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12.12.2004

Diskussion über ein neues Wahlrecht in Bremen

Am Donnerstag, den 2.12.2004, fand im Festsaal der Bremer Bürgerschaft eine Podiumsdiskussion über ein neues Wahlrecht für Bremen mit Personenwahl, Kumulieren und Panaschieren sowie Wahlkreisen statt. Auf dem Podium saßen der Hamburger Landeswahlleiter Willi Beiß, der Tübinger Professor Ferdinand Kirchhof, der Hamburger Professor Hans Peter Bull, Wilko Zicht als Vertreter von Mehr Demokratie e. V. und als Moderator Theo Schlüter von Radio Bremen. In der kurzen Begrüßung wies der Präsident der Bremer Bürgerschaft, Christian, Weber auf drei Besonderheiten in der Bremer Verfassung hin, die ein neues Wahlsystem zu beachten hätte. Er wies auf den überfraktionellen Dringlichkeitsantrag (Drucksache 16/479 vom 30.11.2004) von CDU, SPD, Grünen und FDP hin, der die Einrichtung eines Ausschusses zum Ziel hat, der die Möglichkeiten der Wahlrechtsnovellierung prüfen und darstellen soll und dazu bis zum Oktober 2005 einen abschließenden Bericht erstellen sollt.

Nachdem der Moderator mit einem von Wahlrecht.de entnommenen Spiegelzitat die Diskussion einleitete, erklärte Beiß (Landeswahlleiter Hamburg) die Begriffe "kumulieren" und "panaschieren".

Daraufhin erläuterte Zicht einen auf dem Hamburger Wahlgesetz basierenden Vorschlag des Vereins Mehr Demokratie, mit 5 Stimmen im jeweiligen Stadtgebiet Stadt (Stadtstimme als verständlicheres Äquivalent zur Zweitstimme) und 5 Stimmen im Wahlkreis als Äquivalent. Dabei räumte er mit dem Vorurteil auf, sehr viele Stimmen für einen Wähler würden per se zu einem viel demokratischerem Ergebnis führen. So haben die Wähler in München beispielsweise 80 Stimmen, sie können aber nur 3/80 ihres Stimmengewichtes auf einen Kandidaten vereinen. Beim Wahlrechtsvorschlag von Mehr Demokratie könne man beispielsweise auf einen Kandidaten alle 5 Stimmen vereinen und solange nicht mehr als 5 Stimmen pro Stimmzettel vergeben werden, bleibt ein Stimmzettel auch gültig, so daß die Übersicht und eine einfache Stimmabgabe für die Wähler gewahrt bleibe. Auch das neue Konzept des Mehrpersonenwahlkreises, in dem mehrere Kandidaten gewählt würden, wurde vorgestellt und auch hier (im Gegensatz zum Bundestagswahlrecht) würde ein Wettbewerb auch in den Parteien stattfinden.

Herr Kirchhof sprach einen wunden Punkt des Wahlvorschlages an, indem Tarnlisten, also zusätzliche Listen einer Partei zur Erlangung höherer Stimmgewicht, verboten werden. Dies sei nie so sauber zu klären, daß nicht am Ende immer der Staatsgerichtshof zu entscheiden hätte. Aus seiner Erfahrung mit Kumulieren und Panaschieren (mit viel mehr Stimmen und dann noch der unechten Teilortswahl) sah er keine Schwierigkeiten, allerdings empfahl er, auf die Einrichtung von Wahlkreisen zu verzichten.

In Bezug auf das neue Wahlrecht in Hamburg hatte Herr Beiß auch schon erste technische Lösungen parat. Statt eines plakatgroßen Stimmzettels, wird es möglicherweise ein Stimmzettelheft geben, in dem die Wähler ihre Kandidaten heraussuchen können. Zur Zeit werde ein elektronischer Stift entwickelt, der die Kreuze elektronisch speichere, so daß ein vorläufiges Ergebnis schon nach Schließung der Wahllokale und nicht erst nach anderthalb Wochen vorliege. Für das amtliche Ergebnis werden nach wie vor die Stimmzettelhefte gezählt.

In der dann anschließenden Diskussion mit dem Publikum wurde ein Mangel im neuen Hamburger Wahlrecht angesprochen, nämlich die Missbrauchsmöglichkeit durch Tarnlisten bzw. Absprachen verschiedener Parteien, nur in den Wahlkreisen bzw. nur im Stadtgebiet zu kandidieren. Zicht erläuterte dann als Lösungsmöglichkeit, eine Wertung aller Stimmen (Wahlkreis- und Stadtstimmen). Dies hätte den Charme, daß sowohl Überhangmandate als auch denkbare Mißbrauchsmöglichkeiten praktisch unmöglich wären, da nun jede Liste die für die ihr zustehenden Sitze nötigen Stimmen quasi mitbringen würde. Im neuen Hamburger Wahlrecht besteht dagegen die Gefahr solcher strategischen Kandidaturen, die die Tatsache ausnützen, daß eine Stimme für eine Wahlkreisliste ohne zugehörige Landesliste ein zusätzliches Stimmgewicht erlangen kann.

In der weiteren Diskussion wurde der Wunsch nach Kumulieren und Panaschieren von einer größeren Anzahl von Rednern unterstützt - teils, weil sie das Prozedere der Kandidatenaufstellung nicht durchschauten, teils, gerade weil Sie es durchschauten.

Auch die Notwendigkeit der Mehrpersonenwahlkreise wurde kontrovers diskutiert, wobei hier die Meinung vertreten wurde, in Bremen gäbe es mehr ein Stadt- als ein Stadtteildenken.

Kommentar

(mf) Erfreulicherweise scheint sich anders als in Hamburg eine echte Diskussion über das Wahlsystem zu entwickeln. Der Versuch den Wahlrechtsvorschlag von Mehr Demokratie e.V. zu ignorieren und dann, als es dazu zu spät war, als Alternative das Bundestagswahlsystem für Hamburg einzuführen führte im Endeffekt dazu, daß durch die erfolgreiche Volksabstimmung in Hamburg nun ohne jede Diskussion aller Beteiligten ein neues Wahlsystem (inklusive einiger öffentlich nicht diskutierter Macken) eingeführt wurde.

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von Martin Fehndrich