Bundesverfassungsgericht

[Wahlprüfung]

Beschluss vom 22. Mai 1963

2 BvC 5/62

BVerfGE 16, 145

„Wahlkreiseinteilung – Überhangmandate“


Entscheidungen 1960–1969

[BVerfGE 16, 145 (145)] Beschluß

des Zweiten Senats vom 22. Mai 1963
– 2 BvC 5/62 –
in dem Verfahren
über
die Wahlprüfungsbeschwerde
des Herrn Dr. H... V..., Kiel, ...,
gegen
den Beschluß des Deutschen Bundestages vom 27. Juni 1962 Az 21/61.

Entscheidungsformel:

Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

Gründe:

I.

Der Beschwerdeführer hat gemäß § 2 Abs. 2 des Wahlprüfungsgesetzes vom 12. März 1951 (BGBl. I S. 166) die Gültigkeit der Wahl zum 4. Deutschen Bundestag am 17. September 1961 im Land Schleswig-Holstein angefochten. Der Deutsche Bundestag hat den Einspruch in seiner 36. Sitzung am 27. Juni 1962 zurückgewiesen. Gegen diesen Beschluß richtet sich die am 26. Juli 1962 bei Gericht eingegangene Beschwerde, die von 186 Wahlberechtigten unterstützt wird, so daß der Vorschrift des § 48 BVerfGG genügt ist. 1
Der Beschwerdeführer rügt die Verletzung des Grundsatzes der gleichen Wahl und trägt in diesem Zusammenhang im wesentlichen vor, daß die CDU in Schleswig-Holstein vier Überhangmandate erhalten habe, die ihr bei rechtzeitiger Anpassung der Wahlkreiseinteilung an die seit 1949 eingetretene Bevölkerungsverschiebung nicht zugefallen wären. 2

II.

Die form- und fristgerecht erhobene Beschwerde ist nicht begründet. 3
Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Beschluß vom 22. Mai 1963 in einem Parallelverfahren (2 BvC 3/62), auf den [BVerfGE 16, 145 (146)] Bezug genommen wird, dargelegt, daß die mit der Zulassung von Überhangmandaten verbundene Differenzierung des Stimmgewichts in Anbetracht der Formalisierung, die die Wahlrechtsgleichheit unter dem Verhältniswahlsystem erfährt, nur in einem beschränkten Ausmaß zulässig ist. Aus diesem Grunde müssen im Rahmen des technisch Möglichen Wahlkreise mit annähernd gleich großen Bevölkerungszahlen gebildet werden. Nur so ist die Gewähr gegeben, daß grundsätzlich ein Bundesland nicht mehr Wahlkreise umfaßt als seinem Anteil an der Bevölkerung des Bundesgebietes entspricht. 4
Aus der Tatsache, daß die Größe der Wahlkreise diesem Erfordernis der Wahlrechtsgleichheit bei den letzten Bundestagswahlen nicht mehr in vollem Umfange entsprochen hat, folgt jedoch nicht, daß die Wahlkreiseinteilung schon zu jenem Zeitpunkt verfassungswidrig war. 5
Der Verstoß der Wahlkreiseinteilung gegen den Grundsatz der gleichen Wahl war am 17. September 1961 noch nicht so evident, daß er die Verfassungsmäßigkeit des Bundeswahlgesetzes in Frage zu stellen vermochte. Infolgedessen kann nicht von einem Wahlfehler gesprochen werden, der die Bundestagswahlen in verfassungswidriger Weise beeinflußt hat. 6
Der Bundestag hat demnach den Einspruch des Beschwerdeführers im Ergebnis zu Recht zurückgewiesen. 7
Der Bundesgesetzgeber ist jedoch gehalten, noch während der laufenden Legislaturperiode für eine Änderung der Wahlkreiseinteilung Sorge zu tragen, die die Abweichungen der Einwohnerzahlen der Wahlkreise vom Bundesdurchschnitt auf das verfassungsrechtlich zulässige Maß zurückführt und die Verteilung der Wahlkreise auf die einzelnen Länder wieder deren Anteil an der Gesamtbevölkerung anpaßt. 8

 


Matthias Cantow