die Stimme an der Abstimmungsurne oder durch Brief abgeben.
Das NRW-Innenministerium ging allerdings noch einen Schritt weiter und ermächtigte den Satzungsgeber in § 5 Abs. 2 BürgerentscheidDVO sogar zur ausschließlichen Briefabstimmung:
(2) Die Satzung kann regeln, dass die Abstimmung ausschließlich durch Brief erfolgt.
Man kann nach der dargelegten verfassungsrechtlichen Situation – die eine Briefabstimmung nur als mögliche (und in bestimmten Grenzen sinnvolle) Erweiterung einer Urnenabstimmung erlaubt – bezweifeln, dass eine Verordnung dieses Prinzip umkehren darf und damit verfassungsgemäß ist.