Staatsgerichtshof für das Land
Baden-Württemberg

[Wahlprüfung]

Beschluss vom 12. August 2002

GR 4/01

 

„Unterschriftenquorum“


Entscheidungen 2000–heute

[Seite 1] Beschluss

In dem Verfahren über die Wahlprüfungsbeschwerde

des Herrn Z.
vertreten durch Rechtsanwalt V.
beteiligt:
1. Landtag von Baden-Württemberg,
vertreten durch seinen Präsidenten,
Haus des Landtags,
Konrad-Adenauer-Straße 3,
70173 Stuttgart
2. Innenministerium Baden-Württemberg,
Dorotheenstraße 6,
70173 Stuttgart
hat der Staatsgerichtshof für das Land Baden-Württemberg ohne mündlichen Verhandlung am 12. August 2002
unter Mitwirkung
[Seite 2] des ständigen Vertreters des Präsidenten Hans Georgii
und der Richterinnen und Richter Eberhard Stilz
Dr. Roland Hauser
Prof. Dr. jur. Dr. h.c. Thomas Oppermann
Dr. jur. Rudolf Schieler
Dr. Manfred Oechsle
Ute Prechtl
Prof. Dr. phil.Dr. h.c. Wolfgang Jäger
Sybille Stamm
gem. § 17 Sätze 2 und 3 StGHG beschlossen:

Entscheidungsgründe:

 
Der Antrag auf Eröffnung des Verfahrens über die Wahlprüfungsbeschwerde wird verworfen.  

Gründe:

I.

Über den Antrag auf Eröffnung des Verfahrens über die Wahlprüfungsbeschwerde ist noch nicht entschieden. Zwar ist am 12.07.2002 aus Versehen ein Entwurf einer Entscheidung, an dem noch nicht alle Richter beteiligt waren, in der Form eines Beschlusses hinausgegangen. Dieser „Beschluss“ ist ohne Wirkung. Deshalb bedarf es dieser Entscheidung. 1

II.

Der Beschwerdeführer erhob mit Schreiben vom 23. und vom 27.04.2001 Einspruch gegen die Landtagswahl vom 25.03.2001, deren Ergebnis am 17.04.2001 amtlich bekannt gemacht worden war. Er rügte, dass das Landtagswahlgesetz in mehrfacher Hinsicht verfassungswidrig sei. Am 15.11.2001 beschloss der Landtag, dass der Einspruch unbegründet und die Wahl, soweit angefochten, gültig sei. Mit Schreiben vom 27.11.2001 teilte der Präsident des Landtags dem Beschwerdeführer [Seite 3] diesen Beschluss mit. Das Schreiben enthielt eine Rechtsmittelbelehrung und wurde am 29.11.2001 zugestellt. 2
Am 27.12.2001 hat der Beschwerdeführer Wahlprüfungsbeschwerde zum Staatsgerichtshof erhoben. Unterstützungsunterschriften waren nicht beigefügt und wurden auch nicht nachgereicht. Der Beschwerdeführer hält seine Wahlprüfungsbeschwerde für rechtzeitig und auch ohne Unterstützungsunterschriften für zulässig; die entgegenstehenden Bestimmungen des § 52 StGHG seien mit Art. 19 Abs. 4 GG unvereinbar und nichtig. In der Sache verfolgt er die Gründe seines Einspruchs weiter. 3
Der Landtag und für die Landesregierung das Innenministerium halten die Wahlprüfungsbeschwerde für unzulässig. 4

III.

