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Teilbare Erstpräferenzen bei STV

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c07
Veröffentlicht am Freitag, 25. Juni 2004 - 20:16 Uhr:   

STV hat gegenüber Systemen, bei denen die Wähler mehrere Stimmen vergeben können, den Nachteil, dass in jedem Schritt der Auszählung immer nur eine einzige Stimme (oder der Bruchteil, der davon übrig geblieben ist), wirksam ist (wie der Name "Single Transferable Vote" schon sagt). Für manche Wähler bedeutet das eine Einschränkung ihrer Entscheidungsfreiheit (siehe dazu die Diskussion im ursprünglichen Thread).

Insbesondere hat man als Wähler keinerlei Einfluss darauf, ob der Zweitpräferierte gestrichen wird (sofern die Standardstreichungsregel verwendet wird). Außerdem könnte ein Kandidat die Stimme völlig aufbrauchen, so dass für die folgenden Präferenzen nichts mehr übrig bleibt.

Prinzipiell kann man aber auch ein Wahlsystem konstruieren, bei dem zunächst mehrere Stimmen simultan verteilt werden können und Folgepräferenzen erst dann greifen, wenn noch was übrig bleibt. Für den Wähler würd das so ausschaun, dass er eine gewisse Maximalzahl an Stimmen hat, die er wie bei einem Häufelsystem beliebig an die Kandidaten verteilen kann. Das sind die Kandidaten, die er wirklich wählen will. Alle anderen Kandidaten haben eigentlich null Stimmen, können aber in einem zweiten Feld auf dem Stimmzettel nach der Methode des kleinsten Übels wie sonst bei STV sortiert werden. STV-technisch bilden die Kandidaten mit Stimmen in ihrer Gesamtheit die Erstpräferenz, der Rest die Folgepräferenzen.

Schon Meek selbst hat eine Erweiterung seines Systems vorgeschlagen, bei dem mehrere Kandidaten eine gemeinsame Präferenz bekommen können (siehe hier). Danach wird ein Wähler, der an n Kandidaten die gleiche Präferenz vergeben hat, in n! "Miniwähler" aufgeteilt, die anstelle der fraglichen Kandidaten jeweils eine der möglichen Permutationen in ihrer Reihung haben. Das kann man auf ungleiches Gewicht der Kandidaten verallgemeinern, indem die Permutationen unterschiedliches Gewicht bekommen.

Praktisch könnte man das bestimmen, indem jeder Kandidat so viele Lose bekommt, wie er Stimmen hat, und jeder Permutation die Wahrscheinlichkeit zugeordnet wird, mit der sie gezogen würde (wobei jeweils alle Lose eines gezogenen Kandidaten aus der Urne genommen werden). Wenn ein Wähler seine Stimmen z.B. im Verhältnis 3:2:1 an A, B und C verteilt, ergeben sich diese 60 Miniwähler: 20 ABC, 10 ACB, 15 BAC, 5 BCA, 6 CAB, 4 CBA. Die Limitierung der Stimmenhöchstzahl ist eigentlich nur notwendig, um den Rechenaufwand in Grenzen zu halten.

Der größte Vorteil dieses Verfahrens wär, dass die Streichungsregel nicht mehr so kritisch ist. Gestrichen würden hier wirklich immer nur die, die die Wähler als irrelevant betrachten. Damit wär es besonders geeignet, wenn die Zahl der Kandidaten im Verhältnis zu den Sitzen recht groß ist. Sonst ist der praktische Unterschied zu normalem STV wohl eher gering.

Für die Wähler etwas verwirrend könnte sein, dass hohe Zahlen bei den Stimmen gut, bei den Präferenzen aber schlecht sind. In der Regel wird es wohl sinnvoller sein, auf die ultimativen Möglichkeiten zu verzichten und dafür ein besser überschaubares Wahlsystem zu haben.
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Mörsberg
Veröffentlicht am Samstag, 26. Juni 2004 - 13:25 Uhr:   

