Schleswig-Holsteinisches Verwaltungsgericht

[Wahlprüfung]

Urteil vom 18. Dezember 2008

6 A 150/08

„Ausgleichmandatsregelung Kommunalwahlen SH“


Entscheidungen 2000–heute

Urteil

des Schleswig-Holsteinisches Verwaltungsgerichts vom 18. Dezember 2008
– 6 A 150/08 –

In der Verwaltungsrechtssache

der ..., 23795 Bad Segeberg
– Klägerin –
gegen
die Stadt Bad Segeberg - Der Bürgermeister -, Lübecker Straße 9, 23795 Bad Segeberg
– Beklagter –

In der Verwaltungsrechtssache

Streitgegenstand: Kommunalrecht
-Feststellung der Gültigkeit der Gemeindewahl am 25.05.2008 -
hat das Schleswig-Holsteinische Verwaltungsgericht - 6. Kammer - auf die mündliche Verhandlung vom 18. Dezember 2008 durch den Vorsitzenden Richter am Verwaltungsgericht Dr. Martensen, den Richter am Verwaltungsgericht Hansen, den Richter am Verwaltungsgericht Clausen sowie die ehrenamtliche Richterin Otzen und den ehrenamtlichen Richter Nissen für Recht erkannt:
für Recht erkannt:

Entscheidungsformeln:

Die Klage wird abgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar.
Die Berufung wird zugelassen.

Tatbestand

Die Beteiligten streiten um den Verhältnisausgleich nach dem Ergebnis der Kommunalwahl vom Mai 2008 zur Stadtvertretung der Beklagen. 1
Die Stadtvertretung der Beklagten umfasst gemäß § 8 GKWG 27 Mitglieder, davon 15 direkt Gewählte und 12 Listenvertreterinnen und Listenvertreter. Bei der Kommunalwahl im Mai 2008 errang die CDU 10 Direktmandate, ihr verhältnismäßiger Stimmenanteil betrug nach dem Ergebnis der Kommunalwahl jedoch nur 8 Sitze. Der Gemeindewahlausschuss stellte in seiner Sitzung am 30. Mai 2008 das Gemeindewahlergebnis in der Weise fest, dass nach Durchführung des Verhältnisausgleiches für die CDU ein „ungedeckter Mehrsitz“ verblieb, die Stadtvertretung der Beklagten mithin insgesamt 32 Mitglieder umfasste. Wegen der weiteren Einzelheiten der Feststellung des verhältnismäßigen Sitzanteils nach dem Ergebnis der Gemeindewahl durch den Gemeindewahlausschuss wird auf die im Verwaltungsvorgang der Beklagten befindliche Tabelle IV verwiesen (Bl. 15 der Beiakte), diese war Gegenstand der mündlichen Verhandlung. 2
Die Klägerin ist Wahlberechtigte ... in Bad Segeberg. Sie erhob fristgerecht Einspruch gegen die Gültigkeit der Gemeindewahl und machte geltend, der Verhältnisausgleich sei unzutreffend durchgeführt worden. Tatsächlich sei die Stadtvertretung mit 33 anstatt 32 Mitgliedern zu besetzen und der SPD ein weiterer Listenplatz zuzuteilen. Nur dann entspreche die Sitzverteilung in der Stadtvertretung dem Wahlergebnis. Der von dem Gemeindewahlausschuss festgestellte „ungedeckte Mehrsitz“ sei nach dem GKWG nicht möglich, einen solchen Gesetzesbegriff gebe es nicht. Die maßgebende Vorschrift des § 10 Abs. 4 GKWG sei vielmehr so auszulegen, dass die Begriffe „Mehrsitze“ und „weitere Sitze“ unterschiedliche Qualitäten von Sitzen in der Gemeindevertretung kennzeichneten, die einander ausschlössen. Nicht etwa seien „weitere Sitze“ der Oberbegriff für „Mehrsitze“ und „Ausgleichsmandate“. Dementsprechend habe das Verwaltungsgericht bereits im Urteil zum Aktenzeichen 6 A 237/05 ausgeführt, dass die Mehrsitze nicht auf die weiteren Sitze anzurechnen seien. Die Mehrsitze seien vielmehr bereits durch § 10 Abs. 4 S. 1 GKWG abschließend geregelt. Nach alledem sei die maßgebende Vorschrift so auszulegen, dass die „weiteren Sitze“ auf die nächst folgenden Höchstzahlen unter Außerachtlassung der auf die „Mehrsitze“ entfallenden Höchstzahlen zu verteilen seien. Bei dieser Berechnung seien die insgesamt vier „weiteren Sitze“, die sich aus den zwei „Mehrsitzen“ der CDU ergäben, nur auf die nächstfolgenden Höchstzahlen aus den Listen von SPD, FDP, Grünen und BBS zu verteilen. 3
Der Wahlprüfungsausschuss empfahl mit Beschluss vom 10. Juli 2008, den Einspruch unter Berücksichtigung eines Erlasses des Innenministeriums vom 02. Juni 2008 zum Verhältnisausgleich bei entstandenen Mehrsitzen zurückzuweisen. Die Stadtvertretung fasste am 17. Juli 2008 einen entsprechenden Beschluss über die Gültigkeit der Gemeindewahl. Das Ergebnis wurde der Klägerin mit Bescheid vom 18. Juli 2008 mitgeteilt. Die Klägerin hat fristgemäß am 04. August 2008 Klage erhoben. Zur Begründung wiederholte und vertiefte sie ihr Vorbringen aus dem Einspruchsverfahren. 4
Die Klägerin beantragt,
den Bescheid vom 18. Juli aufzuheben.
5
Die Beklagte beantragt,
Klagabweisung.
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Sie macht geltend, der Verhältnisausgleich sei gemäß § 10 Abs. 4 S. 2 GKWG unter Einbeziehung der Mehrsitze durchzuführen. Nur so könne rechnerisch festgestellt werden, wann ein Mehrsitz durch den verhältnismäßigen Stimmenanteil einer Partei oder Wählergruppe abgedeckt sei. Der Wortlaut der maßgebenden Bestimmungen in § 10 Abs. 4 GKWG lasse eine andere Berechnung der Sitzverteilung nicht zu. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten und die beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten verwiesen. 7

