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Deutscher Bundestag

16. Wahlperiode

133. Sitzung

Berlin, Donnerstag, den 13.12.2007


 

[Plenarprotokoll 16/133, S. 14077] Anlage 18 (D)
Zu Protokoll gegebene Reden

zur Beratung:
– Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Wahl- und Abgeordnetenrechts
– Entwurf eines Achtzehnten Gesetzes zur Änderung des Bundeswahlgesetzes
– Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Wahlprüfungsgesetzes
– Antrag: Wahlmanipulationen wirksam verhindern
(Tagesordnungspunkt 27 a bis d)
1
Stephan Mayer (Altötting) (CDU/CSU): Aufgrund der Erfahrungen, die wir seit den letzten Änderungen des Bundeswahlrechts gemacht haben, war es notwendig, die Regelungen des Wahlrechts auf den Prüfstand zu stellen. Dabei haben wir vor allem die Erfahrungen bei den Bundestagswahlen 2002 sowie 2005 und der Europawahl 2004 bewertet und sind in der Koalition zur Überzeugung gekommen, dass einige Anpassungen im Bundeswahlrecht und im Europawahlrecht notwendig sind. Wir haben hier intensiv beraten und waren als Koalition in enger Abstimmung mit der Bundesregierung, weil hier selbstverständlich auch einige ausgesprochen technische Fragen zu klären waren. 2
Wir haben bei unseren Beratungen auch über die Positionen und Vorstellungen anderer Stellen diskutiert, beispielsweise des Wahlprüfungsausschusses des Deutschen Bundestages, des Bundeswahlausschusses, des Bundesrates und des Bundeswahlleiters. Der Wahlprüfungsausschuss des Deutschen Bundestages in der 15. und 16. Wahlperiode beispielsweise hat mehrere Prüfbitten ausgesprochen. Auch der Bundesrat hat eine Änderung vorgeschlagen für den Fall des Todes eines Wahlkreisbewerbers [Plenarprotokoll 16/133, S. 14078] nach der Zulassung des Kreiswahlvorschlags, aber noch vor der Wahl. Hierzu komme ich später. 3
Letztlich sind wir übereingekommen, in mehreren Punkten Änderungen vorzunehmen, die ich hier kurz darstellen möchte. (A) 4
Wir möchten, dass bei der Verteilung der Bundestagssitze auf die verbundenen Landeslisten der Parteien entsprechend dem Zweitstimmenergebnis künftig die Berechnungsmethode nach St. Laguë/Schepers zur Anwendung kommt. Diese Berechnungsmethode ist gegenüber der derzeitigen Methode Hare/Niemeyer, also der Quotenmethode mit Ausgleich nach größten Resten, vorzugswürdig. Das Verfahren Hare/Niemeyer ermöglicht zwar eine sehr exakte Zuteilung der Sitze entsprechend dem Zweitstimmenanteil einer Partei. Dieses Verfahren kann aber in bestimmten, wenn auch seltenen Konstellationen zu paradoxen Ergebnissen führen, die sich im ungünstigsten Fall auf die Mandatsvergabe und sogar auf die Mehrheitsverhältnisse auswirken können. Im Extremfall kann eine Zunahme von Zweitstimmen einer Partei in bestimmten Konstellationen zu einer Abnahme der Anzahl der Sitze führen. Auch die umgekehrte Wirkung ist zumindest denkbar. 5
Aus diesem Grunde hat der Wahlprüfungsausschuss in einer Prüfbitte vom September 2004 eine solche Änderung angeregt. Der Innenausschuss und der Wahlprüfungsausschuss haben nach gemeinsamer Beratung daraufhin noch im Jahre 2004 den Wechsel zum Verfahren St. Laguë/Schepers empfohlen. Auch wenn sich die genannte problematische mathematische Besonderheit der Methode Hare/Niemeyer in der Vergangenheit bislang noch nicht ausgewirkt hat, halte ich es für richtig, dass wir dieses Risiko ausschließen. Dies ist vor allem vor dem Hintergrund des verfassungsrechtlichen Grundsatzes der Gleichheit der Wahl die bessere Lösung. 6
Eine Klarstellung nehmen wir beim anzuwendenden Berechnungsverfahren für die Verteilung der Wahlkreise auf die Länder vor. Der bisherige § 3 Abs.1 Bundeswahlgesetz enthielt keine Vorgabe für ein bestimmtes Verfahren. Bislang wurde hierfür in der Praxis in Anlehnung an die Verteilung der Sitze auf die Landeslisten die Quotenmethode Hare/Niemeyer verwendet. Das Verfahren St. Laguë/Schepers hat auch hier Vorteile, insbesondere wird das Hin- und Herpendeln von Wahlkreisen zwischen Bundesländern bei diesem Verfahren tendenziell reduziert. Die Wahlkreiskontinuität wird somit besser gewährleistet. (B) 7
Eine wichtige Vereinheitlichung nehmen wir beim aktiven Wahlrecht zum Deutschen Bundestag für die im Ausland lebenden Deutschen vor. Ursprünglich setzte das aktive Wahlrecht voraus, dass der betreffende deutsche Staatsbürger seinen gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik hat. Für Beschäftigte des öffentlichen Dienstes, die im Ausland leben, sowie die Angehörigen ihres Hausstands, gab es seit 1953 eine Sonderregelung, die ihnen in jedem Fall das aktive Wahlrecht für die Wahl zum Deutschen Bundestag einräumte. Im Jahre 1985 wurde dies auf andere Auslandsdeutsche ausgeweitet. Hier wurde aber differenziert zwischen solchen Deutschen, die innerhalb, und solchen, die außerhalb der Mitgliedstaaten des Europarates wohnen. Bei Ersteren durften nicht mehr als 25 Jahre seit dem Fortzug aus Deutschland verstrichen sein, bei Letzteren nicht mehr als zehn Jahre. Dem lag die Überlegung zugrunde, dass die Mitgliedstaaten des Europarats stärkere politische und sonstige Ähnlichkeiten zu Deutschland aufweisen, sodass anzunehmen sei, dass die dort lebenden Deutschen mit den Verhältnissen in Deutschland besser vertraut seien als diejenigen, die außerhalb der Mitgliedstaaten des Europarats leben. Diese Unterscheidung ist vor dem Hintergrund der rasant verbesserten Informations- und Kommunikationsmöglichkeiten in den letzten Jahren nicht mehr zeitgemäß. Künftig wird es ein zeitlich unbefristetes aktives Wahlrecht für alle im Ausland lebenden Deutschen geben. 8
