Entwurf mit mehr negativem Stimmgewicht – eine Analyse
Die Koalitionsfraktionen der CDU/CSU und FDP haben am 28. Juni 2011 einen Entwurf für ein Gesetz zur Änderung des Bundeswahlgesetzes (BWahlG) eingebracht (BT-Drs. 17/6290), der am 30. Juni zum ersten Mal im Plenum beraten wurde. Zusammengefasst führt der Entwurf weiterhin zu negativem Stimmgewicht und Überhangmandaten sowie einer noch weniger proportionalen Verteilung der Sitze.
Der Entwurf führt sogar an noch mehr Stellen zu negativem Stimmgewicht als das derzeitige Wahlgesetz und die drei angedeuteten Modelle in der Plenardebatte vom 26. Mai 2011. Der Entwurf ist in fast jeder Hinsicht eine Verschlechterung.
Zusammenfassung
Wesentliche Änderungen im Entwurf der Koalition
- Die Zuteilungsreihenfolge (Ober-/Unterverteilung) der Sitze – zuerst an die Parteien und dann an die Länder – wird umgedreht. Nach dem Entwurf soll zuerst an die Bundesländer zugeteilt und danach landesintern an die Listen der Parteien unterverteilt werden.
- Basis des ersten Zuteilungsschrittes an die Länder ist dabei die Zahl der Wähler (statt der Zweitstimmen der nicht an Sperrklauseln gescheiterten Parteien). Grundlage für den zweiten Zuteilungsschritt innerhalb der Länder sind weiterhin die Zweitstimmen der zuteilungsberechtigten Parteien.
- Ein neuer Absatz 2a in § 6 BWahlG verteilt in einer Art neuen Listenverbindung Zusatzsitze an die Parteien (in der Summe rund 10).
Eigenschaften des Entwurfs
- Negatives Stimmgewicht bleibt erhalten
Das im Gesetzentwurf geäußerte Ziel, negatives Stimmgewicht zu beseitigen oder deutlich zu reduzieren, wird durch den Entwurf nicht erreicht. Negatives Stimmgewicht ist weiterhin in ähnlicher Größenordnung möglich. So würde die SPD auch bei Anwendung des neuen Wahlgesetzes und einem Ergebnis wie zur Bundestagswahl 2009 davon profitieren, wenn sie in Bremen 10.000 Zweitstimmen weniger erhalten hätte.
- Überhangmandate bleiben erhalten
Das wird nicht bestritten – und ist auch das Konstruktionsziel des Entwurfs. Wenn man den Anfall vieler Überhangmandate als den Normalfall ansieht, könnte man deren Erhalt als „minimalinvasiv“ zum Status quo ansehen. Damit entfällt auch das bisherige Argument, Überhangmandate würden nur in Ausnahmefällen auftreten und wären dann unvermeidlich.
- Die Proportionalität wird auf mehreren Ebenen reduziert.
- Der Gesetzestext wird noch komplizierter – die Berechnung der Sitzverteilung noch komplexer.
- Die Berücksichtigung der Zahl der Wähler (inkl. der ungültigen Stimmen) im ersten Zuteilungsschritt führt zu einer Kopplung von positiver Erst- und negativer Zweitstimmenwirkung.
Mehr dazu in der ausführlichen Analyse » – Nachtrag zum leicht veränderten Entwurf Drs. 17/7069: Analyse
Anhörung im Innenausschuss des 17. Deutschen Bundestages
Zu diesem Entwurf und den Entwürfen der Oppositionsfraktionen findet am 5. September 2011 von 11 bis 14 Uhr eine Expertenanhörung im Europasaal 4.900 des Paul-Löbe-Hauses statt, die live im Parlamentsfernsehen und im Web-TV übertragen wird.
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