Nachrichten

[Archiv 2005] [Aktuelle Meldungen]

28.11.2005

Landtagswahl in einem sächsischen Wahlkreis muss wiederholt werden

Der Sächsische Verfassungsgerichtshof hat am 25. November 2005 in einem Wahlprüfungsverfahren entschieden, dass die Wahl des Wahlkreisabgeordneten im Wahlkreis 31 (Leipzig 7) vom 19. September 2004 wiederholt werden muss (Az: Vf. 45-V-05). Gleichzeitig verlor der bisherige Wahlkreisgewinner Rolf Seidel (CDU) nach Feststellung der Verfassungsrichter sein Mandat. Das Zweitstimmenergebnis im Wahlkreis und im Land Sachsen wird von dem Beschluss nicht berührt.

Der Beschwerdeführer Wolfgang Denecke (PDS) durfte zur Wahl im September 2004 nicht antreten, da eine von ihm unterzeichnete und vom Landeswahlgesetz geforderte Erklärung, er wisse dass Stasi-Mitarbeitern nach Art. 118 der Verfassung des Freistaats Sachsen das Landtagsmandat entzogen werden könne, nicht rechtzeitig beim Landeswahlleiter eingetroffen war. Das Gericht erklärte nun diesen Passus des Wahlgesetzes für verfassungswidrig und nichtig, das Fehlen der Erklärung sei kein Grund, einen Kandidaten bereits vorher zu streichen.

Denecke hatte bereits nach der Entscheidung des Landeswahlausschusses vom 29. Juli 2004 über seine Beschwerde gegen seine Nichtzulassung durch den Kreiswahlausschuss eine Verfassungsbeschwerde und einen Antrag auf einstweiligen Anordnung beim Verfassungsgerichtshof erhoben bzw. gestellt. Der Verfassungsgerichthof lehnte in seinem Beschluss – Vf. 83-IV-04 – vom 10. August 2004 den Antrag wegen Unzulässigkeit des Hauptsacheverfahrens ab und verwies auf das Wahlprüfungsverfahren nach der Wahl. Dieser im Bund und den Ländern gesetzesgemäße und übliche Verfahrensweg wird angesichts der Folgen der aktuellen Entscheidung zumindest für den bisherigen Wahlkreisabgeordneten sicher die Diskussion über die Gestaltung des Wahlprüfungsverfahrens in Sachsen und in der Bundesrepublik verstärken. Zumal schon die Entscheidung des Landeswahlausschusses wegen der wortgetreuen Auslegung des Landeswahlgesetzes kritisiert wurde – der PDS-Kandidat hatte die geforderte Erklärung bereits einmal vor einer Landtagswahl abgegeben, seine Kenntnis des Verfassungsartikels war somit belegt.

Betroffen von der Entscheidung sind neben den Wahlkreiskandidaten des Wahlkreises 31

Mögliche Folgen für andere Mandatsinhaber und das Kräfteverhältnis im Landtag

Zu der Frage, ob bei einer Wiederholungswahl und einer möglichen Niederlage des CDU-Kandidaten neben dem Überhangmandat auch die beiden Ausgleichsmandate (je eines der PDS und der SPD) wegfallen – mit relativem Vorteil für CDU und Nachteilen für SPD und PDS (vgl. Meldung vom 1. Juni 2005 – Muss die Landtagswahl in einem sächsischen Wahlkreis wiederholt werden?) – könnte es Ausführungen der Verfassungsrichter in dem noch nicht veröffentlichten Beschluss des Gerichts geben. Wahlrecht.de wird weiter berichten.

Abschluß der Wahlprüfung

Die anderen vier bisher noch anhängigen Wahlprüfungsbeschwerden – darunter auch zwei (Vf. 60-IV-05) gegen die Wählbarkeit von Wolfram Köhler im Wahlkreis 37 – hatten keinen Erfolg.

Mit diesen verfassungsgerichtlichen Entscheidungen ist die Prüfung der Wahl zum 4. Sächsischen Landtag beendet – zumindest die der Hauptwahl, denn auch nach der Wiederholungswahl könnte es weitere Wahlprüfungsverfahren geben. Die dafür benötigte Dauer von 432 Tagen ist zwar nicht lange (bei der Prüfung der Bundestagswahl 2002 war nach dieser Zeit gerade einmal für einen Teil der Wahleinsprüche das erstinstanzliche Verfahren im Bundestag beendet), allerdings zeigt der Fall Denecke, dass auch diese verhältnismäßig kurze Zeit der Bedeutung eines zweifelsfrei legitimierten Legislative in einer parlamentarischen Demokratie nicht gerecht wird.

