Zwei-Verfahren-Paradoxon

[Systemfehler]

Bei der Ausschussbesetzung des Deutschen Bundestages wird die Zahl der Ausschussmitglieder je Fraktion entweder über das Verfahren Sainte-Laguë oder das Verfahren d’Hondt bestimmt.

Ergeben sich bei der Berechnung nach dem Verfahren Sainte-Laguë im Ausschuss andere Mehrheitsverhältnisse als im Plenum (wenn die regierungstragenden Fraktionen nicht mehr in der Mehrheit sind), wird stattdessen das Verfahren nach d’Hondt angewendet.

Dadurch ist es möglich, dass eine Fraktion Ausschusssitze verliert, wenn sie größer wird, bzw., dass sie Ausschusssitze gewinnt, da die Fraktion Mitglieder verliert.

Beispiel

Alleinregierungstragende Fraktion D, Ausschuss mit 7 Ausschussmitgliedern

FraktionABCD
Fraktionsstärke6060150351
Ausschussbesetzung
Nach Sainte-Laguë1114
(Sainte-Laguë-Quotient: 100,1 Mandate pro Ausschusssitz)

Fraktion D verliere zwei Fraktionsmitglieder an Fraktion B

FraktionABCD
Fraktionsstärke6062150349
Ausschussbesetzung
Nach Sainte-Laguë1123
(Sainte-Laguë-Quotient: 100 Mandate pro Ausschusssitz)
Nach d’Hondt0025
(D’Hondt-Quotient: 65 Mandate pro Ausschusssitz)

Der Fraktionswechsel zweier Abgeordneter von Fraktion D zu Fraktion B führt absurderweise zu einer Neuberechnung der Ausschussbesetzung nach d'Hondt, bei der Fraktion D mehr und Fraktion B weniger Ausschusssitze erhält.

Durch die Anwendung eines anderen Verfahrens, abhängig von der Sitzverteilung im Ausschuss, entsteht ein Systembruch, der der Fraktionsstärke einen negativen Einfluss verleihen kann.

Lösungsmöglichkeit

Ziel der gegenwärtigen Konstruktion soll einerseits die Unverzerrtheit der Verteilung nach Sainte-Laguë sein, andererseits soll die politische Parlamentsmehrheit auch die Mehrheit im Ausschuss bilden (beide Ziele werden auch durch die gegenwärtige Konstruktion nicht gewährleistet.)

Dies ließe sich auch durch eine Korrektur bei der Verteilung nach Sainte-Laguë verwirklichen. Dabei wird bei der Zug-um-Zug-Verteilung nach Sainte-Laguë bei jedem Sitz geprüft, ob die regierungstragenden Fraktionen ohne diesen Sitz im Ausschuss ihre Mehrheit verlieren würde und in diesem Fall geht der Sitz an die regierungstragende Fraktion mit dem höchsten Anspruch nach Sainte-Laguë.

Anders beschrieben werden nach der Berechnung nach Sainte-Laguë von der Opposition so viele Sitze den regierungstragenden Fraktionen zugewiesen, wie nötig sind, damit eine politische Parlamentsmehrheit auch im Ausschuss bestehen bleibt.


von Martin Fehndrich (1998, letzte Aktualisierung: 07.01.2008)