Kommunalwahlrecht Nordrhein-Westfalen

[Kommunalwahlrecht]

Hier werden das im September 2007 beschlossene Kommunalwahlgesetz und nachträgliche Änderungen betrachtet (zum Vergleich das nordrhein-westfälische Kommunalwahlrecht von 1999 bis 2007).

Wahlsystem

Personalisierte Verhältniswahl mit geschlossenen Listen.

Besonderheiten

Abgeordnetenzahl

Die Zahl der zu wählenden Gemeindevertreter bestimmt sich nach der Bevölkerungszahl und liegt zwischen 20 und 90. Zusätzliches Mitglied ist der direkt gewählte hauptamtliche Bürgermeister. Die Hälfte der Vertreter wird in Einerwahlkreisen (Wahlbezirke) nach relativer Mehrheitswahl und die restlichen über geschlossene Listen (Reservelisten) gewählt. Dazu kommen Überhang- und Ausgleichsmandate.

Wahlperiode

Die Wahlperiode beträgt fünf Jahre.

Damit die Wahl- und Amtsperioden sowie die Wahltermine der Räte bzw. der Bürgermeister und Landräte wieder gekoppelt sind, beträgt die Dauer der Wahlperiode der im Mai 2014 gewählten Vertretungen sechs Jahre (sie endet am 31. Oktober 2020). Ab 2020 werden dann auch die Bürgermeister und Landräte am Tag der Kommunalwahl gewählt.

Aktives und passives Wahlrecht

Aktiv wahlberechtigt ist jeder Deutsche oder EU-Bürger, der das 16. Lebensjahr vollendet hat und seit mindestens 16 Tagen seinen (Haupt-)Wohnsitz in der Gemeinde hat. Passiv wahlberechtigt, also wählbar, ist jeder Wahlberechtigte, der das 18. Lebensjahr vollendet hat und seit mindestens drei Monaten seinen (Haupt-) Wohnsitz in der Gemeinde hat.

Stimmenzahl

Jeder Wähler hat eine Stimme, mit der er einen Wahlbezirkskandidaten und die Reserveliste seiner Partei wählt.

Wahlkreiseinteilung

Die Abweichung von der durchschnittlichen Unionsbürgerzahl der Wahlbezirke darf laut Wahlgesetz nicht mehr als 25 Prozent nach oben oder unten betragen. Nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofs ist aber bereits eine Abweichung von mehr als 15 Prozent nur dann zulässig, wenn dahinter verfassungsrechtliche Ziele stehen, die ein der Wahlrechts- und Chancengleichheit vergleichbares Gewicht besitzen. Dies können etwa die Erleichterung der Kommunikation zwischen den Wählern sowie mit den Mandatsbewerbern und damit die Förderung der politischen Willensbildung sein. Dieser Aspekt dürfte aber nur bei weit auseinander liegenden Ortschaften in einer großflächigen Gebietskörperschaft zum Tragen kommen. Zudem kommt in Betracht, im ländlichen Bereich auf gewachsene Ortsstrukturen Rücksicht zu nehmen, um die Wahlbereitschaft zu erhöhen. Innerhalb dieses Rahmens können auch Integrationsvorgänge Eingang in die Gewichtung finden. Eine pauschalierende Anwendung der 25%-Klausel, etwa aus Gründen der Verwaltungsvereinfachung oder der bloßen leichteren Zuordnung des Wahlbezirks zu einem Wohngebiet, ist unzulässig. Ein Rückgriff auf die 25%-Abweichungsklausel ist daher in einer Großstadt jedenfalls dann verfassungswidrig, wenn es ohne weiteres möglich ist, durch die Einbeziehung angrenzender Straßenzüge oder einzelner kleinerer Stadtquartiere zu annähernd gleich großen Wahlbezirken zu gelangen. Die tragenden Erwägungen für die Einteilung der Wahlbezirke sind vom Wahlausschuss transparent und nachvollziehbar zu dokumentieren. Wird die 15%-Grenze überschritten, sind insbesondere die dafür herangezogenen Rechtfertigungsgründe zu erläutern.

Sperrklausel

Eine Sperrklausel gibt es als Folge mehrerer Eintscheidungen des Verfassungsgerichtshofs für das Land Nordrhein-Westfalen nicht mehr. Zunächst hatte der Verfassungsgerichtshof 1994 den Gesetzgeber zu einer Überprüfung der damals noch geltenden 5-%-Hürde verpflichtet. Nachdem der Gesetzgeber dieser Pflicht nach Ansicht des Gerichtshofs nicht hinreichend nachgekommen war, hat der Gerichtshof die Klausel 1999 für verfassungswidrig erklärt (siehe Pressemitteilung des Gerichts vom 6. Juli 1999). Auch eine Ein-Sitz-Sperrklausel wurde vom Verfassungsgerichtshof für das Land Nordrhein-Westfalen in einem Organstreitverfahren – VerfGH 12/08 – der Ökologisch-Demokratischen Partei (ödp) gegen den Landtag NRW mit Urteil vom 16. Dezember 2008 für verfassungswidrig erklärt. Einen vorerst letzten Versuch unternahm der Gesetzgeber mit einer in der Verfassung verankerten 2,5-%-Hürde, doch auch dies wurde im November 2017 vom Verfassungsgerichtshof für unzulässig erklärt.