Ein großes und damit schwer überschaubares Kandidatenfeld wird bei STV immer eines der Hauptprobleme bleiben, jedenfalls solange man das Wahlgebiet gar nicht oder in relativ große Wahlkreise einteilt, um das prozentuale Quorum niedrig zu halten. Wenn man seine Stimme in jedem Fall nicht verschenken möchte, ist man bei einem Kandidatenfeld von n Personen immer noch genötigt, n-1 Namen irgendwo auf dem Stimmzettel unterzubringen. Die Idee klingt sehr verlockend, vor allem für Leute, die mit STV, Kumulieren und Panaschieren eh schon vertraut sind. Bereits bei einem Kommunalparlament mit 22 Mitgliedern und geschätzt 55 Kandidaten sehe ich die Grenzen der Überschaubarkeit aber schon überschritten.

Weiter ist zu fragen, nach welchem Kriterium man festlegt, WIE VIELE Stimmen jeder Wähler als Erstpräferenzen verteilen darf. Sobald die Zahl geringer ist als die Zahl der zu vergebenden Sitze, ist es wieder eine willkürliche und unlogische Festlegung.

Wird das Wahlgebiet zur Erhöhung der Übersichtlichkeit in kleinere geschlossene Wahlkreise unterteilt, erhöht man die Hürde sowie die mögliche Verzerrung, bei einem 5er-Wahlkreis mit Hare-Quota wären schon 10% Stimmenanteil nötig.
Wird die Stimmverteilung der Erstpräferenzen wiederum zur Ermittlung von Ausgleichssitzen herangezogen, verkompliziert das erstens das Verfahren, zweitens kann man die Transfers dann auch fast ganz weglassen.
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c07
Veröffentlicht am Samstag, 26. Juni 2004 - 17:13 Uhr:   

Mörsberg:
> Weiter ist zu fragen, nach welchem Kriterium man festlegt,
> WIE VIELE Stimmen jeder Wähler als Erstpräferenzen verteilen darf.

Das ist eigentlich nur eine Frage der vorhandenen Rechenkapazität.

> Wird die Stimmverteilung der Erstpräferenzen wiederum zur Ermittlung
> von Ausgleichssitzen herangezogen,

Da bräuchte man keine Ausgleichssitze, sondern könnte einfach alle Kandidaten streichen, deren Partei ihr Kontingent bereits ausgeschöpft hat.

> verkompliziert das erstens das Verfahren,

Hält sich in Grenzen. Man müsste einfach eine Reihenfolge festlegen, in der die Wahlkreise Zugriff auf das nächste Mandat haben. Wenn die Gesamtsitze mit Sainte-Laguë auf die Wahlkreise verteilt werden, hat man diese Reihenfolge sowieso.

> zweitens kann man die Transfers dann auch fast ganz weglassen.

Wenn man Parteienproporz fordert, unterbindet man natürlich einen Großteil der Transfers, die über Parteigrenzen gehen (genau genommen erzwingt man Gegentransfers am hinteren Ende der Präferenzen). Es bleiben aber parteiinterne Transfers. Z.B. steigen bei den Leuten, die den Spitzenkandidaten stark gehäufelt haben, einfach die restlichen Stimmen an diese Partei im Wert.

Beim Beispiel, bei dem viele ihren Bürgermeister einer Wählervereinigung häufeln, sonst aber Parteien wählen, ändert sich gegenüber einem reinen Häufelsystem, dass auch die restlichen Wähler mit ihren hinteren Präferenzen entscheiden, welche Bürgermeister letztlich die Quote erreichen. Allgemein können bei inhomogenen Parteien, die bei reinem STV wenig Chancen hätten, auch die, die diese Partei nicht gewählt haben, viel bei deren personeller Besetzung mitentscheiden.

Alternativ könnte man sich auch gleich auf die Erstpräferenzen beschränken, und alles, was damit nicht verteilbar ist, auf wahlkreisübergreifende Listen umlenken. Das setzt allerdings voraus, dass die Wähler ihre Stimmen relativ breit verteilen, sonst geht alles in diese Listen.
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C.-J. Dickow
Veröffentlicht am Sonntag, 27. Juni 2004 - 00:31 Uhr:   

@c07

"Allgemein können bei inhomogenen Parteien, die bei reinem STV wenig Chancen hätten, auch die, die diese Partei nicht gewählt haben, viel bei deren personeller Besetzung mitentscheiden."

