Staatsgerichtshof des Landes Hessen

[Wahlprüfung]

Beschluss vom 23. Januar 2008

P.St. 2191 e.A.

 

„Wahlcomputer Landtagswahl Hessen“


Entscheidungen 2000–heute

Beschluss

In dem einstweiligen Anordnungsverfahren

der Frau A,  
Antragstellerin,  
– Bevollmächtigte: Rechtsanwälte Dr. Jaschinski und Koll., Christinenstraße 18/19, 10119 Berlin –  
gegen
  1. das Land Hessen, vertreten durch den Ministerpräsidenten,
    Staatskanzlei, Georg-August-Zinn-Straße 1, 65183 Wiesbaden,
  2. die Gemeinde A.,
  3. die Stadt B.,
  4. die Stadt C.,
  5. die Stadt D.,
  6. die Gemeinde E.,
  7. die Gemeinde F.,
  8. die Stadt G.,
  9. die Stadt H.,
 
Antragsgegner,  
hat der Staatsgerichtshof des Landes Hessen in seiner Sitzung vom 23. Januar 2008 gemäß § 26 Abs. 1 bis 3 StGHG einstimmig beschlossen:  

Entscheidungsformel:

Die Anträge werden als unzulässig zurückgewiesen.  
Gerichtskosten werden nicht erhoben, außergerichtliche Kosten nicht erstattet.  

Gründe:

 

A.

 
I.
 
Das Hessische Ministerium des Inneren und für Sport genehmigte die Verwendung von Wahlgeräten der Typen ESD 1 und ESD 2 der niederländischen Firma N.V. Nederlandsche Apparatenfabrik NEDAP (im folgenden: Wahlcomputer) bei der Wahl zum Hessischen Landtag am 27. Januar 2008 (Nrn. 2 und 3 des Wahlerlasses Nr. L 24 vom 06. Dezember 2007 [StAnz. 2007, S. 2612 f.]). Sie sollen nach der Entscheidung der Heimatgemeinde der Antragstellerin A. sowie der Städte B. – H. bei der hessischen Landtagswahl am 27. Januar 2008 eingesetzt werden. 1
Die Antragstellerin begehrt mit ihrem Antrag vom 4. Januar 2008, eingegangen am 7. Januar 2008, den Erlass einer einstweiligen Anordnung mit dem Ziel, die Genehmigung dieser Wahlgeräte außer Kraft zu setzen. Darüber hinaus verfolgt sie das Begehren, die Verwendung der Wahlcomputer in den oben genannten Städten und Gemeinden bei der hessischen Landtagswahl am 27. Januar 2008 zu untersagen. 2
Zur Begründung führt die Antragstellerin im Wesentlichen aus: Bei den Wahlcomputern handele es sich nicht um fälschungssichere Systeme. Eine hinreichende Sicherheit vor Manipulationen sei nicht gewährleistet. Die Wahlcomputer könnten schon beim Hersteller unbemerkt und nachträglich nicht nachweisbar so manipuliert werden, dass sie Stimmen fehlerhaft zuordnen und speichern. Die Verwendungsgenehmigung und der darauf beruhende Einsatz von Wahlcomputern verletze deshalb den Grundsatz der Gleichheit, der Amtlichkeit und der Öffentlichkeit der Wahl. 3
Den Eilantrag begründet sie mit den Nachteilen des verfassungswidrigen Einsatzes der Wahlcomputer. Diese Nachteile seien im Verhältnis zu einem vorübergehenden Einsatzverbot erheblich. Sollte ihrem Eilantrag Erfolg beschieden sein, könnten die betroffenen Städte und Gemeinden ohne größere organisatorische Probleme auf die herkömmliche Urnenwahl umstellen. Die Durchführung der Landtagswahlen am 27. Januar 2008 sei dadurch nicht gefährdet. Ergehe dagegen die einstweilige Anordnung nicht und stelle sich nach der Landtagswahl die Verfassungswidrigkeit der Genehmigung und Verwendung der Wahlcomputer heraus, seien Nachwahlen erforderlich. Zweifel an der Legitimität der Wahl und Vertrauensschaden, der selbst dann eintrete, wenn es an der Mandatsrelevanz fehle, seien erhebliche Nachteile. Deretwegen sei der vorläufige Rechtsschutz geboten. 4
Wegen des Vorbringens der Antragstellerin im Einzelnen wird auf den Inhalt ihrer Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen. 5
Die Antragstellerin beantragt, 6
1. die Genehmigung der Verwendung von Wahlgeräten durch den Wahlerlass Nr. L 24 vom 6. Dezember 2007 für die Hessische Landtagswahl am 27. Januar 2008 im Wege der einstweiligen Anordnung außer Kraft zu setzen.
7
2. den Antragsgegnern zu 2) bis 9) im Wege der einstweiligen Anordnung zu untersagen, die durch den Wahlerlass Nr. L 24 vom 6. Dezember 2007 genehmigten Wahlgeräte bei der Hessischen Landtagswahl am 27. Januar 2008 einzusetzen.
8
II.
 
