Stimmenverrechnung anschaulich

[Verfahren]

Ausgangspunkt jeder Stimmenverrechnung bei Verhältniswahlen sind die Idealansprüche der Parteien. Wir nehmen hier ein einfaches Wahlergebnis als Beispiel, bei dem 100 Wähler über 10 Mandate entscheiden:

Partei ABCDE Summe
Stimmen 43331284 100
Idealanspruch 4,33,31,20,80,4 10

Die meisten der üblichen Verfahren sind Divisorverfahren. Ihr wesentliches Merkmal ist, dass sie eine feste Rundungsregel haben. Um zu sehen, was das bedeutet, bauen wir uns für jedes Verfahren einen Maßstab, auf dem die Rundungsergebnisse markiert sind:

[Grafik: Maßstäbe für die Divisorverfahren Adams, Dean, Hill/Huntington, Sainte-Laguë, d’Hondt und Imperiali im Vergleich zu den Idealansprüchen der Beispielswahl]

Wir können jetzt schon eine jeweils mögliche Sitzverteilung ablesen. Nur ergibt sich dabei teilweise eine andere Sitzzahl, als wir eigentlich wollten: Bei Sainte-Laguë würden so nur 9 Sitze verteilt, bei d’Hondt nur 8, bei Adams dafür gleich 13. Wo eine Abweichung von der Sollstärke des Parlaments akzeptabel ist, könnte man an dieser Stelle eigentlich aufhören. Wenn man dagegen die exakte Mandatszahl vergeben will oder muss, muss man die Idealansprüche noch anpassen.

Dazu nehmen wir uns ein Gummiband, das wir ein bisschen spannen. Dann markieren wir darauf die Idealansprüche der Parteien, wie im obigen Bild angedeutet. Jetzt können wir das Gummiband entweder weiter spannen, oder aber den Zug ein bisschen nachlassen, bis sich insgesamt die gewünschte Mandatszahl ergibt:

[Grafik: Maßstäbe für die Divisorverfahren Adams, Dean, Hill/Huntington, Sainte-Laguë, d’Hondt und Imperiali mit passend gespannten Gummibändern; Quotenverfahren Hare/Niemeyer mit passend verschobener Stange]

Beim Quotenverfahren nach Hare/Niemeyer müssen wir dagegen statt dem Gummiband eine feste Stange verwenden. Der Maßstab ist der gleiche wie bei d’Hondt, weil auch hier zunächst auf die nächste ganze Zahl abgerundet wird. Noch nicht vergebene Mandate werden aber nicht dadurch verteilt, dass ein Gummiband gespannt wird, sondern dadurch, dass die Stange insgesamt nach rechts verschoben wird.

Der wesentliche Unterschied bei der Feinjustierung ist also, dass bei Hare/Niemeyer alle Parteien unabhängig von ihrer Größe gleich weit verschoben werden, während bei Divisorverfahren vor allem die größeren Parteien Schwankungen auffangen müssen. Das heißt aber umgekehrt auch, dass Hare/Niemeyer bei den kleinen Parteien ganz erhebliche Fehler pro Wähler verursachen kann, während Divisorverfahren die Anpassung gleichmäßig nach der Zahl der Wähler vornehmen.

Davon unabhängig ist die Frage, ob ein Divisorverfahren große Parteien generell bevorzugt oder benachteiligt. Das hängt allein vom verwendeten Maßstab ab. Kleine Parteien profitieren vom Aufrunden, große vom Abrunden. Fair ist deshalb ein Maßstab, bei dem beides gleich häufig ist, also der mit der Standardrundung von Sainte-Laguë. Auch Hare/Niemeyer ist fair, weil die Stange im Schnitt um 0,5 Mandate nach rechts verschoben wird, was die Abrundungen gerade kompensiert.

Divisoren

Normalerweise ermittelt man eine Sitzverteilung nicht mit dem Gummiband, sondern rechnet sie irgendwie aus. Die gängigen Rechenverfahren klingen teilweise recht geheimnisvoll, aber letztlich tun sie vom Prinzip her auch nichts anderes.

Der Divisor gibt einfach nur an, wie stark man das Gummiband spannen muss, um zur richtigen Verteilung zu kommen. Ein größerer Divisor bedeutet eine kleinere Spannung. Ein Divisor in Höhe der Hare-Quota bedeutet die Normalspannung, unter der wir anfangs die Parteien markiert haben.

Es gibt normalerweise einen ganzen Bereich von geeigneten Divisoren, wie man meistens auch beim Gummiband die Spannung ein bisschen variieren kann, ohne dass eine Partei über die nächste Markierung am Maßstab rutscht.

Höchstzahlen

Auch die Funktionsweise von Höchstzahlen lässt sich mit dem Gummiband verstehen. Als Beispiel schauen wir uns die Verteilung nach Sainte-Laguë an. Die Höchstzahlen sind dabei diese (gerundet):

Teiler ABCDE
1 43,0033,0012,008,004,00
3 14,3311,004,002,67...
5 8,606,60......
7 6,144,71
9 4,78...

Als Erstes lassen wir das Gummiband ganz weit zusammenschnurren, bis gerade die stärkste Partei einen Sitz bekommen würde. Damit können wir die erste Höchstzahl für Partei A abhaken.

Jetzt gibt es zwei Möglichkeiten, wenn wir anfangen, das Band zu spannen: Entweder überschreitet zuerst eine andere Partei die Grenze zu ihrem ersten Mandat, oder A erreicht vorher ihr zweites Mandat. Nachdem die Grenze zum zweiten Sitz dreimal so weit vom Nullpunkt entfernt ist wie die zum ersten, und die Parteien ja proportional zu ihren Stimmen auf dem Gummiband markiert sind, müsste A dreimal so viele Stimmen haben, um auch den nächsten Sitz zu bekommen. Deshalb wird die Stimmenzahl von A zum Vergleich durch 3 geteilt.

[Grafik: Schrittweise Sitzverteilung nach Sainte-Laguë mit Gummiband, das nach und nach gespannt wird]

Tatsächlich bekommt Partei B den zweiten Sitz, aber A hat mehr als dreimal so viele Stimmen wie die restlichen Parteien und bekommt deshalb den dritten Sitz. Auf diese Weise können wir nach und nach Sitz für Sitz verteilen.

Manchmal kann es sein, dass zwei Parteien gleichzeitig über die nächste Grenze rutschen. Solang es nicht um den letzten Sitz geht, kann man dann einfach zwei Sitze gleichzeitig verteilen. Sonst müsste man in so einem Fall den letzten Sitz auslosen, wenn auch sonst keine Zusatzregel greift. Hier müsste beispielsweise zwischen C und E gelost werden, wenn 12 Sitze zu verteilen wären.


von Andreas Schneider (15.05.2004)