Aber warum sollen sie dies könnwn? Dies würde doch z.B. die Möglichkeit geben, beim politischen Gegner die Wirrköpfe hochzuhäufeln, um dessen politische Schlagkraft zu schwächen. Das halte ich nicht für sachgerecht.
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c07 (C07)
Veröffentlicht am Sonntag, 27. Juni 2004 - 03:04 Uhr:   

"Hochhäufeln" wär in so einem Fall nicht möglich. Es geht nur um eine Art Stichentscheid, wenn die eigentlichen Stimmen nicht transferiert werden können. Das ist nur dann der Fall, wenn es zu wenig Leute gibt, die Kandidaten aus verschiedenen Flügeln einer Partei (oder eben verschiedene Bürgermeister) gemischt wählen.

Bei normalem STV fliegen solche Kandidaten, zu denen nichts transferiert wird, irgendwann einfach raus. Wenn man aber fordert, dass eine Partei ihren Sitzanteil bekommen muss, auch wenn keiner ihrer Kandidaten einen Sitz wert ist, muss man halt bei den anderen Wählern einen Teil des Stimmengewichts abzweigen, um bei einem der Kandidaten die Quote mit den hinteren Präferenzen zu füllen. Parteien, die halbwegs homogen sind, werden davon nicht betroffen sein.

Eine andere Möglichkeit wär, generell keine Transfers über Parteigrenzen hinweg zuzulassen. Dann werden panaschierte Stimmen zu einem guten Teil gar nicht transferierbar sein und die Quoten (die dann für jede Partei getrennt berechnet werden müssen) absinken. Der Effekt wär damit annähernd der von einem normalen Häufelsystem, wobei parteitreue Wähler allerdings praktisch ein listeninternes STV hätten. Wenn man so was will, kann man das Panaschieren eigentlich gleich verbieten. Panaschieren und Verhältnisausgleich vertragen sich einfach generell schlecht.
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J.A.L.
Veröffentlicht am Sonntag, 27. Juni 2004 - 13:33 Uhr:   

@ co7: Deine letzte Idee gefällt mir da am besten.
Wer durchgehendes und umfassenden Panaschieren will, muss konsequenterweise den Verhältnisausgleich der Parteien auch abschaffen wollen.
Ich will das nicht.
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Mörsberg
Veröffentlicht am Montag, 28. Juni 2004 - 12:28 Uhr:   

> Wenn man Parteienproporz fordert, unterbindet man natürlich einen
> Großteil der Transfers, die über Parteigrenzen gehen (genau
> genommen erzwingt man Gegentransfers am hinteren Ende der
> Präferenzen).
Zwei noch etwas unbereinigte Überlegungen hierzu.
1. Ein Wahlsystem, in dem ein festgelegter Teil der Sitze in STV-Wahlkreisen (mit oder ohne teilbaren Erstpräferenzen) vergeben wird und ein kleinerer Teil (1/4 oder 1/5 reicht) für den Verhältnisausgleich verbleibt. Die Gesamtzahl der Mandate liegt aber fest, Überhang wird dadurch ausgeglichen, dass andere Parteien weniger Mandate im zweiten Verfahren erhalten (ähnlich wie London Assembly oder schottisches Parlament). Dadurch werden Parteien belohnt, die viele Transfers ziehen.
2. Man könnte diesen Effekt noch stärker gewichten, indem man zunächst das ideale Verhältnis für die Gesamtzahl der in Einzelwahlkreisen vergebenen Mandate berechnet und das mit der tatsächlichen Situation vergleicht. Die Differenz ergibt einen Bonus oder Malus, der in gleicher Höhe auf die Gesamtzahl inklusive Ausgleichsitze angewendet wird. Damit werden die aus STV gewonnenen Vorteile in ganzer Höhe umgesetzt, andererseits sind kleinere Parteien auch bei kleinen Wahlkreisen immer noch vertreten. Es ist allerdings eine beträchtliche Verzerrung zu erwarten (vor allem, wenn man nach den zu erwartenden Gepflogenheiten von d'Hondt bzw. Droop ausgeht).

