Bis zu 100 Überhangmandate bei der Bundestagswahl?

[Startseite]

Potential für 100 Überhangmandate

Bei der Bundestagswahl 2009 können beim derzeitigen Wahlrecht (Stand Juni 2009) bis zu 100 Überhangmandate auftreten. Die Bedingung dafür ist auch nicht besonders abwegig. Die Wähler müssen in den betroffenen Bundesländern nur insoweit rational den Stimmzettel ausfüllen, daß sie ihrer Partei erkennbar nicht schaden werden, also auf das negative Stimmgewicht reagieren.

Ein Kreuz bei einer überhängenden Landesliste ist damit im Ergebnis keine Zustimmung mehr und verbietet sich für rationale Wähler. Die verbleibenden Alternativen für die Anhänger dieser Partei sind dann.

Praktisch würde dies dazu führen, daß eine überhängende Landesliste überhaupt keine Zweitstimmen mehr erhielte. Alle Direktmandate wären dann automatisch auch Überhangmandate. Zur Bundestagswahl 2005 waren das 89 Direktmandate (vgl. Aufstellung hier).

Landesliste Direkt-
mandate
CDU Baden-Württemberg33
CDU Sachsen14
Summe CDU-Landeslisten47
SPD Hamburg6
SPD Bremen2
SPD Saarland4
SPD Mecklenburg-Vorpommern4
SPD Brandenburg10
SPD Sachsen-Anhalt10
SPD Thüringen6
Summe SPD-Landeslisten42
Gesamtsumme Landeslisten89

Zur Bundestagswahl 2009 ist wieder mit vielen Überhangmandaten zu rechnen, z.T. in anderen Bundesländern und für andere Parteien als 2005, aber z.B. für Baden-Württemberg und Sachsen ist nicht erkennbar, daß die CDU nicht deutlich unter 50% und deutlich vor der SPD liegen sollte.

Bedingung für bis zu 100 Überhangmandate

Die Bedingung für dieses Szenario (bis zu 100 Überhangmandaten) ist, daß

  1. ein Wähler das Wahlsystem mit seinen Konsequenzen (neg. Stimmgewicht) kennt und verstanden hat
  2. er abschätzen, daß Überhangmandate auftreten (z.B. durch einen Blick auf Wahlrechttipps 2009)
  3. er rational wählt, also seiner Partei nicht schaden [weniger Sitze für diese Partei] will.

Es bedarf auch keinem irgendwie geartetem koordiniertem Verhalten oder einer Absprache der Wähler, da jede Stimme, die für eine im Bundesland überhängende Partei abgegeben wird (also z.B. 2005 alle Stimmen für die CDU in Baden-Württemberg oder alle Stimmen für die SPD in Brandenburg) im Mittel zu weniger Stimmen für diese Partei führt.

Auch wenn nicht anzunehmen ist, daß alle Wähler in der beschriebenen Art reagieren, eine spürbare Anzahl kann es schon sein. Und daß die Wahler das Wahlsystem lernen und reagieren können, zeigen die Wahlergebnisse der Nachwahl in Dresden oder der Parlamentswahl in Albanien 2005, bei der die beiden großen Parteien dank Stimmensplitting nur rund 8% der Stimmen erhielten.

Viel wird davon abhängen, ob und wie die Medien den Wählern das Wahlrecht und die Konsequenzen vermitteln werden.

Meldungen


von Martin Fehndrich (04.06.2009, letzte Aktualisierung: 26.06.2009)