Entscheidungsgründe

Die Klage ist gemäß § 40 GKWG zwar zulässig, sie ist jedoch unbegründet. Die Feststellung des Gemeindewahlergebnisses einschließlich der Sitzverteilung nach dem Verhältnisausgleich ist rechtmäßig, weil sie der Bestimmung des § 10 Abs. 4 GKWG entspricht. Nach Satz 1 der vorbezeichneten Vorschrift sind zunächst der CDU die beiden errungenen Mehrsitze zu belassen. Wegen dieser Mehrsitze ist sodann gemäß § 10 Abs. 4 S. 2 und 3 GKWG der Verhältniswahlausgleich durchzuführen. Dabei sind entgegen der Ansicht der Klägerin gemäß § 10 Abs. 4 S. 2 GKWG schon nach dem Wortlaut dieser Vorschrift auf sämtliche nachfolgenden Höchstzahlen, die nach der auf den letzten regulären Sitz entfallenden Höchstzahl kommen, weitere Sitze zu verteilen. Der Wortlaut dieser Vorschrift gibt keinen Anhaltspunkt dafür, dass die Mehrsitzpartei vom Verhältnisausgleich ausgenommen werden soll. Der „weitere Sitz“ ist entgegen der Auffassung der Klägerin kein zusätzlicher Sitz, sondern jeder sich aus der Weiterrechnung nach d`Hondt ergebende Sitz. Mithin ergibt sich aus dem Wortlaut des Gesetzes auch kein inhaltlicher Widerspruch zwischen dem „weiteren Sitz“ und dem „Mehrsitz“, vielmehr ist der „weitere Sitz“ der Oberbegriff für „Mehrsitze“ und „Ausgleichsmandate“. 8
Diese nach dem Wortlaut des Gesetzes gebotene Auslegung wird bestätigt durch die Systematik des Gesetzes. So verweist § 10 Abs. 4 S. 2 GKWG ohne jede Einschränkung auf § 10 Abs. 3 GKWG und nimmt nicht etwa den Listenwahlvorschlag der Mehrsitzpartei vom Verhältnisausgleich aus. Weiterhin kann auch nur bei Einbeziehung der Mehrsitze in den Verhältnisausgleich ermittelt werden, wann die Sitzverteilung dem verhältnismäßigen Stimmenanteil entspricht. Wären die auf die Mehrsitzpartei entfallenden Höchstzahlen rechtlich irrelevant, so könnte nicht rechnerisch festgestellt werden, wann ein Mehrsitz durch den verhältnismäßigen Stimmenanteil einer Partei abgedeckt ist. Schließlich ergäbe sich eine für den Verhältnisausgleich unlösbare Konstellation im Falle mehrerer Mehrsitzparteien, wenn die auf die Listen dieser Parteien entfallenden Höchstzahlen für den Verhältnisausgleich unbeachtlich sein sollten. Die Partei oder Wählergruppierung mit z. B. nur einem Mehrsitz wäre unverhältnismäßig benachteiligt, da sie von vornherein vom Verhältnisausgleich ausgeschlossen wäre. Für ein solches Ergebnis findet sich aber ersichtlich weder im Wortlaut noch in der Systematik des § 10 GKWG eine Stütze. 9