Bei der Wahl der Stadt-, Gemeinde- und Kreisräte wirkt daher nur die faktische Hürde des Divisorverfahrens mit Standardrundung von rund einem halben Sitzanteil.

Für die Wahl der Bezirksvertretungen und der Verbandsversammlung des Regionalverbandes Ruhr gilt hingegen ab der Wahl 2020 eine 2,5-Prozent-Hürde.

Sitzzuteilungsverfahren

Die Mandate werden nach dem Divisorverfahren mit Standardrundung (Sainte-Laguë) verteilt. Bei der Rundungsregelung und der Bestimmung des Zuteilungsdivisors gibt es im Gesetzestext allerdings ein paar Formulierungsmerkwürdigkeiten.

Sitzverteilung

In den Wahlbezirken sind diejenigen Kandidaten gewählt, die die relative Mehrheit der abgegebenen gültigen Wahlbezirkstimmen erzielt haben. Für die Verteilung der Gesamtmandate nach Verhältniswahlgrundsätzen werden von der Ausgangszahl die Wahlkreissitze erfolgreicher Einzelbewerber abgezogen.

Diese verbleibende Sitzzahl wird auf die Parteien, nach dem Divisorverfahren mit Standardrundung (Sainte-Laguë) entsprechend dem Verhältnis ihrer insgesamt erreichten Stimmenzahlen verteilt.

Von den so auf eine Partei entfallenden Sitze werden die in den Wahlbezirken direkt errungenen Mandate abgezogen. Die verbleibenden Sitze werden entsprechend der Reihenfolge der Bewerber auf der Reserveliste vergeben. Bewerber, die in einem Wahlbezirk gewählt sind, bleiben auf der Reserveliste unberücksichtigt. Ist die Reserveliste erschöpft, bleiben weitere Sitze unbesetzt.

Überhang- und Ausgleichsmandate

Gewinnt eine Partei in den Wahlbezirken mehr Mandate als ihr nach dem Verhältnisausgleich zustehen, verbleiben diese Sitze der Partei (Überhangmandate). Die übrigen Parteien erhalten Ausgleichsmandate. Dazu wird eine neue Gesamtsitzzahl berechnet, indem die Zahl der Direktmandate der überhängenden Partei(en) durch die Zahl ihrer Stimmen geteilt und mit der Gesamtzahl der Stimmen aller zu berücksichtigenden Parteien multipliziert wird. Das Ergebnis wird gerundet (bei mehreren überhängenden Parteien wird die größere so errechnete Zahl genommen), im Falle einer ungeraden Zahl um eins erhöht und einer erneuten Sitzverteilung nach Sainte-Laguë zugrunde gelegt.

Wenn die Sitzzahl abgerundet wird, kann es zu einem Unterausgleich kommen, d. h. die überhängenden Direktmandate wären immer noch nicht abgedeckt. In diesem Fall wird die Sitzzahl noch einmal um zwei erhöht.

Wird die Sitzzahl aufgerundet und/oder oder ein Pattvermeidungssitz zugeteilt, kann es zu einem Überausgleich kommen, indem die am stärksten überhängende Partei auch noch Listenmandate als „Ausgleich“ für ihren eigenen Überhangmandate erhält oder andere Parteien mehr Ausgleichsmandate als nötig erhalten (Beispiel: Witten 2004). Damit wird das gesetzlich festgelegte Berechnungsverfahren für die Ausgleichsmandate seinem eigenen Anspruch nicht gerecht, dass die Gesamtsitzzahl nur um so viele Sitze erhöht [wird], wie notwendig (§ 33 Abs. 3 Satz 1 KWahlG NW).

Parteien können keinen ersten Sitz als Ausgleichsmandat bekommen. Wer bei der Ausgangsberechnung der Sitzverteilung keinen Sitz erhalten hat, wird also bei den weiteren Berechnungen mit erhöhten Sitzzahlen nicht berücksichtigt.

Mehrheitsklausel

Wenn eine Partei, die mehr als die Hälfte der gültigen Stimmen erhalten hat, nicht mehr als die Hälfte der Sitze erhält, erhält sie einen weiteren Sitz. Dafür wird der Partei mit dem niedrigsten Zahlenbruchteil über 0,5 ein Sitz abgenommen (und nicht der verbleibenden Partei mit dem niedrigsten Anspruch, wie es beim Divisorverfahren zu erwarten wäre).

Entscheidungen

Meldungen


von Martin Fehndrich und Wilko Zicht (23.08.2000, letzte Aktualisierung: 31.03.2021, letzte Aktualisierung der Links: 09.10.2016)