Die Zuteilung der Ausgleichssitze könnte sich wie bisher nach dem Anteil an den Erstpräferenzen im jeweiligen Wahlkreis richten. Dadurch würde die systematische Benachteiligung kleiner Wahlkreise bei kleinen Parteien aufgewogen.
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Programmatiker
Veröffentlicht am Montag, 28. Juni 2004 - 17:01 Uhr:   

@ Mörsberg

Mir ist es eigentlich egal, welche Personen im Parlament sind, mir geht es um das Parteiprogramm. Ich habe überhaupt kein Interesse daran, selbständigere Abgeordnete zu bekommen, weil ich fürchten muß, daß diese sich dann nicht mehr an das Programm der von mir gewünschten Partei halten. Insofern bin ich ein Gegner jeglicher weiterer Personalisierung und ärgere mich z.B. über das neue Wahlrecht in Hamburg (wie gut, daß ich da nicht wohne) genauso sehr, wie über die Personalisierung der Medien. Ich wähle doch nicht Schröder oder Stoiber (2002) sondern eine politische Richtung. Ich wähle die Partei, deren Programm mir am meisten zusagt und verlange von ihr, daß sie das auch umsetzt. Die Personen sind mir dafür herzlich egal, mir wäre es lieber, der Einfluß von Einzelpersonen wäre deutlich geringer, als er es durch die Mediendemokratie heute schon ist. Am liebsten wäre mir eigentlich das alte paraguayanische Wahlrecht, bei dem die stärkste Partei 60% der Sitze erhält und die Stimmen der übrigen Parteien nach dem Verhältnis ihrer Stimmen verteilt werden. Dann hat man eine klare Mehrheit und die Opposition ist auch in einer Weise vertreten, die die Alternativen deutlich werden läßt, man braucht aber keine verwischenden Kompromisse durch Koalitionen.
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J.A.L.
Veröffentlicht am Montag, 28. Juni 2004 - 17:46 Uhr:   

Um es kurz zu sagen: Auch ich stehe einer Personalisierung nicht unkritisch gegenüber, aus eben den Gründen des Programmatikers, weiß aber, dass etwa Mörsberg ein großer Fan von Personalisierung ist.

Die Frage ist, wie auf kommunaler Ebene, denn nur da halte ich Personalisierung für wünschenswert und machbar, man diese am besten gestaltet. Insofern diskutiere ich gerne mit.

Das paraguyanische Wahlrecht hatle ich, wie alle Systeme, die Mehrheiten da schaffen, wo keine vorhanden sind, für Bockmist. Genausogut könnte man fordern, dass die Partei, die nur die relative Stimmenmehrheit bekommt, 100% der Sitze erhält.
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Mörsberg
Veröffentlicht am Montag, 28. Juni 2004 - 21:45 Uhr:   

Bei einer Kommunalwahl sich auf Programme zu verlassen hielte ich für naiv. Und selbst wenn man aufgrund seiner politischen Grundüberzeugung festlegt, alle Stimmen bei der Kommunalwahl nur einer Partei zu geben, ist es doch sehr beruhigend, auch ein wenig Einfluss auf die Personen zu haben. Gerade weil mir an der politischen Richtung, die von dieser Partei vertreten wird, viel liegt, trachte ich danach, dass sie auch durch die besten Leute vertreten wird und versuche, mögliche Fehlentwicklungen in personeller Hinsicht zu verhindern. Hier im Norden habe ich mich wirklich über die geringen Gestaltungsmöglichkeiten mit nur drei Stimmen für 43 Sitze geärgert.

Und wenigstens die gemeinsame Reststimmenverwertung politisch benachbarter Parteien oder Kandidaten, wie sie STV ermöglicht, würde eine exaktere Wiedergabe des Wählerwillens bewirken. Und die überzähligen Personenstimmen bei Kommunalwahlen mit der jetzt üblichen Form der Personalisierung sind halt auch ein Ärgernis, denn wer durch die noch mitgezogen wird, ist meistens totaler Zufall. Personalisierung wird eben oft auch kritisch gesehen, weil die Systeme (noch) nicht gut genug sind.