Der Gesetzentwurf beendet des Weiteren einen überflüssigen Bürokratismus bei der Beantragung eines Wahlscheins. Bislang muss der Wahlberechtigte einen bestimmten Grund für die Wahlscheinbeantragung glaubhaft machen, etwa dass er am Wahltag während der Wahlzeit sich aus wichtigem Grunde außerhalb seines Wahlbezirks aufhält. Hier besteht in der Praxis keinerlei Überprüfungsmöglichkeit, sodass wir auf diese unnötige Glaubhaftmachung verzichten wollen. Dies ist auch eine Frage der Akzeptanz bei den Wählern. Außerdem ist es in der heutigen Zeit, in der die Menschen wesentlich mobiler sind als noch vor Jahren, auch in der Sache nicht mehr zeitgemäß, die Briefwahl nach der Konzeption des Gesetzes vom Vorliegen bestimmter eng definierter Hinderungsgründe abhängig zu machen. (C) 9
Eine Verfahrensvereinfachung führen wir im Zusammenhang mit dem Erwerb des Mandates im Deutschen Bundestag ein, zumindest für die durch die Hauptwahl gewählten Bewerber. Hier wird künftig keine förmliche Mandatsannahmeerklärung mehr erforderlich sein. Auf diese förmliche Erklärung kann verzichtet werden, weil die Tatsache, dass sich ein Bewerber zur Wahl stellt und nominiert wird, die Vermutung nahe legt, dass er bereit ist, das Mandat anzunehmen, wenn er gewählt wird. Nur für den Fall, dass er entgegen dieser Vermutung das Mandat nicht annehmen will, soll er dies ausdrücklich erklären müssen. (D) 10
Wir stellen ferner im Gesetz explizit klar, dass eine Nachwahl auch am Tag der Hauptwahl möglich ist. Stirbt ein Wahlkreisbewerber im Zeitraum zwischen der Zulassung des Kreiswahlvorschlags und der Wahl selbst, so findet eine Nachwahl statt, und zwar spätestens innerhalb von sechs Wochen nach der Hauptwahl. In der Praxis wurde eine Nachwahl auch am selben Tag der Hauptwahl für möglich angesehen, so zum Beispiel bei der Bundestagswahl 2002 in den Wahlkreisen Zollernalb-Sigmaringen und Passau. Diese Praxis ist sinnvoll, schon weil sie „taktisches“ Wahlverhalten und die Verzögerung der Feststellung des Wahlergebnisses vermeidet. Aus diesem Grunde wollen wir diese Praxis auch durch eine entsprechende gesetzliche Klarstellung sichern. 11
Das Europawahlgesetz wird an die Änderungen, die wir beim Bundeswahlgesetz vornehmen, unter Berücksichtigung der von der Sache her gebotenen Unterschiede im Wesentlichen angepasst. 12
[Plenarprotokoll 16/133, S. 14079] Ich möchte aber auch etwas zu einigen Punkten sagen, bei denen wir über möglichen Änderungsbedarf beraten haben, uns aber im Ergebnis gegen Gesetzesänderungen entschieden haben. (A) 13
Wir als CDU/CSU haben in der letzten Wahlperiode eine Änderung beim Umgang mit bestimmten Zweitstimmen vorgeschlagen. Es handelt sich um Zweitstimmen von Wählern, die mit ihrer Erststimme einen erfolgreichen Wahlkreisbewerber gewählt haben, dessen Partei aber nicht den Sprung in den Bundestag geschafft hat, die aber gleichzeitig mit ihrer Zweitstimme eine andere Liste gewählt haben, der der Einzug in den Bundestag gelungen ist. Wir meinen, dass der Zweitstimme in diesem – sicherlich in der Praxis seltenen – Fall ein doppeltes Stimmgewicht zukommt und hätten uns hier deshalb eine Änderung vorstellen können. 14
Diskutiert haben wir auch über die Fälle, in denen ein Wahlkreisbewerber im Zeitraum zwischen der Zulassung des Kreiswahlvorschlags und der Wahl verstorben ist. Das geltende Recht sieht hier Nachwahl im betroffenen Wahlkreis vor; das habe ich schon ausgeführt. Bei der letzten Bundestagswahl musste im Wahlkreis Dresden 1 aus diesem Grund eine Nachwahl nach dem Tag der Hauptwahl durchgeführt werden. Dies war Anlass für mehrere Wahleinsprüche und eine Gesetzesinitiative des Bundesrates. Mit dieser Gesetzesinitiative sollte es ermöglicht werden, dass die Parteien und anderen Listen für solche Fälle Ersatzbewerber aufstellen können. Wir haben uns hier gegen eine Änderung entschieden. Diese Fälle sind zum einen sehr selten. Bislang gab es bei Bundestagswahlen erst sechs Nachwahlen infolge des Todes eines Bewerbers, wobei in zwei Fällen die Nachwahl am selben Tag wie die Hauptwahl möglich war. Für noch wichtiger halte ich aber, dass die geltende Regelung sicherstellt, dass durch die Nachwahl im Wahlkreis eine echte Persönlichkeitswahl stattfindet. Die Wähler wählen einen Abgeordneten, der ihren Wahlkreis vertritt. Das ist der Sinn der Erststimme, und dieses Prinzip wollen wir auch in diesen Fällen beibehalten. 15
Diskutiert haben wir auch über die Frage, ob das Nachrücken von Listenplätzen ermöglicht werden soll, wenn ein Wahlkreisabgeordneter aus einem Land ausscheidet, in dem seine Partei Überhangmandate errungen hat. Bis zur Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts im Februar 1998 fand auch in diesen Fällen ein Nachrücken statt. Es war zumindest zu prüfen, ob durch eine gesetzliche Änderung das Nachrücken in Überhangmandate wieder ermöglicht werden sollte. Wir haben uns schließlich dagegen entschieden. Dies halte ich im Ergebnis auch für die bessere Lösung, weil Überhangmandate im geltenden Wahlrecht eine Ausnahme sind, bei der die Erststimme auch auf die Sitzverteilung im Bundestag Einfluss hat. Um die Auswirkungen dieser Ausnahme möglichst gering zu halten, soll es dabei bleiben, dass in diesen Fällen kein wie auch immer gearteter Ersatz erfolgt. (B) 16
