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26.05.2005

Ministerpräsident Böhmers Einzug in den Landtag umstritten

Problematik des Nachrückens in teilausgeglichene Überhangmandate

Heute wurde im Landtag von Sachsen-Anhalt der CDU-Landtagsabgeordnete Gerhard Ruden zum neuen Landesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen gewählt. Eine Annahme des Amtes bedeutet zwingend den Verzicht auf das Landtagsmandat. Gemäß § 40 Abs. 2 Satz 1 des Wahlgesetzes des Landes Sachsen-Anhalt (LWG ST) geht der Sitz „auf die nächste noch nicht für gewählt erklärte Ersatzperson dieses Landeswahlvorschlages über“ (§ 40 Abs. 1 Satz 1 LWG ST).

Nachrücker wäre damit nach der Reihenfolge des CDU-Landeswahlvorschlags und verschiedenen Medienberichten (z. B. von mdr.de) Ministerpräsident Wolfgang Böhmer (CDU), der bei der Landtagswahl am 21. April 2002 trotz des ersten Listenplatzes wegen der Überhangmandate seiner Partei kein Mandat im Landtag bekommen hatte. Das Nachrücken Böhmers in das Direktmandat Rudens ist allerdings wegen der besonderen Konstellation in Sachsen-Anhalt umstritten.

Nachrücken in Überhangmandate im Bund und anderen Bundesländern

Enstehen bei der Bundestagswahl Überhangmandate oder tritt bei der Landtagswahl in Brandenburg ein Überhang von bis zu zwei Mandaten auf, dann werden diese Überhangmandate nicht ausgeglichen. Scheidet nun ein Direktmandatsinhaber des Bundestags in einem Bundesland mit überhängenden Direktmandaten oder des Landtags in Brandenburg aus, so findet ein Nachrücken nach Entscheidungen des BVerfG (BVerfGE 97, 317) und des Landesverfassungsgerichts Brandenburgs (VfGBbg 19/00) entgegen der noch bestehenden Gesetzeswortlaute in § 48 Abs. 1 BWahlG bzw. § 43 Abs. 1 Satz 1 LWahlG BB nicht statt. (Allerdings wird in Bezug auf das Nachrückerurteil teilweise die Meinung vertreten, dass ein Nachrücken in den Überhang dann gestattet wäre, wenn sich auf dem Stimmzettel ein expliziter Hinweis befände, der besagt, dass die Kandidaten der Reserveliste als Ersatzkandidaten der Wahlkreiskandidaten gelten und mitgewählt würden, jedoch sind auch die Überhangmandate des Bundestags selbst noch immer umstritten – siehe bspw. die anhängigen Wahlprüfungsbeschwerden 2 BvC 6/04 und 2 BvC 11/04.)

Werden Überhangmandate dagegen vollständig ausgeglichen – wie beispielsweise in Thüringen – besteht dieses Problem nicht. Die Anzahl der Mandate im Landtage wird soweit erhöht, dass kein Überhang mehr besteht. Das heißt, es werden zur Angleichung an den Parteienproporz in ausreichender Zahl Ausgleichsmandate zugeteilt und in die Überhang- und Ausgleichsmandate kann nachgerückt werden.

Nachrückregelung in Sachsen-Anhalt

Eine juristische Grauzone zwischen diesen beiden Varianten bilden diejenigen Wahlsysteme, bei denen für Überhangmandate zwar Ausgleichsmandate verteilt werden, allerdings nur in einer begrenzten Anzahl (für eine Übersicht siehe Teilausgleich), wie etwa in § 35 Abs. 8 des sachsen-anhaltinischen Landeswahlgesetzes. Auch nach der Zuteilung von Ausgleichsmandaten entspricht die Sitzverteilung keiner proportionalen Verteilung, ein gewisser Überhang bleibt unausgeglichen bestehen.

Die CDU hat bei der Landtagswahl am 21. April 2002 sieben Überhangmandate erhalten. Den anderen Parteien sind dafür neun Ausgleichsmandate zugeteilt worden. Durch die Begrenzung der Zahl der Ausgleichsmandate in Sachsen-Anhalt wurden nur ein Teil der CDU-Überhangmandate – nämlich fünf von sieben – ausgeglichen (Teilausgleich).

Hier drängt sich die analoge Anwendung der Regelungen des Bundestags- und brandenburgischen Landtagswahlrecht auf, so dass in unausgeglichene Überhangmandate nicht nachgerückt werden darf und erst nach Abschmelzung des unausgeglichenen Überhangs wieder ein Nachrücken eines Kandidaten aus dem Landeswahlvorschlag erlaubt ist.

Es wird aber auch die Meinung vertreten, dass jedes der Überhangmandate gleichermaßen zu einem gewissen Teil (fünf Siebentel) ausgeglichen wurde und daher auch ein Nachrücken gestattet wäre. Die Entscheidung des Landeswahlauschusses über das Nachrücken von Wolfgang Böhmer in den Landtag in Magdeburg ist daher mit Spannung zu erwarten.

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von Martin Fehndrich und Matthias Cantow