In mancher kleineren Gemeinde, wo ich mich ein bisschen auskenne, wäre mir die Parteizugehörigkeit oft ziemlich egal und das Programm erst recht, weil ich bei den Dingen, die in so einem Gemeinderat zur Entscheidung anstehen, ein Programm nicht mehr als hilfreiche Orientierung ansehe.

Entgegen weitverbreiteter Vorurteile und Ängste werden durch Abbau von Hürden und Einbau von Personalisierungselementen auch nicht die Ränder gestärkt. In den drei Städten und Gemeinden, in denen ich zuletzt gewohnt habe, wirkte die Personalisierung und die stärkere Bedeutung der Wählergruppen eher zu Gunsten gemäßigter und flexibler Haltungen.

Nebenbei kann die Personalisierung auch für die Parteien von Vorteil sein. Die sehen nämlich so viel besser, welche Kandidaten sich ihre Wähler wünschen und welche eher nicht (wobei es die listenkomplettierenden Lehrer immer geben wird und muss, das sind eben echte Vorbilder).

Auf höherer Ebene, wo der Einsatz elektronischer Medien heute von entscheidender Bedeutung ist, sehe ich auch weit größere Probleme.
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c07
Veröffentlicht am Dienstag, 29. Juni 2004 - 00:32 Uhr:   

Mörsberg:
> Dadurch werden Parteien belohnt, die viele Transfers ziehen.

Bei normalem STV mag das noch ein Qualitätsmerkmal sein, aber wenn man ausreichend teilbare Erstpräferenzen hat, sind die Transfers in die Folgepräferenzen das, was der Wähler eigentlich nicht wollte. Derart errungene Mandate sollte man nicht auch noch zusätzlich belohnen.

Ein Verhältnisausgleich aufgrund von normalen STV-Erstpräferenzen ist sowieso ziemlich abartig. Da kann man nicht erwarten, dass irgendwas Sinnvolles dabei rauskommt. Wenn man teilbare Erstpräferenzen hat, hat man zumindest ein halbwegs vernünftiges Kriterium, was das ideale Verhältnis ist. Aber es gibt in jedem Fall immer noch unschöne Effekte, weil die Leute eben Personen und keine Parteien gewählt haben. Eigentlich gibt es da dann nichts auszugleichen.

Die Basis von STV ist einfach, dass die Wähler selber entscheiden, nach welchen Kriterien sie die Kandidaten bewerten. Der einzig sinnvolle Ansatz für einen Verhältnisausgleich, also eine Bewertung nach vorgegebenen Kriterien, ist deshalb der, dass die Wähler selber die Möglichkeit haben, an einer bestimmten Stelle in der Präferenzordnung explizit ein solches Kriterium zu übernehmen. Das heißt aber andererseits, dass für Stammwähler von Kleinparteien STV faktisch nicht stattfindet. Für mittlere Parteien gibt es noch die Lösung, dass Kandidaten in mehreren Wahlkreisen antreten können (oder sich die Wahlkreise gleich selber einrichten). Aber bei einer Partei, die im ganzen Wahlgebiet nur einen Sitz erreicht, bleibt höchstens noch listeninternes STV. Wenn man gleichzeitig STV und Verhältnisausgleich will, ist listeninternes STV ohnehin die beste Wahl.

> Die Zuteilung der Ausgleichssitze könnte sich wie bisher nach dem Anteil an den
> Erstpräferenzen im jeweiligen Wahlkreis richten. Dadurch würde die systematische
> Benachteiligung kleiner Wahlkreise bei kleinen Parteien aufgewogen.

Im Prinzip schon richtig, aber dadurch werden umgekehrt die großen Wahlkreise etwas benachteiligt (weil sich da mehr Wähler gleiche Chancen teilen müssen). Die Wahlkreisgröße wär jedenfalls immer noch kritisch.

Auf was soll sich eigentlich das "wie bisher" beziehen? Gibt es das schon irgendwo so ähnlich? Normalerweise ist es ja gerade nicht so.

> Gerade weil mir an der politischen Richtung, die von dieser Partei
> vertreten wird, viel liegt, trachte ich danach, dass sie auch durch
> die besten Leute vertreten wird und versuche, mögliche
> Fehlentwicklungen in personeller Hinsicht zu verhindern.