Noch ein Wort zur Wahlkreiseinteilung. Wir haben die beiden Berichte der Wahlkreiskommission sehr sorgfältig analysiert. Ich bin der Auffassung, dass dem Gesichtspunkt der Wahlkreiskontinuität eine große Bedeutung beikommt. Hier geht es um die Verwurzelung der Wahlkreisabgeordneten vor Ort in ihren Wahlkreisen und um gewachsene Strukturen. Wir schlagen aus diesem Grunde letztlich nur dort Änderungen beim Wahlkreiszuschnitt vor, wo dies angesichts der aktuellen und zu erwartenden Bevölkerungsentwicklung zwingend notwendig ist, um den gesetzlichen Wahlrechtsgrundsätzen, insbesondere dem Grundsatz der Gleichheit der Wahl, gerecht zu werden. Dementsprechend war eine Reduzierung der Wahlkreise um jeweils einen Wahlkreis in Sachsen und Sachsen-Anhalt und die Aufstockung um jeweils einen Wahlkreis in Baden-Württemberg und Niedersachsen unumgänglich. Insofern war hier den Vorschlägen der Wahlkreiskommission zu folgen. 17
Nur kurz möchte ich auf den heute ebenfalls zur Entscheidung anstehenden Antrag der Linken eingehen. Wir haben es hier mit einem klassischen Schaufensterantrag zu tun. Es gibt keinerlei Überlegungen in der Koalition, bei Bundestags- oder Europawahlen eine Stimmabgabe per Internet zu ermöglichen. Es handelt sich hierbei somit um eine völlig überflüssige Debatte. Was den Einsatz von Wahlgeräten betrifft, so sind nach meiner Kenntnis bislang in keinem Falle auch nur irgendwelche Anhaltspunkte für Manipulationen oder Manipulationsversuche bei Wahlen mit Wahlgeräten in Deutschland bekannt geworden. Es handelt sich somit um eine Scheindebatte ohne irgendeinen substanziierten Anlass. Der Antrag ist deshalb völlig neben der Sache, populistisch und daher abzulehnen. (C) 18
Zuletzt noch eine Anmerkung zur Änderung des Wahlprüfungsgesetzes. Wir wollen eine Klarstellung im Gesetzestext entsprechend der langjährigen Praxis des Wahlprüfungsausschusses vornehmen. Nach dem bisherigen Wortlaut hat der Wahlprüfungsausschuss des Deutschen Bundestages bei Wahleinsprüchen in der Regel eine mündliche Verhandlung durchzuführen. In der Praxis hat sich aber gezeigt, dass in aller Regel eine mündliche Verhandlung entbehrlich ist, weil von ihr keinerlei Mehrwert zu erwarten ist. Seit November 1973 ist keine mündliche Verhandlung mehr durchgeführt worden. Mit der künftigen Regelung lehnen wir uns an die Voraussetzungen für mündliche Verhandlungen vor dem Bundesverfassungsgericht bei Wahlprüfungsbeschwerden an. Die mündliche Verhandlung wird somit künftig nur stattfinden, wenn von ihr eine Förderung des Verfahrens zu erwarten ist. (D) 19
Klaus Uwe Benneter (SPD): Wir haben ein bewährtes Wahlrecht. Trotzdem ist es veränderungswürdig. Dafür gibt es verschiedene Gründe. Zum einen passieren bei jeder Bundestagswahl Fehler; Stichwort Briefwahl Dortmund. Tausende von Briefwahlstimmen konnten nicht gezählt werden. Der Gesetzgeber muss prüfen, ob er zu einer Fehlervermeidung oder zumindest zu einer Schadensminderung beitragen kann. Zum anderen ändern sich die Verhältnisse, unter denen Wahlen stattfinden. Beispielsweise hat der Wegfall des Postmonopols Auswirkungen auf die Regelungen zur Beförderung von Wahlbriefen. Auch das Wahlverhalten ändert sich. Ein Beispiel ist die immer stärker in Anspruch genommene Briefwahl; auch darauf sollte der Gesetzgeber reagieren. [Plenarprotokoll 16/133, S. 14080] Schließlich führen die Erfahrungen der Vergangenheit, aber auch die Erfahrungen aus den Ländern immer wieder zu einer Überprüfung der mathematischen Berechnungsmethoden, die Grundlage der Ermittlung des Wahlergebnisses sind. 20
Aus allen diesen Gründen sieht der Gesetzentwurf Änderungen des Wahlrechts vor, die ich nun im Einzelnen ansprechen möchte. (A) 21
Zur Umstellung des Berechnungsverfahrens von der Quotenmethode mit Ausgleich nach größten Resten Hare/Niemeyer auf das Divisorverfahren mit Standardrundung St. Laguë/Schepers. Die neue Berechnungsmethode soll sowohl für die Verteilung der Wahlkreise auf die Länder nach § 3 BWahlG als auch für die Verteilung der Sitze auf die Landeslisten der Parteien nach § 6 BWahlG Anwendung finden. Die Wahlkreiskommission für die 16. Wahlperiode hat in ihrem Bericht unter Bezugnahme auf ein Gutachten des Statistischen Bundesamtes diese Umstellung der Berechnungsmethode empfohlen. Warum? Ich will die Auswirkungen der neuen Berechnungsmethode für die Verteilung der Wahlkreise auf die Länder an einem Beispiel erläutern: In der 15. Wahlperiode ergab sich bei Anwendung des bisherigen Hare/Niemeyer-Verfahrens ein Wahlkreisverlust für Schleswig-Holstein. Dies war jedoch kaum nachvollziehbar, weil Schleswig-Holstein erst in der 14. Wahlperiode einen neuen Wahlkreis hinzubekommen hatte und seitdem einen leichten Bevölkerungsanstieg verzeichnete. Dieses äußerst ungute Hin- und Herpendeln von Wahlkreisen wäre durch die neue Berechnungsmethode vermieden worden. Die neue Methode ist damit kontinuitätswahrender. 22
Aber auch für die Berechnung der Verteilung der Sitze auf die Landeslisten der Parteien ist die neue mathematische Berechnungsmethode besser. Denn sie kann paradoxe Ergebnisse vermeiden, wie sie bei der jetzigen Berechnungsmethode entstehen können. Bisher ist es zum Beispiel möglich, dass ein erhebliches Minus an Zweitstimmen nicht etwa dazu führt, dass die betroffene Partei einen Sitz weniger erhält. Vielmehr kann stattdessen eine Sitzverschiebung zwischen zwei anderen Parteien eintreten. Das neue Berechnungsverfahren St. Laguë/Schepers führt jedoch in diesem Fall zu dem erwarteten und besseren Ergebnis, dass die vom Zweitstimmenminus betroffene Partei einen Sitz zugunsten einer anderen Partei verliert, die bisher im Rundungsverfahren am schlechtesten wegkam. Der Bundestag selbst verwendet die neue Methode St. Laguë/Schepers bereits für die Berechnung der Zahl der auf die Fraktionen entfallenden Sitze im Ältestenrat und in den Ausschüssen. Auch im Landtagswahlrecht von Bremen, Baden-Württemberg und Hamburg ist St. Laguë/Schepers bereits eingeführt. (B) 23
