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15.03.2008

Landtagswahl Hessen 2008:
Deutlicher Rückgang der Wahlbeteiligung in Gemeinden mit Wahlcomputern

Halten Wahlcomputer Wahlberechtigte von der Stimmabgabe ab? Verzichten Bürger angesichts langer Warteschlangen von bis zu 45 Minuten sowie komplizierter oder ausfallender Technik auf ihr Stimmrecht? Haben sie gar Angst vor „bösen“ Hackern oder Innentätern, welche die Stimmabgabe manipulieren oder ausspähen wollen? Verletzt die elektronische Wahl den Grundsatz der allgemeinen Wahl, wenn die Menschen vor der Wahl am Wahlcomputer zurückschrecken?

Tatsache ist, dass in allen acht hessischen Gemeinden, die bei der Landtagswahl 2008 in Hessen Wahlgeräte einsetzten, die Wahlbeteiligung relativ zur Wahlbeteiligung im jeweiligen Wahlkreis fiel. Auch beim Vergleich mit der Wahlbeteiligung der Landtagswahl 1998 stehen alle acht Gemeinden schlechter da. Über 5.000 Stimmen – das sind mehr als 3,7 % der Wahlberechtigten – sind demnach weniger abgegeben worden (beim Vergleich mit 1998 immerhin noch 3.200 Stimmen, 3 %).

Oder wurden nur die Wahlberechtigten abgeschreckt, die sonst ihren Protest phantasievoll auf den Stimmzetteln hinterließen und denen die „Ungültig“-Taste keinen Raum mehr für Kreativität lässt? Dafür spricht die gesunkene Zahl der ungültigen Stimmen (von 2.226 auf 909, also 1.317 ungültige Stimmen weniger) in diesen Gemeinden, die einen Teil des Rückgangs der Wahlbeteiligung erklärt. Allerdings liegen diese Werte nur marginal unter der Anzahl ungültiger Stimmen zur Landtagswahl 1999, so dass es sich hier auch um einen Auswahleffekt handeln könnte.

Ulrich Wiesner, einer der drei Beschwerdeführer, die beim Bundesverfassungsgericht Wahlprüfungsbeschwerde wegen des Einsatzes von Wahlcomputern bei der Bundestagswahl 2005 erhoben haben, erklärt die niedrige Wahlbeteiligung so: „Mancher Wähler, der in der Vergangenheit Schwierigkeiten mit der Bedienung der Wahlgeräte hatte, ist in diesem Jahr vermutlich gleich zuhause geblieben“. Aus statistischer Sicht könnten allerdings auch andere Gründe zum Rückgang der Wahlbeteiligung geführt haben, die besonders die acht Gemeinden treffen. Der Bürgermeister von Viernheim verneint einen Zusammenhang mit dem Einsatz von Wahlcomputern. In seiner Stadt gab es den größten Rückgang der Wahlbeteiligung von 61,7 % auf 50,0 %.

Die Entwicklung der Wahlbeteiligung in der Übersicht

Wahl-
kreis
Wahlkreis/Gemeinde Landtagswahlen Rückgang zu 2003
2008 2003
Wahlbe-
rechtigte
Wahlbe-
teiligung
Wahlbe-
teiligung
Differenz WK-Trend
bereinigt
entspricht
... Wählern
2Niestetal8.47763,28%67,87%-4,59%-3,60%-305,4
2Kassel-Land II97.80166,30%67,60%-1,30%
29Niedernhausen10.95571,57%72,15%-0,57%-1,48%-162,3
29Rheingau-Taunus II76.90169,74%69,05%0,70%
32Bad Soden am Taunus, St.15.11572,39%73,41%-1,02%-1,22%-184,0
32Main-Taunus I81.90572,35%72,38%-0,03%
44Langen (Hessen), St.24.69361,72%64,08%-2,36%-1,44%-355,2
44Offenbach Land I84.60964,69%66,03%-1,34%
45Obertshausen, St.16.81263,32%65,71%-2,39%-2,20%-369,5
45Offenbach Land II68.18165,59%66,32%-0,73%
51Alsbach-Hähnlein6.89068,46%67,70%0,76%-1,05%-72,2
51Darmstadt-Dieburg I84.20467,54%65,82%1,72%
54Lampertheim, St.24.06754,10%60,76%-6,65%-5,21%-1.252,8
54Viernheim, St.22.95450,00%61,70%-11,70%-10,25%-2.352,5
54Bergstraße I101.74358,63%62,39%-3,76%
99Land Hessen4.370.46364,32%64,62%-0,30%-5.053,9

Beispiel Alsbach-Hähnlein

Das Sinken der Wahlbeteiligung soll am Beispiel der Gemeinde Alsbach-Hähnlein (Wahlkreis 51 – Darmstadt-Dieburg I) erläutert werden, in der das Thema „geringe Wahlbeteiligung“ anscheinend kein Problem darstellt. Die Wahlbeteiligung liegt hier mit 68,46 % im oberen Mittelfeld des Landes. Gegenüber 2003 verzeichnet diese Gemeinde sogar einen kleinen Zuwachs der Wahlbeteiligung von 0,76 Prozentpunkten, während in den anderen sieben Gemeinden mit elektronischer Stimmabgabe ein mehr oder weniger starker Rückgang zu beobachten ist. Vergleicht man diese Entwicklung mit der der Wahlbeteiligung des Wahlkreises 51 – Darmstadt-Dieburg I, fällt auf, dass hier die Wahlbeteiligung um 1,7 Prozentpunkte von 65,8 % (2003) auf 67,5 % (2008) gestiegen ist. Der Anstieg der Wahlbeteiligung im Wahlkreis ist also stärker als in der Gemeinde Alsbach-Hähnlein. Dies gilt – zum Teil deutlich ausgeprägter – für alle Gemeinden, welche Wahlcomputer eingesetzt haben, sowohl im Vergleich zur Wahl 2003 als auch zur Wahl 1999.

Vergleicht man den Wahlbeteiligungsanstieg in der elektronisch wählenden Gemeinde mit dem in den herkömmlich wählenden Gemeinden des Wahlkreises (dazu die Excel-Tabelle mit allen Zahlen zur Entwicklung der Wahlbeteiligung und der ungültigen Stimmen) beträgt der Anstieg sogar 1,81 Prozentpunkte (von 65,65 % auf 67,46 %). Relativ zum Wahlkreistrend hat ein Anteil von 1,05 % der 6.890 Wahlberechtigten weniger die Wahlkabinen genutzt haben, dies entspricht rechnerisch 72,2 Wähler.

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von Martin Fehndrich (10.03.2008, letzte Aktualisierung am 15.03.2008)