Das halt ich aber für eine innerparteiliche Aufgabe. Ohnehin wären ausgefeiltere Wahlverfahren zuallererst für den Gebrauch innerhalb der Parteien geeignet. Solang da noch die Kandidaten mit archaischen Mitteln aufgestellt werden, sind die Überlegungen für normale Wahlen relativ absurd. U.U. wär es sogar sinnvoll, eine vernünftige Kandidatenaufstellung durch alle Mitglieder verbindlich zu machen.

Auch ein Modell, wo sich jeder für eine Partei registrieren kann, bei der er dann die Reihenfolge der Kandidaten mitbestimmt, halt ich für besser als eine Personalisierung bei der Wahl selbst. Dann ist auch das genaue Verfahren nicht mehr so kritisch. Wem das Ergebnis nicht gefällt, der weiß dann zumindest vor der Wahl, auf was er sich mit seiner Stimme einlässt.
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Ralf Arnemann
Veröffentlicht am Dienstag, 29. Juni 2004 - 09:57 Uhr:   

@Programmatiker:
> Mir ist es eigentlich egal, welche Personen im Parlament sind, mir
> geht es um das Parteiprogramm.
Das deutet mir auf eine wenig realitätsnahe Vorstellung davon, wie Politik in der Praxis funktioniert.
Ein Parteiprogramm kann maximal eine grobe Orientierung geben, sehr viele wichtige Details werden dann im täglichen Betrieb entschieden, da kommt es auf die handelnden Personen an.

Besonders beim zentralen Thema Haushalt sind programmatische Festlegungen kaum möglich, auch nicht bei den vielen Fragen, die erst während der Legislaturperiode aufkommen und zum Zeitpunkt der Wahlprogramm-Erstellung gar nicht bekannt waren.

Es ist auch verdammt schwierig, Personen zu beurteilen und ihnen für vier Jahre zu vertrauen.
Aber das Programm alleine ist auf jeden Fall nicht ausreichend.
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Mörsberg
Veröffentlicht am Dienstag, 29. Juni 2004 - 12:56 Uhr:   

Ach, um das alles zu überprüfen, müsste man es wahrscheinlich simulieren.
Für mich scheint auch am Ende das beste Ergebnis herauszukommen, wenn man STV mit teilbaren Erstpräferenzen in einem Einheitswahlkreis durchführt. Nur befürchte ich, dass das sehr unübersichtlich werden könnte.
> wenn man ausreichend teilbare Erstpräferenzen hat, sind die
> Transfers in die Folgepräferenzen das, was der Wähler eigentlich
> nicht wollte.
Korrekt, wenn die Erstpräferenz einfach rausfliegt. Bei Überhangtransfers kann man das aber nicht so generell behaupten.
Den Ausgleich hab ich deshalb in den Raum geworfen, weil ansonsten eine Unterteilung des Wahlgebietes in geschlossene Wahlkreise zu Verzerrungen führen wird, solange die Parteizugehörigkeit ein wesentliches Kriterium der Wahl darstellt - und das wird sie spätestens bei den Kandidaten, die man nicht kennt und über die man sonst nichts weiß.

> Ein Verhältnisausgleich aufgrund von normalen STV-Erstpräferenzen
> ist sowieso ziemlich abartig. Da kann man nicht erwarten, dass
> irgendwas Sinnvolles dabei rauskommt.
Wenn die Wähler im Vorhinein wissen, dass das eine Rolle spielt, werden sie es auch berücksichtigen.

> Für mittlere Parteien gibt es noch die Lösung, dass Kandidaten in
> mehreren Wahlkreisen antreten können (oder sich die Wahlkreise
> gleich selber einrichten).
Ich finde ja, wenn schon das Wahlgebiet in geschlossene Wahlkreise unterteilt wird, sollen sich Stimmenfänger für einen und gegen alle anderen Wahlkreise entscheiden müssen.