Es handelt sich aber – um das klarzustellen – insgesamt um eine Verfeinerung der Berechnungsmethode, keineswegs um eine revolutionäre Neuerung, die nun bei gleicher Stimmabgabe gänzlich andere Ergebnisse erwarten lässt. Denn hinsichtlich der Verteilung der Sitze nach Zweitstimmen auf die Parteien insgesamt hätten wir bei den beiden letzten Bundestagswahlen sowohl nach alter als auch nach neuer Berechnungsmethode die gleichen Ergebnisse bekommen. 24
Deutlich einfacher als das bisherige Recht ist auch die vorgesehene Regelung, wonach alle im Ausland lebenden Deutschen künftig ein zeitlich unbefristetes Wahlrecht besitzen. Bisher werden hier feine Unterscheide gemacht zwischen Auslandsdeutschen, die in den Mitgliedstaaten des Europarates leben und unbefristet mitwählen können, und sonstigen Auslandsdeutschen, deren Wahlrecht nur 25 Jahre lang nach Wegzug bestehen soll. Diese im Zeitalter der Globalisierung schwer zu rechtfertigende Differenzierung soll nun abgeschafft werden. (C) 25
Eine weitere Änderung betrifft die Briefwahl, die ursprünglich als enge Ausnahme konstruiert wurde. Nichtsdestotrotz nimmt der Anteil der Briefwähler kontinuierlich zu. Bei der letzten Bundestagswahl haben 18,7 Prozent der Wähler per Briefwahl gewählt. Für die Teilnahme an der Briefwahl müssen Wahlberechtigte einen Wahlschein beantragen und dabei bisher auch den Grund für ihre Verhinderung am Wahltag angeben und glaubhaft machen. Diese Regelung erfüllt keinerlei Funktion mehr, denn eine Nachprüfung dieser Hinderungsgründe ist weder möglich noch erwünscht. Auch eine Appellfunktion kann diese Regelung leider, wie ich meine, nicht erfüllen, wie die Erfahrungen in Nordrhein-Westfalen und Berlin zeigen. Dort wird seit vielen Jahren auf die Angabe von Gründen für die Briefwahl verzichtet. Der Briefwähleranteil hat sich jedoch nicht anders entwickelt als in anderen Bundesländern. 26
In diesem Zusammenhang soll auch bemerkt werden, dass die Beförderung der Wahlbriefe wie bisher kostenfrei für den Briefwähler möglich ist. Nach Wegfall der Exklusivlizenz der Deutschen Post für Briefe bis zu 50 Gramm ist hierfür künftig die Durchführung eines Vergabeverfahrens erforderlich, auf dessen Grundlage der Bund mit entsprechenden Postdienstleistern Beförderungsverträge abschließen wird. (D) 27
Bewerber, die anderen Parteien angehören, sollen künftig auf Landeslisten von Parteien nicht mehr zugelassen werden. Bei der letzten Bundestagswahl wurde die Aufstellung von Kandidaten der WASG auf den Landeslisten der Linkspartei von den Landeswahlausschüssen zugelassen. Denn das Wahlrecht enthält keine Regelung dieses Falles. Problematisch ist diese Handhabung aber deshalb, weil nach dem Bundeswahlgesetz Listenvereinigungen und Listenverbindungen verschiedener Parteien nicht zulässig sind. Das Gesetz möchte auf diese Weise klare Wahlentscheidungen ermöglichen und außerdem einer Zersplitterung des im Parlament vertretenen Parteienspektrums vorbeugen. Denn eine solche Zersplitterung gefährdet die parlamentarische Handlungsfähigkeit und damit die politische Stabilität des Landes. 28
Verschiedene Regelungen sichern diese Zielsetzung ab, etwa die Fünfprozenthürde bzw. die Grundmandatsklausel für den Einzug in das Parlament, aber auch das Unterschriftenquorum für Wahlkreisvorschläge von Parteien ohne bisherige hinreichende parlamentarische Vertretung. Parteien haben außerdem nach § 27 Abs. 1 BWahlG das Monopol zur Aufstellung von Landeslisten. [Plenarprotokoll 16/133, S. 14081] Alle diese Hürden können durch die Zulassung von Mitgliedern anderer Parteien auf der Landesliste einer Partei umgangen werden. Das ist nicht sinnvoll. 29
Die Kandidatur parteiloser Bewerber auf der Landesliste einer Partei wäre übrigens von dieser beabsichtigten Neuregelung nicht betroffen. Sie soll weiterhin möglich sein. (A) 30
Bei vertauschten Stimmzetteln sollen die bisherigen harten Folgerungen abgemildert werden. Leider kann auch das schönste Wahlrecht Fehler bei einer bundesweiten Wahl mit über 60 Millionen Wahlberechtigten nicht verhindern. Nicht immer sind allerdings gleich Tausende von Wählern betroffen, wie es bei der letzten Bundestagswahl in Dortmund der Fall war. Dort wurden massenweise Briefwahlunterlagen mit Stimmzetteln für den falschen Wahlkreis versandt. Im Ergebnis haben über 10.000 Wähler auf falschen Stimmzetteln gewählt. Die bisherige Regelung sieht vor: Falscher Stimmzettel, Stimme ungültig. Deshalb wurden diese Stimmen, also Erststimmen und Zweitstimmen, überhaupt nicht gezählt. Da die Stimmen im konkreten Fall auf die Mandatsverteilung keinen Einfluss hätten haben können, blieben alle diese Briefwahlstimmen ohne weitere Folgerungen einfach unberücksichtigt. Künftig sollen in einem vergleichbaren Fall – den sich keiner wünschen kann – wenigstens die Zweitstimmen gezählt werden und gültig sein. Denn für die Zweitstimme ist die Stimmzettelverwechslung ohne Belang. 31