Die Landesregierung, die Landesanwaltschaft, die Firma N.V. Nederlandsche Apparatenfabrik NEDAP sowie die Städte und Gemeinden A. (…) in ihren Stellungnahmen übereinstimmend verfahrensrechtliche Bedenken geäußert. Sie halten den Antrag auf einstweilige Anordnung jedenfalls für unzulässig. 9

B.

 
Die Anträge sind unzulässig. 10
I.
 
1. Der Staatsgerichtshof kann die beantragte einstweilige Anordnung nicht erlassen. Die Zuständigkeit des Staatsgerichtshofs ist in der Verfassung des Landes Hessen (HV) und im Gesetz über den Staatsgerichtshof (StGHG) erschöpfend geregelt. Danach ist der Staatsgerichtshof nicht in erster Instanz zur Wahlprüfung berufen. Das obliegt vielmehr dem Wahlprüfungsgericht (Art. 78 Abs. 1 Satz 1 HV). Dieses prüft im Wahlprüfungsverfahren die Gültigkeit der Wahlen zum hessischen Landtag. Das gilt auch für die Prüfung behördlicher Entscheidungen zur Vorbereitung der Wahl. Entscheidungen und Maßnahmen, die sich unmittelbar auf das Wahlverfahren beziehen, können in diesem Wahlprüfungsverfahren angefochten werden (§ 46 des Gesetzes über die Wahlen zum Landtag des Landes Hessen [LWG]). Dazu zählen alle Entscheidungen und Maßnahmen der Wahlorgane und Wahlbehörden bei der Vorbereitung, Überwachung und Durchführung eines konkreten, unmittelbar bevorstehenden oder bereits laufenden Wahlverfahrens (Schreiber, Handbuch des Wahlrechts zum Deutschen Bundestag, 7. Aufl. 2002, § 49 Bundeswahlgesetz Rdnr. 3). 11
Die Entscheidung über die Genehmigung und Verwendung von Wahlgeräten ist eine solche wahlorganisatorische Maßnahme (Schreiber, a.a.O., § 35 Bundeswahlgesetz Rdnr. 5). Außerhalb des Wahlprüfungsverfahrens kann sie grundsätzlich nur mit den Rechtsbehelfen angefochten werden, die im Landtagswahlgesetz und in der Landtagswahlordnung dafür vorgesehen sind. Weder das Landtagswahlgesetz noch die Landtagswahlordnung enthalten indes einen gesonderten Rechtsbehelf gegen die Genehmigung des Einsatzes von Wahlcomputern und deren Verwendung. Bedenken gegen deren Einsatz können daher erst nach der Wahl im Rahmen des Wahlprüfungsverfahrens überprüft werden. Jeder betroffene Wahlberechtigte kann zu diesem Zweck innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe des Wahlergebnisses beim Landtag Einspruch einlegen (§ 6 Abs. 1, § 7 Abs. 1 Sätze 2 und 3 des Wahlprüfungsgesetzes [WahlPrG]). Über den Einspruch entscheidet das Wahlprüfungsgericht (§ 15 Abs. 1 Nr. 1 WahlPrG). Erst gegen dessen Beschluss ist nach § 17 Satz 1 WahlPrG die Wahlprüfungsbeschwerde zum Staatsgerichtshof statthaft (§ 52 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 StGHG). 12
Die damit verbundene Beschränkung bei der Verfolgung subjektiver Rechte einzelner ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Die Wahl in einem Flächenstaat lässt sich nur dann gleichmäßig und termingerecht durchführen, wenn die Rechtskontrolle der Einzelentscheidungen während des Wahlablaufs begrenzt wird und einem Wahlprüfungsverfahren vorbehalten bleibt, das nach der Wahl stattfindet (BVerfGE 14, 154 [155]). Deshalb kommt ein Eingriff in ein laufendes Wahlverfahren noch vor dessen Beendigung im Hinblick auf die Ausschlussklausel des § 46 LWG nicht in Betracht. Für eine einstweilige Anordnung, die das gleiche Ziel verfolgt, bleibt danach im Wahlprüfungsverfahren kein Raum (StGH, StAnz. 1993, S. 815; Günther, Verfassungsgerichtsbarkeit in Hessen, 2004, § 52 Rdnr. 18). Sie wäre im Ergebnis eine unzulässigerweise vorverlegte Wahlprüfung. 13
