Nachrichten |
[Aktuelle Meldungen] |
01.09.2009, Nachtrag: 13.09.2009
Nach den nordrhein-westfälischen Kommunalwahlen am letzten Sonntag wurde die Sitzverteilung einiger Gemeindevertretungen falsch ermittelt. Berechnungen mit dem im Kommunalwahlgesetz des Landes neu verwendeten Sitzzuteilungsverfahren nach Sainte-Laguë führen zu anderen Ergebnissen. Betroffen sind unter anderem die Stadträte in Dortmund und Aachen.
In Dortmund sind die SPD (78.018 Stimmen, 37 Sitze) und das Linke Bündnis (1.183 Stimmen, 0 Sitze) betroffen. Bei Verteilung durch paarweisen Vergleich an die beiden Gruppen erhält die SPD von 37 Sitzen 36 und das Linke Bündnis 1 Sitz. (Zu rechnen ist 37 × 1.183 / ( 1.183 + 78.018) bzw. 37 × 78.018 / (1.183 + 78.018) und dann kaufmännisch zu runden.) Das Gleiche gilt in Aachen für die dortige SPD (26.109 Stimmen, 20 Sitze) und die Europäische Liste Aachen (ELA, 718 Stimmen, kein Sitz). Auch hier ist die Sainte-Laguë-konforme Verteilung von 20 Sitzen 19 für die SPD und 1 Sitze für ELA. Ursache ist aber kein Flüchtigkeitsfehler bei der Berechnung in den Gemeinden. Vielmehr gibt es einen scheinbaren Regelungswiderspruch zwischen dem Kommunalwahlgesetz und der Kommunalwahlordnung bei der Berechnung der Ausgleichsmandate.
Wenn eine Partei mehr Direktmandate in den Wahlbezirken erhält, als ihr nach dem Divisorverfahren mit Standardrundung dem Stimmenanteil nach zustehen, darf sie diese Sitze behalten. Die anderen Parteien erhalten dann Ausgleichsmandate. Unklar scheint zu sein, ob Parteien, die im ersten Rechenschritt keine Sitze erhalten haben, in den Genuss von Ausgleichsmandaten kommen können.
§ 61 Abs. 5 Kommunalwahlordnung (Stand nach Änderungsverordnung vom 3. Juli 2009) lautet (Hervorhebung von Satz 2 durch den Verfasser):
Satz 2 nimmt die Stimmen dieser Parteien explizit von der Berechnung der (unwichtigen) „bereinigte[n] Gesamtstimmenzahl“ aus. Aber selbst hier findet sich kein Hinweis darauf, dass diese Parteien bei der Verteilung der Ausgleichsmandate insgesamt nicht zu berücksichtigen wären. Das Berechnungsprogramm des Innenministeriums vermerkt dazu in seinem Ergebnisausdruck am Beispiel der Sitzverteilung des Aachener Rates:
Im Wahlgesetz selber (§ 33 Abs. 3 KWahlG) findet sich diese Ausnahme aber nicht. Das Kommunalwahlgesetz ist als vom Parlament beschlossenes Gesetz ranghöher als die von der Landesregierung beschlossene Kommunalwahlordnung. Eine Verordnung darf einem Gesetz nicht widersprechen und muss sich innerhalb der vom Gesetzgeber festgelegten Verordnungsermächtigung halten. In der entsprechenden Vorschrift des Kommunalwahlgesetzes ist aber keine Rede davon, dass die Wahlordnung zusätzliche Regeln für die Vergabe von Ausgleichsmandaten vorsehen darf. Die Nichtberücksichtigung der ELA in Aachen und des Linken Bündnisses in Dortmund – sollte solch eine Sitzverteilung auch im amtlichen Endergebnis festgestellt werden – wäre damit gesetzeswidrig.
Weitere betroffene Gemeinden (Stand: 13.09.2009)
Da vermutlich alle Gemeinden die Sitzverteilung mit der Software des Innenministeriums berechnet haben und wohl auch jede andere verwendete Software sich an der Rechtsauffassung des Ministeriums orientiert, könnten letztlich alle Gemeinden in Nordrhein-Westfalen von der fehlerhaften Berechnungsweise betroffen sein. Wir haben bisher nur die kreisfreien Städte untersucht, außer Aachen und Dortmund jedoch keine weiteren Fälle entdeckt. Für Hinweise auf ähnlich gelagerte Fälle in kreisangehörigen Gemeinden wären wir dankbar. Bisher haben uns Hinweise auf folgende Städte erreicht:
In Erkelenz hätte die Demokratische Initiative Heinsberg (DIHS) nach der hier vertretenen Auffassung Anspruch auf einen Sitz im Rat, der nach dem amtlichen Endergebnis der SPD zugesprochen wurde.
Auch in Erkrath profitiert die SPD von der gesetzeswidrigen Berechnungsweise und erhält ein zusätzliches Mandat auf Kosten der Linken.