Weitere kleinere Änderungen möchte ich noch kurz erwähnen. Der neue Begriff Stimmzettelumschlag anstelle des bisherigen Begriffs Wahlumschlag soll für eine bessere Verständlichkeit der Begriffe sorgen; falls eine Nachwahl stattfinden muss, soll klargestellt werden, dass das vorläufige Wahlergebnis sofort nach der Hauptwahl ermittelt und auch bekannt gegeben wird. Für Abgeordnete wird die förmliche Erklärung zur Mandatsannahme entfallen. Auf der Grundlage der Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts wird die Wahlkampfkostenerstattung für unabhängige Wahlkreisbewerber rückwirkend erhöht und an die Wahlkampfkostenerstattung für Parteien ohne zugelassene Landesliste angeglichen. (B) 32
Entsprechende Änderungen gibt es auch im Europawahlrecht. Auch dort wird das mathematische Berechnungsverfahren auf St. Laguë/Schepers umgestellt. Das Verbot parteifremder Bewerber auf Parteilisten wird ebenfalls eingeführt. Des Weiteren wird der Verlust der Mitgliedschaft im Europäischen Parlament aufgrund der Wahl in das nationale Parlament künftig richtigerweise durch das Europäische Parlament festgestellt und nicht mehr durch den Ältestenrat des Bundestages. 33
Lassen Sie mich einen weiteren Punkt ansprechen. Unter der Überschrift „Geheimoperation Überhangmandate“ hat die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung darüber berichtet, dass die Koalition über eine Nachfolgeregelung bei Überhangmandaten nachgedacht hat. Lassen Sie mich Folgendes klarstellen: Es ist keine konspirative Aktion, sondern üblich und richtig, wenn die Einbringer eines Gesetzentwurfs vor der Einbringung prüfen, welche Änderungen sinnvoll sind. Und ich will ganz deutlich sagen: Ich halte die Nachfolge in Überhangmandate für sinnvoll. Sie steht leider noch nicht in diesem Gesetzentwurf, obwohl es ein Unding ist, dass Mandate während der Legislaturperiode ersatzlos wegfallen können. Eine der wichtigsten Funktionen des Wahlrechts ist es, dass das am Wahltag festgestellte Wahlergebnis eine möglichst stabile Grundlage für eine stabile Regierung über die gesamte Legislaturperiode bildet. Wir können im staatspolitischen Interesse nicht wollen, dass die parlamentarische Mehrheit wechselt, weil zufällig Abgeordnete aus Überhangländern sterben oder aus anderen Gründen ausscheiden. Ich würde es deshalb für richtig halten, wenn wir in den kommenden Beratungen in dieser Frage zu einer Änderung des Entwurfs kommen könnten. 34
Änderungen des Grundgesetzes haben wir in unserem Gesetzentwurf nicht vorgesehen. Die Frage einer Verlängerung der Legislaturperiode, die Einführung von Volksentscheiden auf Bundesebene oder die Möglichkeit der Selbstauflösung des Parlaments bleiben damit auf der politischen Tagesordnung – aber erst in künftigen Wahlperioden. Die damit verbundenen Fragen bedürfen sehr gründlicher Prüfung. (C) 35
Lassen Sie mich noch kurz auf die Änderung der Wahlkreiseinteilung eingehen, wie sie in dem Entwurf eines Achtzehnten Gesetzes zur Änderung des Bundeswahlgesetzes vorgesehen ist. Die Bevölkerungsentwicklung in den Ländern zwingt uns, die bestehende Wahlkreiseinteilung zu ändern. Denn das Bundesverfassungsgericht hat dem Gesetzgeber aufgegeben, im Rahmen des Möglichen annähernd gleich große Wahlkreise zu bilden. Der Gesetzgeber hat die sich daraus ergebenden Anforderungen in § 3 Bundeswahlgesetz näher konkretisiert. Danach sind bei der Wahlkreiseinteilung die Ländergrenzen einzuhalten; die Zahl der Wahlkreise in den einzelnen Ländern muss deren Bevölkerungsanteil soweit wie möglich entsprechen; die Bevölkerungszahl eines Wahlkreises soll von der durchschnittlichen Wahlkreisbevölkerungszahl nicht um mehr als 15 Prozent abweichen, sie darf nicht um mehr als 25 Prozent abweichen; Gemeinde- und Landkreisgrenzen sollen nach Möglichkeit eingehalten werden. (D) 36
Ausgehend von diesen Vorgaben und auf der Grundlage der Bevölkerungszahlen aus der amtlichen Statistik zum Stand 31. Dezember 2006 verlieren nach dem Gesetzentwurf die Länder Sachsen und Sachsen-Anhalt je einen Wahlkreis, während Baden-Württemberg und Niedersachsen je einen hinzugewinnen. In der Folge und entsprechend der weiteren Vorgaben des § 3 BWahlG müssen in Sachsen und Sachsen-Anhalt je ein Wahlkreis aufgelöst und verbleibende Wahlkreise neu geordnet und bezeichnet werden. Auch in anderen Bundesländern werden Wahlkreise neu geordnet und bezeichnet, um erstens sicherzustellen, dass kein Wahlkreis die 25 Prozent-Marke überschreitet, und um zweitens eine Anpassung an aktuelle und künftige Kreis- und Gemeindegrenzen vorzunehmen. 37
Durch die Änderung des Wahlprüfungsgesetzes sollen die gesetzlichen Vorschriften an die tatsächlichen Erfordernisse der Wahlprüfung angepasst werden. Es hat sich in jahrzehntelanger Übung erwiesen, dass eine [Plenarprotokoll 16/133, S. 14082] mündliche Verhandlung in Wahlprüfungssachen nicht erforderlich ist. Aus dem bisherigen gesetzlichen Regelfall ist deshalb faktisch die Ausnahme geworden. Die letzte mündliche Verhandlung in Wahlprüfungssachen wurde im Jahre 1973 durchgeführt. Deshalb soll nach der künftigen gesetzlichen Regelung ein Termin zur mündlichen Verhandlung nur dann anberaumt werden, wenn die Vorprüfung ergibt, dass davon eine weitere Förderung des Verfahrens zu erwarten ist. 38
