Quadratwurzelverfahren

[Wahlrechtslexikon]

Das Quadratwurzelgesetz von Penrose

Lionel Penrose stellte 1946 ein Verfahren vor, um Stimmgewichte von Ländern in Gremien wie einem UN-Parlament zu verteilen: Das Stimmgewicht eines jeden Landes ist dabei proportional zur Quadratwurzel seiner Bevölkerungszahl.

Das Verfahren bildet einen Kompromiss zwischen einer Verteilung, bei der jedes Land unabhängig von der Bevölkerungsanzahl dasselbe Stimmgewicht erhält, und einer, bei der das Stimmgewicht proportional zur Bevölkerungsstärke ist. Es soll eine gleichmäßige Machtverteilung für alle EU-Bürger gewährleisten. Vorgeschlagen wird es für Abstimmungen im Europäischen Rat sowie als Kompromiss zwischen den Verfahren des „Vertrags von Nizza“ und dem der „doppelten Mehrheit“ im europäischen Verfassungsentwurf.

Geschichte und Hintergrund

Wichtig ist der Unterschied der Bedeutungen von Stimmeneinfluss (voting power) und Stimmgewicht (voting weight). Der Stimmeneinfluss beschreibt die Möglichkeit, mit einer Stimme Einfluss auf eine Abstimmung zu bekommen. Der Unterschied wird deutlich in einem Gremium mit 50 %-Mehrheitserfordernis. Eine Partei mit 51 % der Stimmen (also Stimmgewicht) gewinnt jede Abstimmung unabhängig von den anderen Parteien. Man kann daher sagen, dass die Mehrheitspartei 100 % des Stimmeneinflusses hat.

Man versucht den Stimmeneinfluss durch eine berechenbare Zahl zu beschreiben, dem Machtindex. Es gibt mehrere konkurrierende Modelle, um Machtindizes zu berechnen. Ein Machtindex soll die Wahrscheinlichkeit einer Partei beschreiben, eine Entscheidung durch ihre Unterstützung zu herbeizuführen, bzw. durch ihre Blockade zu verhindern. Es ist also der Anteil der Koalitionen, denen man durch Beitritt zum Abstimmungserfolg verhilft.

Der Ansatz hinter dem Quadratwurzelmodell ist, dass jeder Bürger jedes Staates denselben Einfluss auf die Entscheidungen des Rates haben soll. Der Einfluss der Bürger ergibt sich dabei indirekt aus dem Einfluss auf die Entscheidung seiner Regierung. Für das Modell nimmt man an, es gäbe dazu eine einfache Ja/Nein-Abstimmung. Die Wahrscheinlichkeit mit seiner Stimme auf das Abstimmungsverhalten seiner Regierung Einfluss zu nehmen, ist in großen Staaten kleiner als in kleineren Staaten. Lionel Penrose kommt zu dem Ergebnis, dass alle Bürger denselben Einfluss im Rat haben, wenn der Machtindex eines Landes proportional zur Quadratwurzel seiner Einwohner ist. Dies ist das Quadratwurzel-Gesetz von Penrose.

Das Quadratwurzelgesetz führt nicht direkt zu den Stimmgewichten. Idealerweise sollte das Stimmgewicht annähernd dem Machtindex entsprechen. Dazu muss man eine passende Zustimmungsschwelle finden. In einer Union mit 25 Mitgliedern liegt eine optimale Zustimmungsschwelle bei 62 % und wird bei mehr Mitgliedern etwas reduziert.

Mathematischer Ansatz: Herleitung

Das Modell hat zwei Parameter: Parameter 1 ist die Quadratwurzel (Bürger hoch 0,5). Parameter 2 ist das Zustimmungsquorum.

1. Quadratwurzel: Die Quadratwurzel (bzw. ein Stimmgewicht nach der Formel Na, mit a = 0,5) ergibt sich aus der Wahrscheinlichkeit eines Bürgers in einem Referendum in seinem Land mit seiner Stimme den Ausgang in seinem Sinne zu beeinflussen. Die Wahrscheinlichkeit dazu fällt mit der Bevölkerungsanzahl, aber nicht mit 1/N, sondern nur mit der Wurzel daraus (siehe auch Herleitung). Der Wert a = 0,5 berücksichtigt im gewissen Sinne den Teil der Bevölkerung, der gegen seine Regierung in einer Frage stimmen würde. Der Wert a = 0,5 ergibt sich auch als Kompromiss zwischen zwei anderen Extrempositionen: dem System, bei dem alle Staaten eine Stimme haben (a = 0) und dem System, bei dem das Stimmgewicht der Bevölkerung entspricht (a = 1).

2. Zustimmungsquorum: Das Zustimmungsquorum ergibt sich nach der Formel ½ [(Σ N)0,5 + Σ (N0,5)]/Σ (N0,5). Das bedeutet, dass der Wert mit der Anzahl der Staaten asymptotisch auf 50 % sinkt. Das Zustimmungsquorum berücksichtigt, dass weder einfach so gegen einen oder mehrere große Staaten entschieden werden kann, noch ein großer Staat die Abstimmungen dominiert. Das Zustimmungsquorum ist so gewählt, dass näherungsweise das Stimmgewicht und der Machtindex gleich sind (siehe auch Herleitung und Beweis).

Kritik

Das Verfahren beruht auf der Annahme, dass alle Wähler (bzw. gleichgroße Wählergruppen) unabhängig voneinander ihre Entscheidung treffen, so dass diese im Modell durch einen Münzwurf beschrieben werden können. Dies würde dazu führen, dass Mehrheiten immer nahe bei 50 % liegen würden und nur um wenige Zehntelprozent variieren würden.

Nach dieser Annahme gäbe es auch keine (oder nur verschwindend wenige) Fragen, bei denen sich in einem Land eine überwiegende Mehrheit für eine Position ausspricht, während in einem anderen Land die Mehrheit dagegen ist.

So hält Andrew Gelman von der Columbia Universität die Quadratwurzel als Regel für das Stimmengewicht für eine schlechte Idee.

Meldungen


von Martin Fehndrich (16.06.2007, letzte Aktualisierung: 11.10.2007)