> Auf was soll sich eigentlich das "wie bisher" beziehen? Gibt es das
> schon irgendwo so ähnlich?
Auf, ähem, Kreistagswahlen in Baden-Württemberg. Die haben diesen Thread ja schließlich verursacht. Führt übrigens zu nicht uninteressanten Effekten. Denn die Wähler können damit gut umgehen, die Parteien (betroffen in erster Linie SPD, FDP, Grüne) aber nicht immer.
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c07
Veröffentlicht am Mittwoch, 30. Juni 2004 - 01:00 Uhr:   

Mörsberg:
> solange die Parteizugehörigkeit ein wesentliches Kriterium der Wahl darstellt

Wenn es das wesentliche Kriterium ist, ist offenes STV relativ ungeeignet (außer bei geringer Mandatszahl). Und wenn es nur eines unter mehreren ist, seh ich nicht ein, warum ausgerechnet das ausgeglichen werden sollte.

> Wenn die Wähler im Vorhinein wissen, dass das eine Rolle spielt,
> werden sie es auch berücksichtigen.

Das kann man nur für taktische Spielereien sinnvoll berücksichtigen, und damit geht ein Hauptvorteil von STV verloren. Faktisch wird da die Erstpräferenz zur Zweitstimme, wenn man sie einem billigen Kandidaten der präferierten Partei gibt und sich sonst bei anderen Parteien austobt.

> Auf, ähem, Kreistagswahlen in Baden-Württemberg.

Aber da ist es doch nicht so. Es zählen absolute Zahlen und keine Anteile, nur dass die absoluten Zahlen zuvor nach der Gesamtzahl der Stimmen normiert werden (was Kandidaten in großen Wahlkreisen wegen der Häufelbeschränkung benachteiligt). Detaildiskussionen dazu passen aber vielleicht besser in diesen Thread.
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c07
Veröffentlicht am Mittwoch, 30. Juni 2004 - 01:03 Uhr:   

Mit "Gesamtzahl der Stimmen" hab ich die Zahl der Stimmen gemeint, die ein Wähler insgesamt vergeben kann (je nach Wahlkreisgröße sind das unterschiedlich viele).
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Mörsberg
Veröffentlicht am Mittwoch, 30. Juni 2004 - 13:57 Uhr:   

> Aber da ist es doch nicht so. Es zählen absolute Zahlen und keine
> Anteile, nur dass die absoluten Zahlen zuvor nach der Gesamtzahl
> der Stimmen normiert werden.
Wenn alle Wähler ihr Stimmenkontingent ausschöpfen (was in der Regel annähernd der Fall ist), läuft das auf dasselbe hinaus.

> (was Kandidaten in großen Wahlkreisen wegen der Häufelbeschränkung
> benachteiligt)
Das ist allerdings zutreffend. Würde man grundsätzlich im bisherigen System bleiben wollen, dann könnte man diese Probleme auch dadurch beheben, dass auch die großen Wahlkreise noch weiter unterteilt werden - bis zur Sollmaximalzahl acht der Landkreisordnung. Da Mehrfachkandidaturen erlaubt sind, könnten die meist parteiangehörigen Bürgermeister der Städte dann in gleichem Maße Stimmen anziehen wie ihre parteilosen Kollegen in den Vororten und auf dem Land. Alternativ könnte man das Häufelmaximum auch aufheben oder als Anteil an der Gesamtstimmenzahl definieren.

Hinsichtlich des eigentlichen STV/Ausgleich-Problems läuft die Diskussion inzwischen immer mehr auf ein System hinaus, das wir schon bei der Wahlsystemdebatte für die Bundesebene diskutiert hatten.
In den Einzelwahlkreisen gewählt sind Bewerber, die eine volle Hare-Quota erreichen. Reststimmen gehen in eine landkreisweite Verwertung nach Parteipräferenzen ein, wobei ich ein Modell wünschenswert fände, das die Restsitze an die in den Wahlkreisen relativ erfolgreichsten Bewerber (das wären die mit dem vor ihrem Ausscheiden größten Stimmenanteil) zuteilt und so auf starre Listen verzichtet. Da die Sitzzahl dank der Ausgleichssitze schon derzeit stark schwankt, kann man am Ende auch gleich eine automatische Methode anwenden.
Der wesentliche Fortschritt gegenüber dem Modell für die Bundesebene wäre STV mit teilbaren Erstpräferenzen. Wenn die Wahlkreise dann tatsächlich zwischen vier und acht Sitzen umfassen und es am Schluss eine Option auf einen Ausgleich gibt, ist das auch gut handhabbar.
Das einzige Problem wäre dann die Frage nach den Mehrfachkandidaturen. Hier gewännen die Parteien allein dadurch an Einfluss, indem sie ihre Favoriten durch Mehrfachkandidaturen begünstigten.
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c07
Veröffentlicht am Mittwoch, 30. Juni 2004 - 15:50 Uhr:   