Die Wahlergebnisse in Dortmund, Erkelenz, Erkrath und Aachen wurden inzwischen festgestellt. Zumindest in Aachen wurden Einsprüche angekündigt.
Das Innenministerium hat uns gegenüber angedeutet, dass die Ausgleichsregelung unter Ausschluss der bei der ersten Zuteilung erfolglosen Listen schon bei früheren Kommunalwahlen verwendet wurde. Kennt jemand ein Wahlergebnis von 2004 (oder 1999), das dies bestätigt oder widerlegt?
Gegenbeispiel
Bei den Kommunalwahlen 2004 erhielt in Ratingen die Ratinger Linke als einzigen Sitz einen Ausgleichssitz.
Jeder Wahlberechtigte des Wahlgebiets, jede an der Wahlbeteiligte Partei oder Wählergruppe sowie die Aufsichtsbehörde können innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe des amtlichen Endergebnisses beim Wahlleiter Einspruch gegen die festgestellte Sitzverteilung erheben. Über den Einspruch entscheidet zunächst – nach Vorprüfung durch einen hierfür gewählten Ausschuss – der Rat selbst. Gegen die Entscheidung des Rats kann wiederum innerhalb eines Monat Klage vor den Verwaltungsgerichten erhoben werden. Es ist davon auszugehen, dass eine abschließende Klärung dieser Rechtsfrage erst im verwaltungsgerichtlichen Verfahren erfolgen wird.
Quellen: Internetseiten der Gemeinden und des Innenministeriums
Vorläufiges amtliches Endergebnis in Aachen
Wahlberechtigte insgesamt | 187.618 | |
Wähler/-innen | 100.320 | |
Ungültige Stimmen | 1.585 | |
Gültige Stimmen | 98.735 | |
Divisoren: 1.340 Stimmen/Sitz (mit ELA), 1.330 (ohne ELA) | ||
CDU | 37.261 | 28 |
SPD | 26.109 | 20 |
GRÜNE | 18.802 | 14 |
FDP | 7.405 | 6 |
DIE LINKE | 4.073 | 3 |
PIRATEN | 1.680 | 1 |
UWG Stadt Aachen | 1.553 | 1 |
FWG Stadt Aachen | 771 | 1 |
ELA | 718 | 0 |
ABL | 235 | 0 |
Einzelbewerberin Thomas-Kupke | 128 | 0 |
Bei einer Berücksichtigung der kleinen Gruppen bei der Ausgleichsmandateverteilung erhielte die ELA einen Sitz, die SPD 19 Sitze.
Amtliches Endergebnis in Dortmund
Wahlberechtigte insgesamt | 449.610 | |
Wähler/-innen | 210.050 | |
Ungültige Stimmen | 3.581 | |
Gültige Stimmen | 206.469 | |
Divisoren: 2.150 mit und 2.100 ohne Linkes Bündnis | ||
SPD | 78.018 | 37 |
CDU | 59.316 | 28 |
GRÜNE | 31.877 | 15 |
FDP | 13.106 | 6 |
DIE LINKE | 11.381 | 5 |
BÜRGERLISTE | 4.065 | 2 |
DVU | 3.076 | 1 |
FBI | 2.236 | 1 |
NPD | 1.760 | 1 |
Linkes Bündnis | 1.183 | 0 |
DUW 2009 | 223 | 0 |
Aufbruch Grundeinkommen | 211 | 0 |
Einzelbewerber Rengel | 17 | 0 |
Bei einer Berücksichtigung der kleinen Gruppen bei der Ausgleichsmandateverteilung erhielte das Linke Bündnis einen Sitz, die SPD 36 Sitze. Da die SPD 36 Direktmandate gewonnen hat – das 37. Mandat wäre ein Ausgleichsmandat für die SPD selbst – müsste der Rat nicht weiter vergrößert werden.
(1) Der Wahlausschuss zählt zunächst die für alle Bewerber abgegebenen gültigen Stimmen, nach Parteien, Wählergruppen und Einzelbewerbern getrennt, zusammen (Gesamtstimmenzahl). Durch Abzug der Stimmen der Parteien und Wählergruppen, für die keine Reserveliste zugelassen ist, und der Stimmen der Einzelbewerber von der Gesamtstimmenzahl wird die bereinigte Gesamtstimmenzahl gebildet.
