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12.07.2006
Das Vorhaben der Hamburger CDU, das neue Hamburger Wahlrecht noch vor seiner ersten Anwendung weitreichend zu ändern, geht auf die Zielgerade. Seit unserer letzten Meldung im Oktober 2005 gab es unzählige Gremien-Sitzungen in Fraktion und Partei sowie eine Sachverständigen-Anhörung im zuständigen Bürgerschaftsausschuß. Zunächst wurde im Frühjahr ein Kompromiß mit der Gruppe von CDU-Abgeordneten gefunden, die sich zunächst weigerte, die Pläne mitzutragen. Die Übereinkunft sah u.a. vor, auf der Landesliste kein Kumulieren und Panaschieren mehr zuzulassen, sondern zur starren Liste mit einer Stimme zurückzukehren. Im Gegenzug wurde auf Ebene der Mehrmandatswahlkreise die sog. „Relevanzschwelle“ gesenkt.
Nach dem Willen der CDU soll die persönliche Stimmenzahl eines Kandidaten nur dann bei der Sitzverteilung berücksichtigt werden, wenn sie eine gewisse Mindesthöhe erreicht. Anderenfalls gilt allein die von der Partei festgelegte Reihenfolge auf den Wahlkreislisten. Zunächst war geplant, die Relevanzschwelle auf die Stimmenzahl festzulegen, die auf die jeweilige Partei im Wahlkreis je erlangtem Sitz entfallen ist. Hat die Partei in einem Wahlkreis also nur einen Sitz erreicht, hätte ein Kandidat ausnahmslos alle für diese Partei abgegebenen Stimmen als eigene Personenstimmen erhalten müssen, um die Hürde zu überspringen. Auch für Kandidaten, deren Partei mehr als einen Sitz erwarten kann, wäre diese Schwelle praktisch unerreichbar gewesen, wie wir anhand des Beispiels der letzten Stadtratswahl in Hannover zeigen konnten. Das Kommunalwahlrecht in Niedersachsen ist hinsichtlich der Stimmgebung dem Hamburger Wahlrecht sehr ähnlich, so daß die dortigen Ergebnisse wertvolle Anhaltspunkte für das zu erwartende Wahlverhalten in Hamburg liefern können.
Der aufgrund des mit den potentiellen Abweichlern erzielten Kompromisses eingebrachte Gesetzentwurf der CDU-Fraktion hat die Relevanzschwelle dann auf eine andere Berechnungsgrundlage gestellt – statt für jede Partei einzeln wird sie anhand der für alle Wahlkreislisten eines Wahlkreises geltenden Wahlzahl ermittelt – und um zwei Drittel gesenkt. Ein heute in den Verfassungsausschuß eingebrachter Änderungsantrag der CDU sieht eine weitere Senkung um drei Prozentpunkte auf 30 Prozent der Wahlzahl vor.
Erneut haben wir das Ergebnis der Hannoveraner Stadtratswahl 2001 herangezogen, um die Auswirkungen des neuen 30-Prozent-Quorums abschätzen zu können. Im Gegensatz zur ursprünglichen Schwelle gelingt es hiernach tatsächlich 13 Kandidaten von CDU und SPD, die nötige Stimmenzahl zu erreichen. Für die Kandidaten der Grünen bleibt sie jedoch nach wie vor unerreichbar hoch.
Von den 13 Bewerbern, die die Schwelle erreichen konnten, waren zwölf als Spitzenkandidat ihrer Partei im jeweiligen Wahlbereich angetreten, einer kandidierte auf Platz 2 der Wahlbereichsliste. Bei einem starren Listenwahlrecht wären daher alle 13 ohnehin aufgrund ihres Listenplatzes ins Parlament eingezogen. Die Kandidaten, die von den Wählern von einem hinteren Listenplatz nach vorne gewählt wurden, wären hingegen allesamt an der Relevanzschwelle gescheitert.
Wirklichen Einfluß auf die personelle Zusammensetzung der Bürgerschaft würden die Hamburger Wähler also wohl auch nach den neuen CDU-Plänen nicht nehmen. Die Relevanzschwelle wird in der Praxis meist nur erreicht, wenn die Wähler der „Empfehlung“ ihrer Partei folgen und die Spitzenkandidaten zu deutlichen Wahlsiegen verhelfen. Weichen die Wähler hingegen von der Parteilinie ab, indem sie Kandidaten von hinteren Listenplätzen nach vorne kumulieren, ist dies gemäß der CDU-Pläne „irrelevant“, da aufgrund der breiteren Streuung der Stimmen in diesem Fall die absolute Stimmzahl des stärksten Kandidaten in aller Regel deutlich unter der Schwelle bleibt.