Schließlich bestätigt auch die Auslegung des § 10 Abs. 4 GKWG nach Sinn und Zweck das vorstehende Auslegungsergebnis und die Handhabung dieser Vorschrift durch die Beklagte. Der erkennbare Zweck, das im GKWG angelegte Mehrheitswahlrecht mit dem Verhältniswahlrecht in Einklang zu bringen, kann nur erreicht werden, wenn den abgegebenen Stimmen ein annähernd gleicher Erfolgswert und mithin den Mandaten Gleichwertigkeit zukommt. Dazu ist es aber erforderlich, die mit Stimmenmehrheit errungenen Direktmandate in vollem Umfang in den Verhältniswahlausgleich einzubeziehen (vgl. Kommunalverfassungsrecht Schleswig-Holstein, GKWG § 10 Anm. 1, 2 m. w. N.). 10
Schließlich wird das vorstehende Auslegungsergebnis auch nicht durch die von der Klägerin geltend gemachte Benachteiligung der SPD-Fraktion in der Stadtvertretung der Beklagten in Frage gestellt. Diese Benachteiligung bei der Sitzverteilung hat ihren Rechtsgrund nämlich nicht in § 10 Abs. 4 S. 2 GKWG, sondern in der Begrenzung des Verhältnisausgleiches durch § 10 Abs. 4 S. 3 GKWG. Der Gesetzgeber hat in zulässiger Weise normiert, dass der Verhältnisausgleich auf das Doppelte der Anzahl der Mehrsitze begrenzt wird, so dass „ungedeckte Mehrsitze“ entstehen können. Zu Recht macht die Klägerin zwar geltend, dass der Begriff des „ungedeckten Mehrsitzes“ im GKWG nicht verwendet wird. Indessen ist der „ungedeckte Mehrsitz“ in der Systematik des GKWG zwangsläufig angelegt. Maßgebend ist es nach § 10 Abs. 4 S. 2, 3 GKWG nämlich nicht, dass der Mehrsitz durch ein Ausgleichsmandat gedeckt ist, sondern allein, ob er durch das Berechnungsverfahren nach dem Verhältnisausgleich gedeckt ist. Da der Verhältnisausgleich jedoch von Gesetzes wegen auf eine begrenzte Anzahl weiterer Sitze beschränkt ist, können ungedeckte Mehrsitze unvermeidlich sein (vgl. OVG Schleswig-Holstein, Urteil vom 22. November 2000, AZ.: 2 L 25/00 m. w. N.). 11
Sofern den Entscheidungsgründen zum Urteil vom 15. Dezember 2005 (AZ. 6 A 237/05) mit der Formulierung „… Die Mehrsitze sind dabei nicht auf die weiteren Sitze anzurechnen …“ eine zu dem Vorstehenden abweichende Rechtsauffassung zugrunde gelegen haben sollte, hält die Kammer diese Rechtsauffassung ausdrücklich nicht aufrecht und legt ihrer Entscheidung stattdessen die oben näher ausgeführte Rechtsansicht zugrunde, wonach Mehrsitze gerade ebenso wie Ausgleichsmandate zu den weiteren Sitzen im Sinne des GKWG zählen. 12
Die Kostenentscheidung hat ihre Rechtsgrundlage in § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 167 Abs. 2 VwGO iVm § 708 Nr. 11, 711 ZPO. 13
Die Berufung war gemäß § 124 a Abs. 1 in Verbindung mit § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO zuzulassen, weil die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung für die Durchführung des Verhältnisausgleiches nach dem GKWG hat. 14
Dr. Martensen, Hansen, Clausen

 


Matthias Cantow