Der Staatsgerichtshof hält die Wahlprüfungsbeschwerde einstimmig für unzulässig. Einer mündlichen Verhandlung bedarf es daher nicht (§ 17 Satz 2 StGHG). 5
1. a) Die Beschwerde wurde verspätet erhoben. Gemäß § 52 Abs. 1 Satz 1 StGHG kann ein Beschluss des Landtags in Wahlprüfungssachen nur innerhalb eines Monats seit der Beschlussfassung des Landtags beim Staatsgerichtshof angefochten werden. Diese Frist hat der Beschwerdeführer versäumt. Der Landtag hatte den Einspruch am 15.11.2001 zurückgewiesen. Die Frist für die Wahlprüfungsbeschwerde lief damit – weil der 15.12.2001 ein Samstag war – am 17.12.2001 ab. Die Wahlprüfungsbeschwerde ging beim Staatsgerichtshof jedoch erst am 27.12.2001 ein. Das war zu spät. 6
Zu Unrecht meint der Beschwerdeführer, die Frist habe erst mit der Zustellung der Mitteilung über den Landtagsbeschluss an ihn zu laufen begonnen, jedenfalls aber sei der Lauf der Frist bis zu diesem Zeitpunkt gehemmt gewesen. § 52 Abs. 1 Satz 1 StGHG stellt für den Fristbeginn auf die Beschlussfassung des Landtags, nicht auf die Mitteilung an den Einsprecher ab. Das ist eindeutig und lässt die vom Beschwerdeführer vertretene Auslegung nicht zu. Auf die Rechtsprechung des Verfassungsgericht des Landes Brandenburg (Urt. vom 12.10.2000 – VfGBbg 19/00 –, LVerfGE 11 Suppl, S. 143 <148 f.>) kann er sich nicht berufen; das dortige Landesrecht ist anders gefasst. Ein Rechtsgrund für die Hemmung des Laufs der Frist [Seite 4] ergibt sich aus der notwendig nach der Beschlussfassung erfolgenden Zustellung nicht, zumal da der Beschwerdeführer nicht gehindert ist, die – für den Fall der Zurückweisung seines Einspruchs beabsichtigte – Wahlprüfungsbeschwerde bereits vorzubereiten. Ob die geltende Regelung bei anderen Fallkonstellationen zu tragbaren Ergebnissen führt, kann hier dahinstehen. 7
b) Der Beschwerde waren ferner keine Beitrittserklärungen beigefügt. Gemäß § 52 Abs. 1 Satz 2 Buchstabe b StGHG ist ein Wahlberechtigter, dessen Einspruch vom Landtag verworfen worden ist, nur dann anfechtungsberechtigt, wenn seiner Beschwerde mindestens hundert Wahlberechtigte beitreten. Auch hieran fehlt es. Der Beschwerdeführer kann Beitrittserklärungen auch nicht mehr nachreichen. Die Beitrittserklärungen müssen ebenfalls noch innerhalb der Anfechtungsfrist vorgelegt werden (StGH, Urt. vom 13.12.1969 – GR 1 und 2/69 –, ESVGH 20, 194; vgl. BVerfG, Beschluss vom 06.10.1981 – 2 BvC 5/81 –, BVerfGE 58, 172 m.w.N.). 8
2. Die erwähnten Anforderungen, die das Gesetz an die Zulässigkeit einer Wahlprüfungsbeschwerde stellt, sind mit Verfassungsrecht vereinbar. 9
a) Die verfassungsrechtlichen Wahlrechtsgrundsätze (vgl. Art. 28 Abs. 1 Satz 2 GG) sind nicht verletzt. 10
Allerdings dient das Wahlprüfungsverfahren dazu, die gesetzmäßige Zusammensetzung des Landtags und hierbei auch die Beachtung der Grundsätze der freien, allgemeinen, gleichen, unmittelbaren und geheimen Wahl bei der Durchführung einer konkreten Wahl zu sichern. Zugleich aber soll die richtige Zusammensetzung des Landtags binnen angemessener Zeit geklärt werden. Daher lässt sich nicht beanstanden, wenn das Gesetz die Wahlprüfung nicht beliebig eröffnet, sondern an formelle Voraussetzungen bindet, welche dem Ziel der möglichst raschen Klärung dienen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 12.12.1991 – 2 BvR 562/91 –, BVerfGE 85, 148 <159>; Urt. vom 08.02.2001 – 2 BvF 1/00 –, BVerfGE 103, 111 <134). 11