Kein einziger der 65 Hannoveraner Sitze wäre also unter Geltung des 30-Prozent-Quorums anders verteilt worden als in einem starren Listenwahlrecht. Das Anliegen des per Volksentscheids eingeführten neuen Hamburger Wahlrechts, die Entscheidung über die personelle Zusammensetzung der Bürgerschaft ein großes Stück weit von den Parteien in die Hand der Wähler zu geben, würde von dem Vorhaben der CDU wohl vollständig zunichte gemacht werden, da die Mandatsrelevanz des Kumulierens und Panaschierens praktisch gleich null wäre. Ohne die 30-Prozent-Schwelle – also unter Geltung des von den Hamburger Bürgern beschlossenen Gesetzes – hätte es übrigens bei immerhin 14 der 65 Sitze (22 %) mandatsrelevante Abweichungen von der Listenreihenfolge gegeben.
Die konkreten Auswirkungen eines 30-Prozent-Quorums auf Grundlage des Ergebnisses der Stadtratswahl 2001 in Hannover lassen sich der folgenden Tabelle entnehmen:
Wahlbereich | 1 | 2 | 3 | 4 | 5 | 6 | 7 | 8 | 9 | 10 | 11 | 12 | 13 | 14 | |
---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|
Stimmen insgesamt | 35.350 | 47.167 | 46.748 | 41.874 | 35.769 | 37.845 | 52.960 | 35.944 | 45.379 | 37.375 | 34.315 | 32.210 | 26.413 | 26.619 | |
Sitze im Wahlbereich insg. | 4 | 6 | 6 | 5 | 4 | 5 | 6 | 4 | 6 | 5 | 4 | 4 | 3 | 3 | |
Wahlzahl | 8.838 | 7.862 | 7.792 | 8.375 | 8.943 | 7.569 | 8.827 | 8.986 | 7.564 | 7.475 | 8.579 | 8.053 | 8.805 | 8.873 | |
Quorum (30 %) | 2.652 | 2.359 | 2.338 | 2.513 | 2.683 | 2.271 | 2.648 | 2.696 | 2.269 | 2.243 | 2.574 | 2.416 | 2.642 | 2.662 | |
SPD | |||||||||||||||
Sitze im Wahlbereich | 2 | 3 | 3 | 3 | 2 | 2 | 3 | 2 | 3 | 3 | 2 | 3 | 1 | 2 | |
Höchste Kandidaten-Stimmenzahl (Listenplatz) | 1.170 (1.) |
2.727 (1.) |
2.360 (1.) |
1.893 (1.) |
6.761 (1.) |
1.178 (1.) | 1.688 (1.) |
1.775 (1.) |
3.971 (1.) |
1.334 (1.) |
3.533 (1.) |
1.593 (1.) |
1.431 (1.) |
1.896 (1.) |
|
Zweithöchste Kandidaten-Stimmenzahl (Listenplatz) | 698 (2.) |
861 (7.) |
865 (3.) |
1.326 (2.) |
847 (2.) |
766 (3.) |
1.194 (4.) |
1.209 (2.) |
1.819 (2.) |
1.053 (6.) |
1.017 (2.) |
1.366 (7.) |
740 (2.) |
674 (6.) |
|
CDU | |||||||||||||||
Sitze im Wahlbereich | 1 | 2 | 3 | 2 | 2 | 3 | 2 | 2 | 2 | 1 | 2 | 1 | 1 | 1 | |
Höchste Kandidaten-Stimmenzahl (Listenplatz) | 2.744 (1.) |
2.504 (1.) |
2.280 (1.) |
2.882 (1.) |
1.585 (1.) |
2.912 (1.) |
3.216 (2.) |
1.346 (5.) |
2.505 (1.) |
810 (1.) |
3.278 (1.) |
1.426 (1.) |
1.403 (1.) |
1.123 (1.) |
|
Zweithöchste Kandidaten-Stimmenzahl (Listenplatz) | 715 (2.) |
942 (2.) |
1.763 (4.) |
1.450 (2.) |
1.534 (3.) |
2.620 (2.) |
1.603 (1.) |
1.134 (1.) |
1.688 (2.) |
545 (3.) |
654 (2.) |
948 (2.) |
670 (2.) |
586 (2.) |
|
GRÜNE | |||||||||||||||
Sitze im Wahlbereich | 1 | 1 | 0 | 0 | 0 | 0 | 1 | 0 | 1 | 1 | 0 | 0 | 1 | 0 | |
Höchste Kandidaten-Stimmenzahl (Listenplatz) | 506 (2.) |
731 (1.) |
402 (3.) |
530 (2.) |
450 (1.) |
470 (1.) |
752 (2.) |
377 (1.) |
285 (5.) |
828 (1.) |
411 (2.) |
242 (1.) |
518 (2.) |
198 (1.) |
|
Zweithöchste Kandidaten-Stimmenzahl (Listenplatz) | 429 (1.) |
391 (5.) |
292 (1.) |
399 (1.) |
136 (5.) |
164 (3.) |
523 (8.) |
346 (3.) |
225 (1.) |
760 (8.) |
200 (1.) |
136 (2.) |
505 (1.) |
177 (6.) |