Die Fraktion Die Linke möchte mit ihrem Antrag „Wahlmanipulationen wirksam verhindern“ auf das Verbot von Wahlcomputern – die es in Deutschland bereits gibt – und auf das Verbot der Internetwahl – die es in Deutschland bei politischen Wahlen noch nicht gibt – hinwirken. Wir schließen uns diesem Antrag nicht an. Denn wir haben bisher keinen ernst zu nehmenden Hinweis darauf, dass es bei dem bisherigen Einsatz von elektronischen Wahlgeräten tatsächlich zu Wahlmanipulationen gekommen ist. Es ist auch nicht richtig, dass – wie die Linksfraktion meint – eine allgemeine, unmittelbare, freie, gleiche und geheime Wahl mit der Stimmabgabe per Wahlcomputer nicht vereinbar sei. (A) 39
Gisela Piltz (FDP): Seit den 80er-Jahren sinkt die Wahlbeteiligung kontinuierlich ab. Kritiker bezeichnen das Wahlsystem in Deutschland als unverständlich, intransparent und partizipationsfeindlich. Es ist daher zu begrüßen, dass die Regierungsfraktionen einen Gesetzentwurf zur Änderung des Wahl- und Abgeordnetenrechts vorgelegt haben. Innovative Ideen enthalten die Entwürfe jedoch nicht. 40
Außerdem ist wieder einmal das parlamentarische Verfahren zu kritisieren. Man bekommt den Eindruck, sobald in der Großen Koalition eine Einigung erzielt wurde, wird das parlamentarische Verfahren im Hauruckverfahren durchgeführt. Die von der Großen Koalition eingebrachten Gesetzentwürfe sind am Dienstag um 19.44 Uhr – und damit auch für unsere Verhältnisse außerhalb der üblichen Bürozeiten – verschickt worden. Heute steht schon die erste Lesung an. Eine ausführliche Prüfung dieser Entwürfe war in der kurzen Zeit innerhalb meiner Fraktion nicht möglich. Ein solches Verfahren wird damit dem Anliegen, eine Fortentwicklung des Wahlrechts zu erreichen, erst einmal nicht gerecht. (B) 41
Der Gesetzentwurf sieht vor, das Berechnungsverfahren zu ändern, um eine bessere Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichheit der Wahl zu erreichen. Durch Ersetzung des Hare-Niemeyer-Verfahrens sollen gerade bei diesem Verfahren vermehrt auftretende Ungereimtheiten zukünftig vermieden werden. Ob das St. Lague/Schepers-Verfahren aber wirklich vorzugswürdiger gegenüber dem Hare-Niemeyer-Verfahren ist, wird sich in den Beratungen zeigen. Denn auch durch einen Wechsel lässt sich möglicherweise das Problem des negativen Stimmgewichts nicht grundsätzlich verbessern. 42
Das negative Stimmgewicht bezeichnet einen Effekt bei Wahlen, bei dem sich Stimmen gegen den Wählerwillen auswirken. Durch das Berechnungsverfahren kann trotz Stimmenabgabe für eine Partei dieser Effekt ein Verlust an Sitzen bewirken oder umgekehrt Stimmen, die für eine Partei nicht abgegeben wurden, einen Gewinn an Sitzen für die jeweilige Partei bedeuten. Dieser Effekt widerspricht dem Anspruch, dass jede Stimme gleich viel zählen sollte. Er widerspricht auch dem Anspruch, dass sich die Stimme nicht explizit gegen den Wählerwillen auswirken darf. Auch Ausgleichsmandate lösen das Problem nicht, weil die betroffene Partei regelmäßig keine Ausgleichsmandate erhält. Hier wäre eine Lösung erstrebenswert. 43
Den im Ausland lebenden Deutschen ein zeitlich unbefristetes Wahlrecht einzuräumen, ist im Zeitalter des Internets zu begrüßen. Denn in der heutigen Zeit ist eine informierte Mitwirkung bei Wahlen auch möglich, ohne am Ort des Geschehens zu wohnen. (C) 44
In diesem Zusammenhang ist auch der Vorschlag im Gesetzentwurf positiv zu bewerten, die Nennung von Antragsgründen bei der Briefwahl abzuschaffen. In den Beratungen wird allerdings zu erörtern sein, ob die Wahlgrundsätze der „geheimen und freien Wahl“ durch eine verstärkte Inanspruchnahme der Briefwahl beeinträchtigt sein könnten. 45
Eine weitere Änderung im Bundeswahlgesetz sieht die Änderung des Zuschnitts der Bundestagwahlkreise aufgrund der Bevölkerungsentwicklung vor. Um die Chancengleichheit aller Wahlbewerber zu garantieren, ist eine Überprüfung der Zuschnitte sinnvoll. Wir werden in den Berechnungen aber darauf achten, dass Veränderungen nicht aus politischen Motiven vorgenommen werden. 46
Der von der Großen Koalition und uns eingebrachte Antrag zur Änderung des Wahlprüfungsgesetzes stellt lediglich eine Anpassung an eine geübte Praxis dar. Seit der 7. Wahlperiode (1973) ist keine mündliche Verhandlung für die Schlussentscheidung des Ausschusses über Einsprüche mehr durchgeführt worden. Der Gesetzentwurf stellt daher lediglich den Zustand her, der ohnehin besteht. (D) 47
Der von den Linken eingebrachte Antrag „Wahlmanipulationen wirksam verhindern“ geht auf eine Petition gegen Wahlcomputer zurück, die von 45.126 Bürgerinnen und Bürgern unterzeichnet wurde. Die Befürchtungen der Bürger sind berechtigt. Wahlcomputer zeigen keine nachprüfbaren Ergebnisse an, Wahlcomputer schließen menschliche Fehler nicht aus, und Wahlcomputer bergen Sicherheitsrisiken. In der Bundesrepublik gibt es lediglich drei Personen, die nachvollziehen können, wie bereits eingesetzte Wahlcomputer für politische Wahlen funktionieren. Und diese drei Personen bürgen auch für die Integrität der Wahl, denn laut Gerichtsentscheidung des VG Braunschweig erhalten keine weiteren Personen Einblicke in die technischen Vorgänge. Dabei sind Wahlcomputer schon manipuliert worden, sodass die Datenintegrität nicht gewährleistet ist. Fehler können auch durch das Auslesen der Stimmenmodule verursacht werden oder beim Transport der Module ins Wahlamt. 48
Wahlcomputer werden damit den Grundanforderungen demokratischer Wahlen nicht gerecht, denn wesentliche Schritte des Wahlablaufs sind der öffentlichen [Plenarprotokoll 16/133, S. 14083] Kontrolle entzogen. Ohne eine verlässliche Nachprüfung des Wahlsystems und damit einer Nachzählung von Stimmen kann Demokratie aber nicht funktionieren. Denn nicht selten ist eine Stimme ausschlaggebend für den Sieg oder die Niederlage des Kandidaten. 49
