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22.03.2011, Nachträge: 04.04.2011, 17.04.2011

OVG Münster hält kommunale Sitzverteilungen in NRW für korrekt

Bei der Frage, ob bei Kommunalwahlen in Nordrhein-Westfalen eine Partei als ersten Sitz ein Ausgleichsmandat erhalten kann, haben die beklagten Gemeinden (Aachen und Erkelenz) Berufung gegen die Urteile des Verwaltungsgerichts Aachen eingelegt. Das Oberverwaltungsgericht in Münster (15. Senat) hat den Klägern vor zwei Wochen seine derzeitige Auffassung mitgeteilt:

„Der Senat hält die Berufung der Beklagten gegenwärtig einstimmig für begründet: Nach seiner – des Senats – Auffassung haben im Rahmen des Verhältnisausgleichs nach § 33 Abs. 3 KWahlG die Parteien und Wahlergruppen (sowie die für diese abgegebenen Stimmen) unberücksichtigt zu bleiben, die ohne Vorliegen von Überhang- und Ausgleichsmandaten keinen Sitz in der Gemeindevertretung erlangen würden, die also bei der (ersten) Sitzzuteilung nach § 33 Abs. 2 KWahlG erfolglos geblieben sind. Sie nehmen am Verhältnisausgleich nicht teil. Dies ergibt sich nicht erst aus § 61 Abs. 5 KWahlO, sondern schon aus dem Wortlaut und der Systematik des § 33 KWahlG selbst.“

Viel Begründung kann man den wenigen Zeilen Worten nicht entnehmen. Nur einen diametralen Widerspruch zum Urteil des Verwaltungsgerichts Aachen. Die Aussage zum Verhältnisausgleich („Sie nehmen am Verhältnisausgleich nicht teil“) stimmt zumindest im Allgemeinen nicht, da sich erst durch einen Verhältnisausgleich ergibt, ob eine Partei null, einen oder sieben Sitze erhält. In der bisherigen Diskussion wurde nicht dargelegt, wo in „dem Wortlaut und der Systematik des § 33 KWahlG“ die Nichtberücksichtigung geregelt ist. Die beklagten Städte argumentierten vor dem Verwaltungsgericht denn auch mit Regelungslücken im Gesetz und dem vermuteten Willen des Gesetzgebers.

Bei Einstimmigkeit ist eine Entscheidung des Senats ohne Verhandlung möglich. Den Beteiligten des Verfahrens hat das Gericht Gelegenheit zur Stellungnahme binnen zwei Wochen gegeben. Die Frist läuft in diesen Tagen ab.

Nachtrag vom 04.04.2011: Beschlüsse des OVG Münster

Inzwischen hat das Oberverwaltungsgericht mit Beschlüssen vom 25. März 2011 entschieden, dass weder ELA noch DIHS einen Sitz in den Stadträten erhalten (15 A 1641/10, 15 A 1642/10 und 15 A 1515/10). Die Beschlüsse liegen uns noch nicht vor, aber laut der Pressemitteilungen (zu Aachen und Erkelenz) bezieht sich der Senat entgegen seiner Auffassung im oben genannten Schreiben nun doch nicht auf den Wortlaut in § 33 KWahlG, sondern auf die Kommunalwahlordnung (§ 61 Abs. 5), welche das Kommunalwahlgesetz „konkretisiere“.

Dies ist erstaunlich: Nicht nur weil alle Prozessparteien in der Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht Aachen noch darin überein­stimmten, dass nur das Kommunalwahlgesetz und nicht die Kommunalwahlordnung Maßstab für die Verteilung sein könne, sondern auch, weil das Verwaltungsgericht in seinem Urteil vom 27. Mai 2010 – 4 K 125/10 –, Rz. 69, festgestellt hat, dass § 61 Abs. 5 KWahlO wegen Überschreitung der Ermächtigungsnorm nichtig ist. Schließlich zählt die Ermächtigungsgrundlage für die Kommunal­wahlordnung in § 51 KWahlG ausführlichst selbst die neben­sächlichsten Dinge auf, die eine Wahlordnung regeln darf – aber nichts zur Sitz­zuteilung. (Davon abgesehen ist die Regelung in § 61 Abs. 5 KWahlO nicht eindeutig, wenigstens bei einer rein wörtlichen Auslegung kann man auch zu dem Ergebnis kommen, dass alle Parteien weiterhin am Verhältnisausgleich teilnehmen.)

Zudem träfen einer Regelung der Sitzzuteilung allein in der Wahlordnung wegen des Wesentlichkeitsgrundsatzes verfassungsrechtliche Bedenken (vgl. etwa Verfassungsgerichtshof des Landes Berlin, Urteil vom 21. März 2003 – VerfGH 175/01 –, Abs. 22). Auch das Verwaltungsgericht Aachen hält eine solche rechtliche Ausgestaltung für verfassungswidrig.

Die Revision wurde nicht zugelassen, allerdings ist eine Nichtzulassungsbeschwerde beim Bundesverwaltungsgericht möglich.

Nachtrag vom 17.04.2011: Begründung der Entscheidung

Die Beschlüsse mit der Begründung des Oberverwaltungsgerichts sind mittlerweile online (15 A 1641/10). Im Gegensatz zur Pressemitteilung des Gerichts argumentierten die Richter nun doch mit dem Kommunalwahlgesetz. Die Argumentation folgt dabei sehr der Aufstockungstheorie des Innenministeriums (vgl. „Abwegige Aussagen …“). So findet sich auch in den Beschlüssen explizit die mathematisch falsche Aussage, aus der Ausgleichsberechnung könne ein Sitzverlust einer Gruppierung resultieren (das wäre ein Alabama-Paradoxon für Sainte-Laguë, was allerdings schon mathematisch nicht möglich ist).

Folgt man der OVG-Auslegung von § 33 Abs. 3 KWahlG gibt es nun eine weitere Regelungslücke im Kommunalwahlgesetz. Wie sind Überhangmandate einer kleinen Partei zu behandeln, die in der ersten Berechnungsstufe nach § 33 Abs. 2 KWahlG keinen Sitz erhalten haben?

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von Martin Fehndrich (22.03.2011, letzte Aktualisierung am 18.04.2011)