Die Antragstellerin kann sich demgegenüber nicht mit Erfolg auf die Beschlüsse des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 20. Oktober 1960 (BVerfGE 11, 329 f.) und vom 17. Oktober 1990 (BVerfGE 82, 353 ff.) sowie auf das Urteil des Wahlprüfungsgerichts Berlin vom 19. Januar 1979 (NJW 1979, S. 1448 f.) berufen. Nach ihrer Auffassung folgt aus den genannten Entscheidungen, einstweiliger Rechtsschutz müsse bei evidenten Verstößen der einfachen Wahlgesetze gegen Verfassungsrecht und evidenten Wahlfehlern gewährt werden. Ob die Entscheidungen allerdings diese Rechtsansicht der Antragstellerin stützen, kann offen bleiben. Der Erlass einer einstweiligen Anordnung vor der Hessischen Landtagswahl am 27. Januar 2008 könnte auch nach dieser Ansicht allenfalls dann in Betracht gezogen werden, wenn die Gefahr eines später nicht nachweisbaren irreversiblen Wahlfehlers besteht. Dafür hat die Antragstellerin jedoch nicht ausreichend vorgetragen. Sie hat insbesondere die Wahrscheinlichkeit einer später nicht mehr nachweisbaren Beeinträchtigung der Funktion der Wahlcomputer nicht substantiiert dargetan. 14
Der Sachvortrag geht nicht über die bloße Behauptung hinaus, dass Wahlfehler möglich seien. Er enthält keinen konkreten, der Überprüfung zugänglichen Tatsachenvortrag (StGH, NVwZ 2007, S. 328 ff.), dass und wann die mögliche Manipulation an den Wahlcomputern auch tatsächlich stattgefunden haben soll. Ihr Vorbringen besitzt insoweit im Wesentlichen theoretischen und spekulativen Charakter. So werden bestimmte Bestandteile der Wahlcomputer (Hardware mit Stimmenspeicher, Software und Tastatur) genannt, die Gegenstand einer Manipulation sein könnten. Die Manipulationsvorgänge selber bleiben aber unklar. Der Vortrag benennt auch keine Tatsachen für eine etwa vollzogene Manipulation. Die Antragstellerin führt beispielhaft den Austausch oder die Veränderung der Software an. Sie macht jedoch keine Angaben dazu, welche Software mit welcher Funktion schon jetzt eingesetzt oder noch rechtzeitig zur bevorstehenden Wahl entwickelt wurde, um damit eine nicht nachweisbare Verfälschung des Wahlergebnisses zu bewirken. Ebenso unklar bleibt, wie eine installierte Software so verändert werden könnte, dass sie dieses Ziel erreicht. Der diesbezügliche Vortrag lässt insbesondere im Hinblick auf die im Wahlerlass L 24 bestimmten Sicherheitsvorkehrungen nicht den Schluss auf eine realistische Gefährdung der Funktionstüchtigkeit der Wahlcomputer zu, die bei der Landtagswahl am 27. Januar 2008 zur Verwendung vorgesehen sind. 15
Entsprechendes gilt für den Vortrag der Antragstellerin, durch eine bestimmte Tastenfunktion könne ein Manipulationsalgorithmus aktiviert bzw. eine Manipulationsfunktion initialisiert werden. Hinsichtlich der Hardware wird lediglich der Stimmenspeicher als Objekt einer nicht beschriebenen Manipulation genannt. Auch das angeführte Beispiel der Ablauffähigkeit einer Fremdsoftware auf einem Wahlcomputer gibt keinen Anlass zu einer anderen Bewertung ihres Vortrags. Ob bereits eine Fremdsoftware besteht oder ob die Entwicklung einer Fremdsoftware geplant ist, die bei einem Einsatz in den Wahlcomputern der genannten Städte und Gemeinden eine fehlerhafte Zuordnung der Stimmen oder die Speicherung einer unzutreffenden Stimmenverteilung bewirken könnte, wird auch an dieser Stelle nicht angesprochen. 16