Mörsberg:
> Wenn alle Wähler ihr Stimmenkontingent ausschöpfen (was in der Regel
> annähernd der Fall ist), läuft das auf dasselbe hinaus.

Es fließen auch noch Ungenauigkeiten bei der Wahlkreiseinteilung (die sich auf Einwohner statt Wahlberechtigte bezieht und von d'Hondt sowie dem 40%-Maximum über die normalen Rundungen hinaus verzerrt ist), die Wahlbeteiligung und der Anteil gültiger Stimmen ein.

> (das wären die mit dem vor ihrem Ausscheiden größten Stimmenanteil)

Das ist allerdings eine relativ zufällige Größe. Wenn man teilbare Erstpräferenzen hat, wären sie das wesentlich bessere Maß.
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Mörsberg
Veröffentlicht am Mittwoch, 30. Juni 2004 - 20:16 Uhr:   

Ich weiß nicht, ob das 40%-Maximum überhaupt irgendwo greift. In Frage kämen an sich nur Reutlingen, Tübingen und Villingen-Schwenningen. Bei Reutlingen geht es wohl so gerade eben auf (der Kreis ist ja recht groß), bei den anderen hab ich die Zahlen jetzt nicht im Kopf.
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Mörsberg
Veröffentlicht am Donnerstag, 01. Juli 2004 - 14:18 Uhr:   

> > (das wären die mit dem vor ihrem Ausscheiden größten Stimmenanteil)

> Das ist allerdings eine relativ zufällige Größe. Wenn man teilbare
> Erstpräferenzen hat, wären sie das wesentlich bessere Maß.

Beispiel für einen problematischen Fall. Gegeben seien zwei Viersitzwahlkreise, der eine besteht aus vier etwa gleich großen Gemeinden, der andere aus einer großen und zwei deutlich kleineren. Partei X erreicht im WK1 12%, im WK2 8% und in beiden null Direktsitze. Der letzte Ausgleichsitz geht entweder an WK1 oder an WK2. Die Stimmen (Erstpräferenzen) verteilen sich wie folgt auf die Kandidaten:

WK1
A 303
B 298
C 287
D 301

WK2
E 404
F 22
G 191
H 159

Normierung können wir uns sparen, da in beiden Fällen durch vier geteilt wird. Gewählt wäre E, obwohl die Partei in seinem Wahlkreis schwächer ist als im anderen, weil sein Dorf größer ist als die aus dem WK1.

Nach STV-Transfers, bei denen der parteiübergreifende Austausch im Saldo annähernd Null ergäbe, könnte hingegen vor der gemeinsamen Reststimmenverwertung folgendes stehen:

WK1
A 1186

WK2
E 779

Gewählt wäre A. Meine Variante gewichtet das regionale Repräsentationsprinzip etwas stärker.
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c07
Veröffentlicht am Donnerstag, 01. Juli 2004 - 15:43 Uhr:   

Mörsberg:
> Gewählt wäre E, obwohl die Partei in seinem Wahlkreis schwächer ist
> als im anderen, weil sein Dorf größer ist als die aus dem WK1.

Wenn dir daran gelegen ist, kannst du gleich die Ausgleichssitze erst auf die Wahlkreise verteilen und dort den stärksten Kandidaten geben. Deine Rechnung geht nicht mehr auf, sobald E noch größere Transfers aus anderen Parteien erhält (deren Stimmen bereits bei der Ursprungspartei ausgeglichen worden sind). Ob diese Transfers kurz vor oder kurz nach der Streichung von E auftreten, ist praktisch rein zufällig.

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