Die Einschränkung, dass gegen den Beschluss des Landtags, mit dem der Einspruch zurückgewiesen wird, nur dann zulässigerweise Wahlprüfungsbeschwerde zum Staatsgerichtshof erhoben werden kann, wenn dem Beschwerdeführer mindestens hundert Wahlberechtigte beitreten (§ 52 Abs. 1 Satz 2 Buchstabe b StGHG), sofern er nicht einem zugelassenen Wahlvorschlag angehört [Seite 5] (§ 52 Abs. 2 StGHG), dient dem Nachweis der Ernsthaftigkeit und der hinlänglichen Erfolgsaussicht der Wahlprüfungsbeschwerde. Sie soll Beschwerden beschränken auf solche Fälle, die nach der Ansicht wenigstens einer gewissen Zahl Wahlberechtigter Grund zur Beschwerde geben. Der Staatsgerichtshof und das Bundesverfassungsgericht haben diese Einschränkung in ständiger Rechtsprechung gebilligt (vgl. StGH, Beschluss vom 30.05.1997 – GR 1/97 –, ESVGH 47, 241; vgl. BVerfG, Beschluss vom 18.09.1952 – 1 BvC 5/52 –, BVerfGE 1, 430 <432>; Beschluss vom 06.10.1981, a.a.O. <S. 172 f.>). Daran ist festzuhalten. 12
Auch die Bindung sowohl des Einspruchs gegen eine Wahl als auch der Wahlprüfungsbeschwerde an knapp bemessene Fristen (§ 3 Abs. 2 LWPrG, § 52 Abs. 1 Satz 1 StGHG) dient dem Ziel einer möglichst raschen Klärung der richtigen Zusammensetzung des Landtags. Diese Fristen sind nicht unvertretbar knapp. Das liegt für den Einspruch auf der Hand; dass ein Wahlberechtigter regelmäßig außerstande wäre, einen Einspruch gegen eine Wahl binnen eines Monats zu erheben und substantiiert zu begründen, ist nicht erkennbar. Nichts anderes gilt jedoch für die Wahlprüfungsbeschwerde. Die Monatsfrist genügt für die Entscheidung, ob ein Einspruch, der vom Landtag zurückgewiesen wurde, mit der Wahlprüfungsbeschwerde weiter verfolgt werden soll. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Wahlprüfungsbeschwerde auf neue Einwendungen nicht gestützt werden kann (vgl. StGH, Urt. vom 01.07.1985 – GR 1/84 –, ESVGH 35, 244 <246>; BVerfG, Beschluss vom 12.12.1991, a.a.O. <S. 158 f.>; Beschluss vom 23.11.1993 – 2 BvC 15/91 –, BVerfGE 89, 291 <308 f., 312 f.>). Die Monatsfrist genügt aber auch für das Beibringen der nunmehr nötigen Beitrittserklärungen von mindestens hundert Wahlberechtigten. Sie mag den Einsprecher zwingen, bereits im Vorfeld der Beschlussfassung des Landtags in Erfahrung zu bringen, ob andere Wahlberechtigte seine Einwendungen teilen. Diese vorsorgliche Mühe mag sich als überflüssig erweisen, wenn der Einspruch Erfolg haben sollte. Sie ist gleichwohl zumutbar. Dabei ist zu bedenken, dass als Beitretende in aller Regel nur Wahlberechtigte in Betracht kommen werden, die bereits von sich aus mit Einwendungen gegen die Wahl hervorgetreten sind und damit dem späteren Beschwerdeführer entweder bereits bekannt sind oder aus dem Wahlanfechtungsverfahren vor dem Landtag bekannt werden können. Der Beitritt darf nämlich kein bloß formaler sein, sondern soll Ausfluss der selbst gehegten Einwendungen des Beitretenden sein (vgl. BVerfG, [Seite 6] Beschluss vom 18.09.1952, a.a.O. <S. 432>; Beschluss vom 06.10.1981, a.a.O. <S. 172 f.>). 13
Der Beschwerdeführer verweist allerdings darauf, dass im Wahlprüfungsrecht des Bundes die zuvor dort ebenfalls geltende Monatsfrist für die Wahlprüfungsbeschwerde im Jahre 1993 auf zwei Monate seit der Beschlussfassung des Bundestages über den Einspruch verlängert worden ist (§ 48 Abs. 1 BVerfGG i.d.F. der Bekanntmachung vom 11.08.1993, BGBl. I S. 1473). Er meint, der Bundesgesetzgeber habe damit zu erkennen gegeben, dass er die Frist von einem Monat generell für zu knapp bemessen erachte. Das trifft nicht zu. Die Verlängerung der Frist sollte dem Umstand Rechnung tragen, dass nunmehr nach § 48 Abs. 2 BVerfGG für die Zulässigkeit der Beschwerde eines Wahlberechtigten präzise formale Kriterien aufgestellt worden sind, deren Erfüllung während der Monatsfrist im Einzelfall Schwierigkeiten bereiten kann. Außerdem dachte der Bundesgesetzgeber an Erschwernisse im Zuge der Ausübung des Wahlrechts und des Wahlprüfungsrechts der im Ausland lebenden Wahlberechtigten (BT-Drucks. 12/3628, S. 12; 12/4842, S. 13). Das lässt eine grundsätzliche Erwägung nicht erkennen. Es ist auch auf die Landtagswahl in Baden-Württemberg nicht übertragbar. 14
