Vorzugsstimmen

[Wahlrechtslexikon]

Vorzugsstimmen/Präferenzstimmenssysteme wie in Österreich, Niederlande, Hamburg

Bei Präferenzwahlsystemen (wie in Österreich oder den Niederlanden) haben die Wähler haben mit ihrer Stimme für eine Partei die Möglichkeit eine Stimme für einen Kandidaten dieser Partei abzugeben.

Wenn ein Kandidat mehr Stimmen als die Relevanzschwelle erhalten hat, wird er auf der Liste nach vorne gereiht, ansonsten gilt die Listenreihenfolge.

Entscheidener Parameter ist dabei die Relevanzschwelle. Wenn diese sehr hoch ist, wird es nur in Ausnahmefällen Kandidaten gelingen die nötige Anzahl von Stimmen zu erhalten. Wenn die Schwelle sehr niedrig ist (Null), überschreiten praktisch alle Kandidaten die Schwelle und das System geht in eine Wahl der stimmenstärksten Kandidaten der Liste über.

Die hier betrachteten Relevanzschwellen sind in aller Regel so hoch, daß Kandidaten nur in absoluten Ausnahmefällen dadurch gewählt werden (Österreichische Mauer). Dabei gab es meistens eine entsprechend große Vorzugsstimmenkampagne für den Kandidaten.

Eine Mandatsrelevanz ist dann gegeben, wenn ein Kandidat durch die Vorzugsstimmen ins Gremium gewählt wurde, der sonst nicht gewählt worden wäre. Diese Anzahl darf nicht verwechselt werden mit der Anzahl der Kandidaten, die mit ihrer Stimmenzahl über der Relevanzsschwelle liegen, aber auch aufgrund ihres Listenplatzes gewählt worden wären. Solch eine Verwechselung findet sich u.a. in der Begründung des Wahlgesetz Hamburg 2006.

Relevanzschwelle der Wahlsysteme

Wahlsystem Relevanz-
schwellen
Niederlande 25%
Österreich
Regionalwahlkreis
16,67-50%
Österreich
Landeswahlkreis
100%
Österreich (EU) * 5 - 126%
Hamburg (2006) ** ca 15 - 45%

* Die untere Schwelle gilt für den Fall, daß eine 4% Partei noch einen Sitz erhält, 126% für eine Partei mit 100% der Stimmen.
** Der Wert bezieht sich auf die Stimmen/Sitz der Wahlkreisliste. Da die Sitzzahl sich per Rundung nach Sainte-Laguë ergibt, kann die Zahl insb. bei nur einem Sitz im Wahlkreis um ca. 30% +/-15% schwanken

Beispiel - Wahl in den Niederlanden am 22. November 2006 - D66

Die Kandidatin auf Listenplatz 6 wurde durch die Vorzugsstimmen nach vorne gereiht und erhält deshalb ihren Sitz.

LP Kandidat (Partei D66) Stimmen Reihungkriterium
1 Pechtold, A. (Alexander) 95.937 Zahl d. Vorzugsstimmen
6 Koser Kaya, F. (Fatma) 34.564 Zahl d. Vorzugsstimmen
2 van der Ham, B. (Boris) 27.860 Zahl d. Vorzugsstimmen
3 Bakker, A.D. (Bert) 8.375 Listenplatz
4 Telleman, A.G.M. (Ageeth) 13.667 Listenplatz
5 Ollongren, K.H. (Kajsa) 3.174 Listenplatz
7 Sanders, M.W.J.L. (Mark) 934 Listenplatz

Die ersten drei Kandidaten (Listenplätze 1, 6 und 2) haben mehr Präferenzstimmen als die Relevanzschwelle von 9.838.683 : 600 = 16.397,8 und werden nach Anzahl der Stimmen gereiht. Die weiteren Kandidaten folgen in Reihenfolge des Listenplatzes. Die Partei D66 hat drei Sitze erhalten.