Mit der Anschaffung von Wahlcomputern sind erhebliche Kosten verbunden. Die Entwicklung geht aber in Richtung Onlinewahlen. Die FDP-Fraktion ist der Meinung, dass man sich technischen Entwicklungen nicht generell verschließen sollte. Insofern geht der Antrag der Linken auch zu weit, der die Internetwahl für alle Zeiten ausschließen will. Wir können doch heute noch nicht absehen, in welche Richtung sich die Technik in den nächsten Jahren entwickeln wird und welche Lösungen für Onlinewahlen uns angeboten werden. Schließlich gibt es schon andere Länder, wie zum Beispiel Estland, die Onlinewahlen als zusätzliche Option für die Wähler anbieten. Die Entwicklung technischer und juristischer Lösungen wird von der FDP unterstützt. Der Antrag der Linken lässt keinen Spielraum für solche Lösungen und ist von unserer Seite in dieser Form nicht zustimmungsfähig. (A) 50
Jan Korte (DIE LINKE): Heute werden zum wiederholten Male nicht nur die Abgeordneten des Deutschen Bundestages, sondern auch die Bürgerinnen und Bürger mit einem Verfahren der Großen Koalition konfrontiert, das die Prinzipien und politischen Kategorien der Transparenz und der Demokratie ad absurdum führt. 51
Ich spreche davon, dass wiederholt wenige Stunden vor einer parlamentarischen Beratung, den Mitgliedern des Bundestages umfangreiche Gesetzentwürfe durch die Koalitionsfraktionen nicht vorliegen. Erst in den Abendstunden des vergangenen Dienstages erreichten die Abgeordneten der Opposition die angekündigten drei Gesetzentwürfe von CDU/CSU und SPD zur Änderung des Wahl- und Abgeordnetenrechts, zur Änderung des Wahlprüfungsgesetzes und zur Änderung des Bundeswahlgesetzes. Der Antrag der Fraktion Die Linke „Wahlmanipulation wirksam verhindern“ lag dagegen rechtzeitig vor. Eine inhaltliche Auseinandersetzung mit den Gesetzentwürfen durch die Bürgerinnen und Bürger wird durch das Vorgehen der Koalitionsfraktionen verhindert. Auch deshalb ist es wichtig, dass es eine linke Fraktion im Parlament gibt, die Aufklärung leistet und für bürgernahe Debatten sorgt. (B) 52
„Aufgrund der Bevölkerungsentwicklung in den Ländern sowie in einigen Wahlkreisen ist die Einteilung der Wahlkreise für die Wahl zum Deutschen Bundestag […] nicht mehr im Einklang mit den Grundsätzen für die Wahlkreiseinteilung nach § 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 und 3 BWG“ und eine Änderung geboten. Diesem Ansinnen ist erst mal nichts Negatives entgegenzusetzen. Dennoch zeigen die späte Einbringung des Entwurfes und der vorgeschlagene Neuzuschnitt der Wahlkreise, dass eine politische Debatte der verwaltungstechnischen untergeordnet wird. 53
Grund für die teilweise Neueinteilung der Wahlkreise besonders im Osten der Republik beispielsweise ist die nach wie vor anhaltende Abwanderung der Bürgerinnen und Bürger aus diesem Teil Deutschlands. Wir haben in diesem Jahr in diesem Rahmen öfter über den sogenannten Aufbau Ost und die Wirtschaftsförderung für die neuen Bundesländern diskutiert, auch um Anreize zu schaffen, das Absterben ganzer Landstriche zu stoppen. Wirkliche Alternativen aber zu den gescheiterten Versuchen der vorangegangenen Bundesregierungen, Zuzug und nicht Abzug aus und in den Osten der Republik zu generieren, hat die Große Koalition bis heute nicht vorgelegt. Die Folge ist unter anderem der Neuzuschnitt der Wahlkreise. Ein Beispiel: In meinem Kreis, in dem ich politisch aktiv bin, dem Salzlandkreis, wirkt sich die Neueinteilung der Wahlkreise in Sachsen-Anhalt besonders stark aus. Der Salzlandkreis wird völlig zerstückelt und auf die Wahlkreise 69, 70 und 72 aufgeteilt. Dabei steht in dem Gesetzentwurf, dass dieser das Gesetz zur Kreisgebietsreform, das am 1. Juli 2007 in Kraft getreten ist, berücksichtigt. 54
Dem Bundesland Sachsen-Anhalt geht mit der Neueinteilung darüber hinaus ein ganzer Wahlkreis verloren. Zukünftig wird es nicht mehr zehn, sondern nur noch neun Wahlkreise geben. Weiter heißt es im Gesetzentwurf, dass „die Toleranzgrenze von plus/minus 15 Prozent durch die neuen Wahlkreise 69 und 72 (plus 17,6 Prozent) überschritten“ wird. Dies wird als vertretbar hingenommen, da dies „durch den zu erwartenden weiteren Bevölkerungsrückgang kompensiert werden“ dürfte. Dies mag statistisch sicher richtig sein, eine politische Strategie jedoch zur Verhinderung dieser Abwanderung und zur Steigerung der Geburtenrate, beispielsweise durch eine wirklich familien- und kinderfreundliche Politik, lässt die Bundesregierung seit nunmehr zwei Jahren nicht erkennen. Ich möchte aber hier erneut die Gelegenheit nutzen, um für eine solche gesellschaftspolitische Auseinandersetzung zu werben. (C) 55
Auch der Gesetzentwurf zur Änderung des Wahl- und Abgeordnetenrechts hält einige brisante Änderungen bereit. Ich möchte mich aber nur auf ein oder zwei Sachverhalte hierin konzentrieren, so zum Beispiel auf die Änderung des § 12, in dem die Voraussetzungen für eine Wahlbeteiligung für jene deutschen Staatsangehörigen geregelt werden, die sich am Wahltag außerhalb der Bundesrepublik aufhalten. Die Änderung des Paragrafen wird unter anderem damit begründet, dass die bisherige Eingrenzung auf die Mitgliedstaaten des Europarates nicht mehr aufrechterhalten werden könne, da die „Homogenität“ zwischen den Mitgliedstaaten des Europarates durch dessen Erweiterung von 21 auf 46 Staaten nicht mehr gegeben sei. Es soll also zukünftig ein zeitlich unbegrenztes Wahlrecht für sogenannte Auslandsdeutsche eingerichtet werden, die nach dem 23. Mai 1949 und vor ihrem Fortzug mindestens drei Monate ununterbrochen in der Bundesrepublik Deutschland eine Wohnung innegehabt haben. (D) 56
