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25.09.2005

Zur Nachwahl im Wahlkreis Dresden I

Wenn die CDU in Dresden mehr als 41.226 Zweitstimmen erhält, dann verliert sie einen Sitz im Deutschen Bundestag, wenn sie weniger erhält, behält sie den Sitz.

Die CDU wird durch ein zu gutes Zweitstimmenergebnis einen Sitz verlieren

Und das ist alles, was realistischerweise noch durch die Zweitstimmen in Dresden entschieden werden kann.

Die Dresdner werden durch dieses Wahlsystem um ihr Wahlrecht betrogen. Ein CDU-Anhänger wird durch das Wahlsystem (soweit er dessen Folgen absehen kann) erfolgreich davon abgehalten der CDU seine Zweitstimme zu geben. Gegner der CDU geben ihr die Zweitstimme um ihr zu schaden. Damit wird die Freiheit der Wahl massiv eingeschränkt, es geht ja nicht um den Akt der Stimmabgabe als solchen, sondern um das, was man damit bewirkt.

Was hat das alles noch mit einer Wahl zu tun?

Man kann eine CDU-Zweitstimme in Dresden nur noch als Abwahlstimme für einen CDU-Kandidaten sehen.

Betroffen von dieser Macke im Wahlsystem sind alle Wähler im Wahlkreis 160 – Dresden I. Nach der Wahl am 2. Oktober haben sie

Auf jeden Fall bewirken sie das genaue Gegenteil dessen, was man unter normalen Umständen mit einer Stimmabgabe bezwecken will. (Diese normalen Umstände nennt man im Volksmund auch Wahlen).

Hier stellt sich schon die Frage, was das alles noch mit Demokratie oder mit Wahl zu tun hat. Als was soll man denn nun eine Zweitstimme in Dresden für die CDU interpretieren. Als Wahl der CDU? Als Abwahl der CDU? Als Kostendämpfungsmaßnahme?

Wahlrechtsfehler tritt auch in anderen Bundesländern auf

Aber nicht nur die Wähler in Dresden werden de facto durch das Berechnungssystem um ihre Stimme betrogen. Es gilt für alle Wähler in Sachsen und in allen anderen Bundesländern, in denen Überhangmandate auftreten oder auftreten können.

Fast dieselbe Situation wie vor drei Jahren

Bei der letzten Wahl war es für Dresden (bzw. Sachsen und andere Länder) nicht anders . Damals konnte man als Wähler nur nicht so genau wissen, bei welcher Zweitstimmenzahl in Dresden die CDU einen Sitz verloren hätte (damals 45.926, heute 41.226).

Das Problem tritt seit 1957 – also seit Einführung des jetzigen Bundeswahlgesetzes – auf (siehe Geschichte Überhangmandate und negative Stimmen).

Das Problem ist seit langem bekannt

Der Deutsche Bundestag hatte viele Gelegenheiten und lange Zeit etwas zu machen.

Überraschend kommt die jetzige Situation in Dresden also nicht, neben einer Vielzahl von Veröffentlichungen, war der Deutsche Bundestag spätestens seit den Wahlen 1998 regelmäßig gezwungen, diesen Wahlrechtsfehler im Rahmen der Wahlprüfung zu behandeln.

Dabei wurde auch auf die problematische Situation bei einer zeitlich verzögerten Nachwahl aufmerksam gemacht und entsprechend schnell konnte die entsprechende Meldung mit Warnung in den frühen Morgenstunden des 8. September 2005 erstellt werden. Schon vor der Bundestagswahl 2002 haben wir vor vorhersehbarem negativem Stimmengewicht der Zweitstimmen bei der Nachwahl im Wahlkreis Zollernalb-Sigmaringen (295) (Meldung vom 11.08.2005) gewarnt und eine entsprechende Beispielrechnung erstellt. Auch hätten damals Nachwahlen im Zusammenhang mit dem Sommer-Hochwasser 2002 auftreten können (vgl. Meldung vom 20.08.2002 – Aktuelles zur Nachwahlproblematik)

Skandal und Wahlfarce

Der eigentliche Skandal ist nicht so sehr die Nachwahl (terminlich später als die Hauptwahl), sondern das Wahlsystem, das eine Stimmabgabe für eine Partei durch die Verrechnung in eine Stimme gegen diese Partei verwandelt.

Für die Wähler im Wahlkreis 160 reduziert sich die Auswirkung der Stimmabgabe bei der Zweitstimme nur auf die Auswirkung der negativen Stimme für die CDU.

Es gäbe eine recht einfache Möglichkeit negative Stimmen zu verhindern, ohne ins prinzipielle Wahlsystem einzugreifen (Verbesserungen für das Bundeswahlgesetz).

Es gibt auch keinen vernünftigen Grund, der ein negatives Stimmgewicht rechtfertigen könnte (weder die Diskretisierung der Sitze, noch das Konzept der sogenannten personalisierten Verhältniswahl mit Zweistimmenwahlrecht begründen diesen Systemfehler).

Auf der anderen Seite sind folgende Wahlprinzipien verletzt.

Beschweren Sie sich beim Deutschen Bundestag über diese Folge des Wahlsystems!

Stört es Sie, dass Sie durch das merkwürdig verschlungene Wahlsystem um Ihr Wahlrecht gebracht wurden?

Beschweren Sie sich darüber beim Deutschen Bundestag (Deutscher Bundestag in 11011 Berlin, Fax 030/227-36 878) und fordern Sie eine Überprüfung des Wahlgesetzes und die Beseitigung dieser Wahlrechtseigenschaft (negatives Stimmgewicht) aus dem Wahlsystem. Der Bundestag ist verpflichtet, dies im Rahmen der Wahlprüfung nach einer Wahl zu prüfen und sich mit Ihren Beschwerden auseinander zu setzen (allerdings wird er sich dabei nicht besonders beeilen).

Dem Bundesverfassungsgericht liegt auch mindestens eine Wahlprüfungsbeschwerde (2 BvC 11/04) gegen das negative Stimmengewicht bei der letzten Bundestagswahl vor, die Karlsruhe vermutlich durch die jetzige vorgezogen Wahl und die dadurch verkürzte Legislaturperiode (für eine Bearbeitung zu kurze) als erledigt ansieht. Allerdings war hier eine Entscheidung in der Sache zu erwarten gewesen, da das Bundesverfassungsgericht den Bundestag, die im Bundestag vertretenen Parteien, den Bundesrat, das Bundeskanzleramt und den Bundeswahlleiter um Stellungnahmen gebeten hat. Daraufhin hat sich jedoch nur die CDU (mit Kritik an der Überhangmandateregelung) inhaltlich geäußert.


von Martin Fehndrich (letzte Aktualisierung: 28.09.2005, letzte Aktualisierung der Links: 09.06.2011)