Die fehlende Substantiierung wird auch nicht durch die Bezugnahme auf die Anlagen AS 6 und B 8 der Antragsschrift vom 4. Januar 2008 ersetzt, in denen – von der Antragstellerin als „vielfältige Angriffsszenarien“ bezeichnete - Eingriffe und Eingriffsmöglichkeiten an Wahlcomputern näher beschrieben werden. Die Antragstellerin räumt selbst ein, dass die in der Anlage AS 6 beschriebenen Eingriffe und Folgen nur an Wahlcomputern vorgenommen worden sind, die nicht mit den Geräten übereinstimmen, die für die Landtagswahl in Hessen verwendet werden. Die Verfasser der Veröffentlichung in Anlage AS 6 der Antragsschrift weisen im Gegenteil ausdrücklich darauf hin, dass für ihre Analysen nur eine niederländische Version der Software des Herstellers NEDAP zur Verfügung gestanden habe. Die Analyse der niederländischen Stiftung „Wij Vertrouwen Stemcomputers Niet“ vom Oktober 2006 (Anlage B 8) hatte ebenfalls kein in Hessen genehmigtes, sondern ein niederländisches Wahlgerät (Typ ES3B) zum Gegenstand. 17
2. Der Antrag der Antragstellerin ist im Übrigen deshalb unzulässig, weil die Zulässigkeitsvoraussetzungen einer Grundrechtsklage in der Hauptsache nicht erfüllt wären. Auch deshalb besteht kein Raum für eine vorläufige Regelung durch einstweilige Anordnung (Staatsgerichtshof, StAnz. 1993, S. 815). Eine Grundrechtsklage ist nach § 43 Abs. 1, 2 StGHG nur zulässig, wenn der Antragsteller substantiiert einen Lebenssachverhalt schildert, aus dem sich – seine Richtigkeit unterstellt – plausibel die Möglichkeit einer Verletzung der von ihm benannten Grundrechte der Hessischen Verfassung ergibt (ständige Rechtsprechung des StGH, vgl. StAnz. 2001, S. 2181). 18
Diese Voraussetzungen sind nicht gegeben. Die Möglichkeit einer Verletzung des in Art. 1 HV verbürgten und in Art. 73 Abs. 2 Satz 1 HV bestätigten Rechts der Antragstellerin auf Gleichheit der Wahl durch die Verwendungsgenehmigung des Hessischen Ministeriums des Inneren und für Sport vom 6. Dezember 2007 und die darauf beruhende Verwendung von Wahlcomputern ist nicht plausibel dargetan. Soweit die Antragstellerin die Gefahr nicht nachweisbarer Manipulationen an den Wahlcomputern und eine darauf beruhende Verfälschung von Wahlergebnissen behauptet hat, ist dieser Vortrag nicht zureichend substantiiert. Auch in dem Umstand, dass in einigen Wahlbezirken mit Stimmzetteln, in anderen mit Wahlgeräten gewählt wird, liegt kein Verstoß gegen den Grundsatz der Gleichheit der Wahl. Die Zähl- und Erfolgswertgleichheit der Wählerstimmen bleibt vielmehr gewährleistet (vgl. Schreiber, a. a. O., § 35 Bundeswahlgesetz Rdnr. 4). 19
Auf eine Verletzung der Grundsätze der Öffentlichkeit der Wahl oder der Amtlichkeit der Wahl könnte sich die Antragstellerin im Grundrechtsklageverfahren vor dem Staatsgerichtshof nicht berufen, weil es sich dabei nicht um in der Hessischen Verfassung verbürgte Grundrechte handelt. 20
II.
 
Die Kostenentscheidung beruht auf § 28 StGHG. 21
III.
 
Dieser Beschluss ist mit der qualifizierten Mehrheit des § 26 Abs. 3 Satz 2 StGHG ergangen. Widerspruch kann gegen ihn deshalb nicht erhoben werden. 22
G. Paul, Teufel, Böhme, Detterbeck, Falk, Paul Leo Giani, Kilian-Bock, Klein, Lange, Nassauer, Wolski  

 


Matthias Cantow