(2) Von der gemäß § 3 in jedem Wahlgebiet zu wählenden Gesamtzahl von Vertretern wird die Zahl der erfolgreichen Wahlbezirksbewerber abgezogen, die als Einzelbewerber aufgetreten oder von einer nach Absatz 1 Satz 2 nicht zu berücksichtigenden Partei oder Wählergruppe vorgeschlagen sind. Von der so gebildeten Ausgangszahl werden den am Verhältnisausgleich teilnehmenden Parteien und Wählergruppen nach dem Divisorverfahren mit Standardrundung so viele Sitze zugeteilt, wie ihnen im Verhältnis der auf ihre Reserveliste entfallenen Stimmenzahlen zur Gesamtstimmenzahl nach Absatz 1 zustehen (erste Zuteilungszahl). Jede Partei oder Wählergruppe erhält so viele Sitze, wie sich nach Teilung ihrer Stimmen durch den Zuteilungsdivisor und anschließender Rundung ergeben. Der Zuteilungsdivisor ist so zu bestimmen, dass insgesamt so viele Sitze wie nach der Ausgangszahl auf die Reservelisten entfallen. Bei der Rundung sind Zahlenbruchteile unter 0,5 auf die darunter liegende Zahl abzurunden und Zahlenbruchteile ab 0,5 auf die darüber liegende Zahl aufzurunden. Kommt es bei Berücksichtigung von bis zu vier Stellen nach dem Komma zu Rundungsmöglichkeiten mit gleichen Zahlenbruchteilen, entscheidet das vom Wahlleiter zu ziehende Los. Zur Ermittlung des Zuteilungsdivisors ist die Gesamtstimmenzahl durch die Ausgangszahl zu teilen.
Falls nach dem sich so ergebenden Divisor bei Rundung insgesamt weniger Sitze als nach der Ausgangszahl vergeben würden, ist der Divisor auf den nächstfolgenden Divisor, der bei Rundung die Ausgangszahl ergibt, herunterzusetzen; würden insgesamt mehr Sitze als nach der Ausgangszahl vergeben, ist der Divisor auf den nächstfolgenden Divisor, der bei Rundung die Ausgangszahl ergibt, heraufzusetzen.
(3) Haben Parteien und Wählergruppen mehr Sitze in den Wahlbezirken errungen, als ihnen nach Absatz 2 zustehen, wird die Ausgangszahl um so viele Sitze erhöht, wie notwendig sind, um auch unter Berücksichtigung der erzielten Mehrsitze eine Sitzverteilung nach dem Verhältnis der Stimmenzahlen zu erreichen. Dazu wird die Zahl der in den Wahlbezirken errungenen Sitze der Partei oder Wählergruppe, die das günstigste Verhältnis dieser Sitzzahl zur ersten Zuteilungszahl erreicht hat, mit der Gesamtstimmenzahl nach Absatz 1 multipliziert und durch die Stimmenzahl dieser Partei oder Wählergruppe dividiert. Die zweite Ausgangszahl für die Sitzzuteilung ist mit einer Stelle nach dem Komma zu berechnen und auf eine ganze Zahl nach Absatz 2 Satz 5 auf- oder abzurunden. Ist durch die erhöhte Ausgangszahl die Gesamtzahl der Sitze eine ungerade Zahl, wird diese Ausgangszahl um eins erhöht.
Erhalten Parteien oder Wählergruppen bei der Berechnung der erhöhten Ausgangszahl nicht eine Sitzzahl, die der Zahl ihrer erfolgreichen Wahlbezirksbewerber entspricht, wird die erhöhte Ausgangszahl um zwei erhöht, bis die Zahl der Listenmandate nach erneuter Berechnung gemäß Absatz 2 erstmals der Zahl ihrer erfolgreichen Wahlbezirksbewerber entspricht oder diese übersteigt.
(4) Erhält bei der Verteilung der Sitze nach Absatz 2 eine Partei oder Wählergruppe, die mehr als die Hälfte der gültigen Stimmen erhalten hat, nicht mehr als die Hälfte der insgesamt zu vergebenden Sitze, wird ihr vorab ein weiterer Sitz zugeteilt (Zusatzmandat). Von den anderen Parteien oder Wählergruppen erhält diejenige mit dem niedrigsten Zahlenbruchteil ab 0,5 einen Sitz weniger als nach Absatz 2. Betragen die Zahlenbruchteile sämtlich weniger als 0,5, erhält die Partei oder Wählergruppe einen Sitz weniger, die bei einer erneuten Berechnung nach Absatz 2 mit der Gesamtstimmenzahl und der Gesamtsitzzahl der verbleibenden Parteien und Wählergruppen den niedrigsten Zahlenbruchteil erreicht. Bei gleichen zu berücksichtigenden Zahlenbruchteilen bis zu vier Stellen nach dem Komma entscheidet das vom Wahlleiter zu ziehende Los.
(5) Parteien und Wählergruppen, die weniger Sitze in den Wahlbezirken errungen haben, als ihre Sitzzahl beträgt, erhalten die fehlenden Sitze aus der Reserveliste.
(6) Die Sitze werden aus den Reservelisten in der dort festgelegten Reihenfolge besetzt. § 32 Satz 2 gilt entsprechend. Bewerber, die in einem Wahlbezirk gewählt sind, bleiben hierbei unberücksichtigt. Entfallen auf eine Partei oder Wählergruppe mehr Sitze, als Bewerber auf der Reserveliste benannt sind, so bleiben diese Sitze unbesetzt.