Populäre Irrtümer

[Wahlrechtslexikon]

Hier sollen einige, immer wieder falsche oder mißverständlichen Behauptungen und Wahlrechtsirrtümer aufgezählt und klargestellt werden.

Die wichtige Stimme ist die Erststimme.

Die wichtige Stimme ist die Zweitstimme, die für die Partei gilt. Die Erststimme ist in aller Regel wertlos.

Je komplizierter ein Wahlsystem ist umso gerechter ist es.

Schön wäre es, aber wenn man sich einige Wahlsysteme en detail ansieht, fällt auf, daß beim Design der Wahlsysteme zuviele Regelungen sich widersprechen, sich in ihrer beabsichtigten Wirkung gegenseitig behindern, gar keine Wirkung haben und viel zu oft sogar zu negativen Stimmen führen.

Je mehr Stimmen eine Partei erhält, umso mehr Sitze erhält sie im Parlament.

So sollte es bei einem vernünftigen Wahlsystem sein. Allerdings treten in viel zu vielen Wahlsystemen negative Stimmen – also Stimme, die der gewählten Partei im Ergebnis explizit schaden – auf. Für eine solche Eigenschaft bestehen darüberhinaus keine irgendwelchen Notwendigkeiten.

Ein absolut gerechtes Wahlverfahren gibt es nicht.

Solch eine Aussage wird meistens benutzt um größeren Unsinn zu rechtfertigen oder von erkannten (und behebbaren Mängeln) abzulenken.

Die Aussage reduziert sich zu einer Nullaussage, solange unklar ist was „absolut gerecht“ sein soll.

Ohne explizite Sperrklausel benötigt eine Partei (bei insg. 100 Sitzen) mindestens 1% der Stimmen.

Hier werden die zwei Aussagen vermischt:

  1. Wieviele Stimmen braucht eine Partei im Durchschnitt für einen Sitz.
  2. Wieviele Stimmen braucht eine Partei mindestens für einen Sitz.

Die Antwort ist im ersten Fall immer Gesamtzahlstimmen durch Gesamtzahlsitze. Die Frage nach der Mindeststimmenzahl hängt stark vom Berechnungsverfahren ab und liegt bei allen Verhältniswahlsystemen unter dem Durchschnitt. So benötigt eine Partei beim Quotenverfahren nach größten Bruchteilen (Hare/Niemeyer) zum Beispiel nur ungefähr die Hälfte der Durchschnittmandatsstimmenzahl (siehe auch faktische Sperrklausel).

Die SPD hat für einen Sitz 75.407 Stimmen benötigt (ähnlich z. B. BVerfGE 79, 169 <172>).

Hier werden zwei verschiedene Aussagen verwechselt, nämlich wieviele Stimmen eine Partei im Durchschnitt pro Mandat erhalten hat und wieviele Stimmen sie für diese wirklich Sitze benötigt hat. Nicht alle erhaltenen Stimmen sind wirklich benötigte Stimmen, mit weniger Stimmen hätte die Partei vermutlich gleiche Sitzzahl erhalten.

Das Verfahren Hare-Niemeyer begünstigt kleine Parteien.

Diese Aussage stimmt nur im Vergleich mit dem Divisorverfahren mit Abrundung (d’Hondt), welches große Parteien tendenziell bevorzugt. Absolut gesehen verhält sich das Quotenverfahren nach größten Bruchteilen ( Hare/Niemeyer), aber auch das Divisorverfahren mit Standardrundung (Sainte-Laguë) neutral.

Die Parteien profitieren von der Listenverbindung (§ 7) im Bundeswahlgesetz, da dann Reststimmen in verschiedenen Bundesländern für weitere Mandate gesammelt werden.

Unter dem Divisorverfahren mit Abrundung (d’Hondt) mag dies noch begrenzt zutreffend gewesen sein, denn hier profitiert eine größere Partei (d.h. auch ein Zusammenschluß).

Beim Quotenverfahren nach größten Bruchteilen (Hare/Niemeyer) gibt es aber im allgemeinen keinen Vorteil (aber auch keinen Nachteil). Je nach Rundungen der Sitzzahl kann die Partei dadurch mehr oder weniger Sitze erhalten. Insgesamt wird die Sitzverteilung der Parteien untereinander etwas proportionaler, einen tendentiellen Vorteil einer Partei gibt es dadurch aber nicht. Allerdings könnte sich eine Partei dann einen Vorteil verschaffen, wenn sie abschätzen kann, ob der Sitzanspruch einer Landesliste auf oder abgerundet wird.

Auf diesen Fehler fallen auch ganz prominente Opfer herein, so der Bundeswahlleiter in einer Veröffentlichung nach der Bundestagswahl 2002.

Die Automatische Methode – also ein Verfahren mit festem Sitz zu Stimmenverhältnis – ist proportionaler.

Es ergibt sich keine Änderung bezüglich der Proportionalität, auch bei der automatische Methode muß man runden und hat dieselben Rundungsfehler.


von Martin Fehndrich (Irrtümer vorbehalten)