b) Auch Art. 19 Abs. 4 GG ist nicht verletzt. 15
Die Wahlprüfungsbeschwerde zum Staatsgerichtshof ist kein Rechtsweg im Sinne von Art. 19 Abs. 4 GG. Sie dient nicht zur Durchsetzung subjektiver Rechte des Wahlberechtigten. Vielmehr ist sie Teil des zweigliedrig ausgestalteten Verfahrens der Wahlprüfung nach Art. 31 LV; ihr Gegenstand ist allein die Wahlprüfungsentscheidung des Landtags. Das Wahlprüfungsverfahren nach Art. 31 LV aber ist insgesamt ein rein objektives Verfahren. Es dient der Gewährleistung einer gesetzmäßigen Zusammensetzung des Landtags und damit dem Schutz des objektiven Wahlrechts, nicht jedoch dem Schutz subjektiver Rechte des Einzelnen auf ordnungsgemäße Durchführung der Wahl (StGH, Beschluss vom 30.05.1997 a.a.O.; Morlok, in: Dreyer <Hrsg.>, GG-Kommentar, Band II, 1998, Art. 41 Rdnr. 7). Zwar können auch einzelne Wahlberechtigte ihre Einwendungen gegen die Ordnungsmäßigkeit einer Wahl im Wahlprüfungsverfahren geltend machen. Indem diese Einwendungen sachlich geprüft werden, dient das Wahlprüfungsverfahren zugleich der Verwirklichung des subjektiven – aktiven wie passiven – Wahlrechts (BVerfG, Beschluss vom 12.12.1991, a.a.O. <S. 158 f.>; vgl. Beschluss vom 16.07.1998 – 2 BvR 1953/95 –, BVerfGE 99, 1 <18>). Dies ist jedoch nur ein Effekt des Wahlprüfungsverfahrens, [Seite 7] nicht sein von der Verfassung und vom Wahlprüfungsrecht verfolgter Zweck. Das zeigt sich schon daran, dass individuellen Einwendungen nur dann nachgegangen wird, wenn die Verteilung der Abgeordnetensitze beeinflusst worden sein kann (§ 1 Abs. 1 LWPrG; StGH, Beschluss vom 10.07.1981 – GR 3/80 –; BVerfG, Urt. vom 08.02.2001, a.a.O. <S. 134>), und dass derartige Einwendungen, die der Landtag zurückweist, nur dann mit der Wahlprüfungsbeschwerde weiter verfolgt werden können, wenn ihnen hundert Wahlberechtigte beitreten (vgl. BVerfG, Beschluss vom 18.09.1952, a.a.O. <S. 432 f.>; Beschluss vom 25.07.1967 – 2 BvC 4/62 –, BVerfGE 22, 277 <281>). 16
Es bedarf keiner Entscheidung, ob dem Beschwerdeführer außerhalb des Wahlprüfungsverfahrens genügend Rechtsschutzmöglichkeiten zur Durchsetzung seines subjektiven Wahlrechts zur Verfügung stehen. Der Beschwerdeführer hat nicht behauptet, dass sein subjektives Wahlrecht durch einzelne Behördenentscheidungen im Zuge der Durchführung der Wahl zum 13. Landtag verletzt worden sei (zur Frage, ob insofern der Verwaltungsrechtsweg nach § 40 Abs. 1 Satz 1 VwGO eröffnet ist, vgl. Eyermann/Rennert, VwGO, 11. Aufl. 2000, § 40 Rdnr. 28 m.w.N.). Vielmehr wendet er sich unmittelbar gegen das geltende Landtagswahlgesetz. Rechtsschutz unmittelbar gegen Gesetze ist aber durch Art. 19 Abs. 4 GG nicht geboten. Daher ist verfassungsrechtlich unbedenklich, dass in Baden-Württemberg eine Verfassungsbeschwerde zum Staatsgerichtshof nicht besteht (vgl. BVerfG <Kammer>, Beschluss vom 18.07.2001 – 2 BvR 2/01 –, NVwZ 2002, 73) und dass eine Verfassungsbeschwerde wegen der Beachtung der Wahlrechtsgrundrechte durch ein Landtagswahlgesetz zum Bundesverfassungsgericht nicht (mehr) erhoben werden kann (BVerfG, Beschluss vom 16.07.1998, a.a.O. <S. 18 f.>), zumal eine solche Verfassungsbeschwerde auch längst verfristet gewesen wäre (§ 93 Abs. 3 BVerfGG). 17

[Seite 8] IV.

Das Verfahren ist kostenfrei. Auslagen werden nicht erstattet (§ 55 StGHG). 18
Hans Georgii, Eberhard Stilz, Dr. Roland Hauser,
Prof.Dr.jur.Dr.h.c. Thomas Oppermann, Dr. jur. Rudolf Schieler, Dr. Manfred Oechsle,
Ute Prechtl, Prof. Dr. phil.Dr. h.c. Wolfgang Jäger, Sybille Stamm

 


Matthias Cantow