Niederlande/Zweite Kammer

In den Niederlanden gilt eine Hürde von 1/600 aller gültigen Stimmen, also 25 % der durchschnittlichen Stimmen für einen Sitz. Bis 1990 galt 50 % (1/300). Da es in NL kein Listenkreuz gibt, ist der Wähler gezwungen einen Kandidaten seiner Partei zu wählen. In den meisten Fällen wird dies der Listenerste sein.

Folgenden Kandidaten ist es gelungen aufgrund ihrer Vorzugsstimmen auf einen gewählten Listenplatz vorzurücken.

Wahl Kandidat Partei Stimmen
2006 Fatma Koser-Kaya D66 34.564
2003 Tineke Huizinga-Heringa ChristenUnie 19.650
2003 Hilbrand Nawijn LPF 21.200
2002 Tineke Huizinga-Heringa ChristenUnie 19.800
1998 Annie Schreijer-Pierik CDA 17.400
1998 Camiel Eurlings CDA 24.000
1986 Theo Joekes VVD 250.000
1972 Dolf Hutschemaekers KVP 27.900
1959 Karel van Rijckevorsel KVP 91.000
Quelle: parlement.com

Österreich Nationalrat

Bei Nationalratswahlen in Österreich können nach der Nationalratsordnung von 1992 Präferenzstimmen auf zwei Ebenen zugeteilt werden, der Landesliste (Bundesland) und der Wahlkreisliste.

Vorher wurde Josef Cap 1983 in Wien durch 62.457 Vorzugsstimmen gewählt.

Das Österreichische System kann zu einer gewissen Unschärfe führen, da die auf mehreren Ebenen gewählten Kandidaten selber entscheiden dürfen, auf welcher Ebene sie das Mandat annehmen und damit Einfluß auf die Nachrücker der anderen Ebenen haben.

Folgenden Kandidaten ist gelungen aufgrund ihrer Vorzugsstimmen auf einen gewählten Listenplatz vorzurücken.

  1. Über Vorzugsstimmen in Wahlkreisen gelang 1999 in Wien-Nordwest Gerhard Bruckmann zu einem Direktmandat
  2. Dasselbe gelang 2002 in Burgenland-Süd Franz Glaser
  3. Bei der FPÖ erreichten 1999 Haider und Gorbach genügend Vorzugsstimmen, nahmen das Mandat dann aber nicht an.
Quelle: Promi Politik - Prominente Quereinsteiger in der Österreichischen Politik - Dissertation Armin Wolf Uni Innsbruck, Sept. 2005 (PDF)

Österreich Europawahl

Nach der Europawahlordnung für die Europawahlen in Österreich gibt es eine Relevanzhürde von 7% der Stimmen der Liste, d.h. die Relevanzsschwelle steigt mit der Anzahl der Listenstimmen an, so daß praktisch nur bei kleinen Parteien ein Kandidat durch die Vorzugsstimmen gewählt wird.

Tatsächlich ist es bisher nur dem FPÖ Kandidaten Andreas Mölzer (Listenplatz 3, 21.980 Vorzugsstimmen) bei der Europawahl 2004 gelungen aufgrund der Vorzugsstimmen ins europäische Parlament gewählt zu werden.

Wahl Partei ursprünglicher LP Kandidat Stimmen
1996 - - -  
1999 - - -  
2004 FPÖ 3 Andreas Mölzer 21.980

Hamburg (CDU Gesetz)

Das 2006 eingeführte Wahlgesetz sieht eine Relevanzhürde von 30% der durchschnittlichen Wahlkreisstimmen für einen Sitz vor. (Daran ändert auch nichts, daß die Wähler 5 Wahlkreisstimmen haben).

Eine Modellrechnung auf Basis der Stimmenzahlen der Kommunalwahl in Hannover (2001) führt zu dem Ergebnis, daß kein einziger Kandidat durch das Überschreiten der Relevanzschwelle gewählt worden wäre (Trotz gegenteiliger Aussage in der Begründung des Wahlgesetzes).

Die Mandatsrelevanz des Hamburgischen Wahlsystems (2006) wird durch das Auffüllen über eine starre Landesliste noch weiter reduziert.


von Martin Fehndrich Erstellt: 03.12.2006, Letzte Aktualisierung: 01.01.2007