Negative Stimmen

[Tipps und Tricks 2002]

Unter normalen Umständen sollte eine Wahlempfehlung lauten: Wählen Sie die Partei, die Ihnen am besten gefällt, denn dies sollte dieser Partei zumindest nicht schaden.

Allerdings gilt dies nicht für das Bundestagswahlsystem. Hier schaden abgegebene Stimmen regelmäßig der gewählten Partei.

Zwei Beispiele

1. Hätten bei der Bundestagswahl 1998 in Hamburg 20.000 Wähler mehr der SPD ihre Zweitstimme gegeben, hätte dies zu einem Mandatsverlust der SPD geführt (Beispielrechnung zum Nachvollziehen).

2. Hätten dagegen 71.000 Wähler in Brandenburg ihre Zweitstimme nicht der SPD gegeben, dann hätte die SPD einen Abgeordneten mehr in den Bundestag entsenden können.

Weitere Beispiele und detaillierte Beispielrechnungen finden sich bei Wahlrecht.de und in einem Artikel aus Spektrum der Wissenschaft (Heft 2/99, S. 70).

Wenn in einem Bundesland Überhangmandate möglich sind oder auftreten, kann die Zweitstimme der gewählten Partei schaden bzw. eine nicht erhaltene Zweitstimme der Partei Zusatzmandate bescheren.

Für die Wähler bedeutet dies, dass es in den betroffenen Bundesländern keinen Sinn macht, dieser Partei die Zweitstimme zu geben.

Kritik

Negative Stimmen haben in einem Wahlsystem nichts verloren. Es sollte klar sein, wenn eine Partei zusätzliche Stimmen bekommt, dann darf sich das keinesfalls negativ bei der Sitzverteilung auswirken.

Negative Stimmen beeinträchtigen die Freiheit der Wahl, da die Wähler gezwungen sind, absurde Überlegungen anzustellen (seine Partei nicht zu wählen um ihr nicht zu schaden) und die Unmittelbarkeit der Wahl, da die Wähler ihre Zustimmung für eine Partei nicht durch Wahl sondern indirekt durch Nichtwahl ausdrücken müssen.

Es gibt auch keine Rechtfertigung für negative Stimmen, denn es gibt kein sonstiges „Wahlprinzip“, welches negative Stimmen nötig machen oder – bei einer im Übrigen recht einfachen Beseitigung dieses Wahlsystemfehlers – verletzt werden würde.

Auch die manchmal zu beobachtende stabilisierende Wirkung von Überhangmandaten ist keine Rechtfertigung, da durch negative Stimmen ein Stimmenzuwachs diese Stabilisierung wieder schwächen würde.

Als demokratischen Supergau könnte man es ansehen, wenn aus einer Mehrheit an Stimmen (und zwar weil es eine Mehrheit ist) eine Minderheit im Parlament wird, aber wenn der Verlust dieser Stimmenmehrheit zur Mehrheit der Sitze führt. (Modellrechnung: Aus einer Mehrheit der Stimmen wird eine Minderheit an Sitzen und umgekehrt, wenn die Mehrheit der Stimmen verloren geht.)


von Wilko Zicht und Martin Fehndrich (26.08.2002, letzte Aktualisierung: 20.09.2002, letzte Aktualisierung der Links: 25.03.2008)