Update

Inzwischen sind die Urteile des Verfassungsgerichtshofs online (als PDF: Vf. 45-V-05 - Vf. 46-V-05)

Mit der Entscheidung, daß der CDU-Abgeordnete Seidel, der nicht auf der Liste abgesichert war, bis zur Wahl nicht mehr dem Landtag angehört, ohne ein Wort über die beiden Ausgleichsmandate zu verlieren, erkennt man, daß die Richter keinen Gedanken an das möglicherweise wegfallende Überhangmandat und die beiden Ausgleichsmandate verschwendet haben.

Die Folgen bleiben damit weiter ungewiß, ob es nach der Wahl eine Neufeststellung des gesamten Landtagswahlergebnisses geben wird, mit der Folge, daß SPD und PDS wegen ihrer Ausgleichsmandate ein starkes Interesse daran haben, daß ein CDU-Kandidat den Wahlkreis gewinnt, während die CDU ohne diesen Wahlkreis besser dastünde und parteistrategisch auf die Kandidatur gleich verzichten könnte, oder ob die Stärke des Landtages bei 124 bleibt und nur ein Austausch von Wahlkreis und Listenabgeordneten erfolgen könnte.

Als Termin der Wiederholungswahl wurde der 22. Januar 2006 angesetzt.

05.12.2005 - Update 2 - Neufeststellung des Wahlergebnisses erst nach der Neuwahl

Wie die sächsische Landeswahlleiterin Irene Schneider-Böttcher gegenüber Wahlrecht.de erläuterte, sieht man nach Abwägung der Rechtlage derzeit davon ab, bei den entsprechenden Ausgleichmandaten (Stefan Brangs, SPD und Heiko Kosel, PDS) analog zu verfahren. Damit bleiben diese beiden Mandate bis zur Wiederwahl am 22. Januar 2006 von der richterlichen Entscheidung unberührt.

Nach der Wiederholungswahl in Leipzig wird das Landesergebnis und in der Folge die Überhang- und Ausgleichsmandate neu festgestellt. Insofern können sich Auswirkungen auf die Zusammensetzung des Landtages und auf das Kräfteverhältns der Parteien ergeben.

Folgen

Die ungewöhnlichen Konsequenzen der Enscheidung sind:

Sollte der Kandidat einer anderen im Landtag vertretenen Partei den Wahlkreis gewinnen und Rolf Seidel (CDU) die Wahl verlieren, würde sich der Mandatsanteil der CDU damit sogar verbessern (CDU ärgert sich über ein Direktmandat zuviel – Meldung vom 19.09.2004). CDU (54 Sitze) und FDP (7 Sitze) hätten eine knappe Mehrheit (61 Sitze), die jedoch nur auf der (noch) zulässigen Verwendung des große Parteien bevorzugenden d’Hondtschen Höchstzahlverfahrens und nicht auf der Zahl der für die im Landtag vertretenen Parteien abgegebenen Listenstimmen beruhen würde.

Eventuelle Neuwahlkandidaten

Wenn bei einer Entscheidung über eine Neuwahl im betroffenen Wahlkreis nur die alten Direktkandidaten zuzüglich Wolfgang Denecke (PDS) kandidieren dürften, wären dies
CDU: Rolf Seidel – PDS: Wolfgang Denecke – SPD: Bernd Bonneß – Grüne: Torsten Markurt – FDP: Cornelius Heinrich Janßen - DSU: Bernd-Rüdiger Kern - PLB Jürgen Kunath

Eventuelle Auswirkungen auf die personelle Zusammensetzung des Landtags

Die Neuwahl könnte dann folgenden Einfluß auf die personelle Zusammensetzung des Landtags haben, wenn der CDU-Kandidat Seidel nicht gewählt würde. Dann würden neben dem Wegfall der Sitze für Rolf Seidel (CDU), Heiko Kosel (PDS) und Stefan Brangs (SPD) gäbe es einen

    Parteiinterner Austausch von Listenkandidaten im Falle eines erfolgreichen Wahlkreiskandidaten:
  1. im Wahlkreis Cornelius Heinrich Janßen (FDP) statt von der Liste Dr. Jürgen Andreas Michael Martens (FDP),
  2. im Wahlkreis Bernd Bonneß (SPD) statt von der Liste Dr. Liane Ilse Anneliese Deicke (SPD),
  3. im Wahlkreis Torsten Markurt (Grüne) statt von der Liste Johannes Ekkehard Lichdi (Grüne),
  4. im Wahlkreis Wolfgang Denecke (PDS) statt von der Liste Caren Nicole Lay (PDS).

Links


von Martin Fehndrich und Matthias Cantow (letzte Aktualisierung: 06.12.2005)