Bundesverfassungsgericht

[Pressemitteilungen]

Pressemitteilung

41/2004

08.04.2004


Tenor und Begründung (BVerfGE 106, 253) der und Informationen zur Entscheidung
zum Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung,
Entscheidung (2 BvE 3/02) und Informationen zur Entscheidung in der Hauptsache

Informationen zur mündlichen Verhandlung „Sitzverteilung im Vermittlungsausschuss“

Der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts verhandelt am 5. Mai 2004 auf Antrag der CDU/CSU-Fraktion (Antragstellerin; ASt) in dem gegen den Deutschen Bundestag gerichteten Organstreitverfahren, mit dem eine fehlerhafte Besetzung der Bundestagsbank des Vermittlungsausschusses gerügt wird. 1
Zu Beginn jeder Wahlperiode legt der Deutsche Bundestag das Zählverfahren zur Berechnung der Stellenanteile der Fraktionen in den Bundestagsausschüssen und anderer Gremien fest. Dieses Verfahren gilt auch für den Vermittlungsausschuss, in den Bundestag und Bundesrat je 16 ihrer Mitglieder entsenden. Es haben sich drei Zählverfahren für die Besetzung der Gremien durchgesetzt, zwischen denen in der Vergangenheit immer wieder gewechselt wurde. Es handelt sich dabei um die Verfahren d’Hondt, Hare/Niemeyer und St. Laguë/Schepers. In der 13. Wahlperiode wendete der Bundestag grundsätzlich das Verfahren nach St. Laguë/Schepers an, bis auf Gremien, bei denen dadurch nicht die parlamentarische Mehrheit wiedergegeben wurde, wie unter anderem dem Vermittlungsausschuss. In diesem Fall wurde auf das Verfahren nach d’Hondt zurück gegriffen. In der 14. Wahlperiode wurde grundsätzlich ebenso verfahren. 2
Aufgrund des Wahlergebnisses der Bundestagswahl vom 22. September 2002 (15. Wahlperiode) führt die Anwendung jedes der drei üblichen Zählverfahren dazu, dass die Bundestagsfraktionen von SPD und Union je sieben und die Bundestagsfraktionen von Bündnis 90/Die Grünen und FDP je einen Abgeordneten in den Vermittlungsausschuss entsenden (7:7:1:1). Aufgrund der dargestellten Sitzverteilung würden die die Bundesregierung im Bundestag tragenden Fraktionen im Vermittlungsausschuss auf der Bundestagsbank damit keine Mehrheit stellen. Allgemein herrschte die Auffassung, dass – zum Zeitpunkt der Antragstellung im vorliegenden Organstreitverfahren – auch auf Seiten der Bundesratsbank im Vermittlungsausschuss ein politisches Patt bestanden habe, da diese damals mit jeweils acht Vertretern der regierungstragenden Mehrheit und der Opposition besetzt gewesen sei. 3
Am 30. Oktober 2002 beschloss der Bundestag mit den Stimmen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen, das Verfahren St. Laguë/Schepers mit der Maßgabe anzuwenden, dass die zu verteilende Anzahl der Sitze um einen reduziert und der unberücksichtigte Platz der stärksten Fraktion zugewiesen wird. Auf der Grundlage dieses Beschlusses wählte der Bundestag am 14. November 2002 acht Mitglieder der SPD-Fraktion, sechs Mitglieder der CDU/CSU-Fraktion und jeweils ein Mitglied der FDP-Fraktion und Fraktion Bündnis 90/Die Grünen (8:6:1:1) in den Vermittlungsausschuss. Nach den Landtagswahlen in Niedersachsen vom 2. Februar 2003 hat sich die Zusammensetzung der Bundesratsbank mittlerweile dahingehend verändert, dass neun der ordentlichen Mitglieder des Vermittlungsausschusses der Opposition auf Bundesebene und sieben der Regierungskoalition zugerechnet werden können. Der Vermittlungsausschuss trat in der 15. Wahlperiode auf der Grundlage des angegriffenen Bundestagsbeschlusses am 5. Dezember 2002 zusammen. Bei der Besetzung der gemeinsamen Kommission von Bundestag und Bundesrat zur Modernisierung der bundesstaatlichen Ordnung (Föderalismuskommission) ist der angegriffene Bundestagsbeschluss ein weiteres Mal angewandt worden. 4
Gegen den Beschluss des Deutschen Bundestags vom 30. Oktober 2002 wendet sich die ASt im Wege der Organklage. Sie sieht sich in ihren verfassungsmäßigen Rechten aus Art. 38 Abs. 1 Satz 2 in Verbindung mit Art. 40 Abs. 1 Satz 2, Art. 21 Abs. 1, Art. 20 Abs. 2 und Art. 77 Abs. 2 GG verletzt. In ihr Recht, sich als Fraktion angemessen parlamentarisch betätigen zu können, werde eingegriffen. Der angegriffene Bundestagsbeschluss verfälsche die Mehrheitsverhältnisse. Sie könne ihre Rechte als parlamentarische Opposition nicht entsprechend der Sitzverteilung im Bundestag und dem verfassungsrechtlichen Gebot der spiegelbildlichen Zusammensetzung wahrnehmen. Dem weiten Gestaltungsermessen des Gesetzgebers bei der parlamentarischen Selbstorganisation seien Grenzen gesetzt. Fraktionsstärken müssten proportional in Vermittlungsausschusssitze umgesetzt werden. 5
Zu dem Organstreitverfahren hat bislang die Bundesregierung Stellung genommen. 6
Der Zweite Senat hat den Antrag der ASt auf Erlass einer einstweiligen Anordnung in diesem Verfahren durch Beschluss vom 3. Dezember 2002 abgelehnt (Pressemitteilungen Nr. 105/2002 vom 3. Dezember 2002 und Nr. 16/2003 vom 28. Februar 2003). 7
   
– 2 BvE 3/02 –  
Karlsruhe, den 8. April 2004

 


eingetragen von Matthias Cantow