Der Gedanke ist so falsch nicht. Jedoch stellt sich dem aufmerksamen Wähler und Demokraten nicht ganz zu Unrecht die Frage, warum nicht im gleichen Atemzug das Wahlrecht für seit vielen Jahren in Deutschland lebende Ausländerinnen und Ausländern eingerichtet wird. Dies wäre doch einmal eine Änderung, die die demokratische Mitbestimmung durch die Menschen, die [Plenarprotokoll 16/133, S. 14084] sich in diesem Land aufhalten, verbessern und verstärken könnte. Denn das Missverhältnis, einerseits Menschen mit deutschem Pass, die seit Jahrzehnten keinen festen Wohnsitz in der Bundesrepublik ihr eigen nennen können, das vollständige Wahlrecht zu garantieren und andererseits in Deutschland seit Jahrzehnten fest verwurzelten und verankerten Ausländerinnen und Ausländern ein solches Recht weiterhin zu verweigern, wird mit diesem Änderungsvorschlag nicht aufgelöst. (A) 57
Interessant liest sich allerdings auch der Änderungsentwurf der Großkoalitionäre zum § 21. Fortan soll es nun nicht mehr möglich sein, dass Parteimitglieder auf den Wahllisten einer anderen Partei kandidieren. Auch die Kandidatur als Doppelmitglied oder das Nachrücken in den Bundestag als Doppelmitglied soll mit dieser Rechtsänderung unterbunden werden. Ich finde diese Änderung, gelinde gesagt, kleinkariert. Es ist ja bei weitem nicht so, dass die Kandidatur eines Parteimitgliedes auf den Listen einer anderen Partei massenhaft vorkam oder vorkommen würde. Im Übrigen hat die Kandidatur des einen oder der anderen parteigebundenen Kandidaten und Kandidatin auf den Listen einer anderen Partei, der Demokratie ja wohl kaum geschadet. 58
Ich möchte die verbleibende Zeit aber auch dafür nutzen, etwas zum vorliegenden Antrag der Fraktion Die Linke „Wahlmanipulation wirksam verhindern“ zu sagen. Ein fundamentales Prinzip der Demokratie ist die Öffentlichkeit des gesamten Ablaufs von Wahlen. Bei Wahlen per Stimmzettel und Urne kann jede und jeder die Korrektheit des Wahlablaufs von der Aufstellung der Urne bis zur Auszählung und Feststellung des Ergebnisses kontrollieren. Diese Möglichkeit der Kontrolle durch jedermann wird aus dem Demokratieprinzip des Art. 20 GG abgeleitet. Werden jedoch Wahlcomputer eingesetzt, was in den Kommunen aufgrund immer größer werdender Probleme, genug Wahlhelfer zu finden, immer öfter der Fall ist, ändert sich die Sachlage völlig: Beim Einsatz von Wahlcomputern werden wesentliche Schritte des Wahlablaufs in das Innere eines Gerätes verlegt und damit der öffentlichen Kontrolle entzogen. Wähler, Öffentlichkeit und selbst Wahlvorstände können nicht mehr nachvollziehen, was im Inneren des Gerätes mit den Stimmen geschieht und wie die Ergebnisermittlung im Einzelnen vor sich geht. Somit wird ein einfaches, erprobtes, evaluiertes und bewährtes System durch ein komplexes, nur von wenigen überprüfbares System ersetzt. Ordnungsgemäßes Funktionieren und Manipulationssicherheit der eingesetzten Wahlcomputer werden zur unabdingbaren Voraussetzung der Integrität einer Wahl. Doch jedem x-beliebigen Menschen, der jemals einen Geldautomaten oder einen PC benutzt hat, ist klar: Das ist absurd. Computer versagen andauernd. Das weiß auch das Innenministerium, das erst kürzlich mitteilte, dass es keinen absoluten technischen Schutz vor Wahlmanipulationen geben wird. „Sehr richtig“, kann ich dem nur hinzufügen. (B) 59
Einen klaren Beleg dafür lieferte erst kürzlich der Chaos-Computer-Club in Hamburg, dem es gelungen war, das für die Hamburg-Wahl am 24. Februar 2008 geplante Digitale-Wahlstift-System zu manipulieren. Hamburg hat als Reaktion darauf von einer Nutzung der Wahlstifte abgesehen. Die SPD war aufgrund des fahrlässig niedrigen Sicherheitsniveaus nicht bereit, den Wahlstift länger mitzutragen. Ich hoffe, dass sich die Bundestagsfraktion der SPD dieser Einsicht anschließen und auch deshalb unserem Antrag ihre Zustimmung geben wird. 60
Florida, das von massiven Wahlmanipulationen mit Wahlcomputern erschüttert wurde, kehrte schon vor einiger Zeit zur Stimmzettelwahl zurück. Die Anschaffung der Wahlcomputer hatte Millionen verschlungen. Aber für die Verantwortlichen war der Weg auf den Schrottplatz für die schicken, hochmodernen Wahlcomputer das kleinere Übel. (C) 61
Die niederländische Regierung hat ebenfalls die dort flächendeckend eingesetzten NEDAP-Wahlcomputer aufgrund ihrer nachgewiesenen Manipulierbarkeit aus dem Verkehr gezogen. Und was macht die Bundesregierung? Das Innenministerium erteilt von all dem völlig ungerührt neue Bauartzulassungen für NEDAP-Wahlcomputer und suggeriert, dass jetzt alle Sicherheitslücken geschlossen seien. Das ist hanebüchen! Die Zulassung eines Gerätes zur Wahl wird nach § 35 BWahlG und anderen Vorschriften im Wesentlichen erteilt, wenn die Physikalisch-Technische-Bundesanstalt im Auftrag des Innenministeriums bei der Prüfung eines einzigen Geräts einer Bauart keine Mängel feststellt. Im Gegensatz zu einer Wahl mit Zettel und Urne wird einfachen Bürgerinnen und Bürgern eine Prüfung der Wahlcomputer verwehrt und deren interne Funktionsweise geheimgehalten. Ein einzelnes Gerät kann von einer Gemeinde eingesetzt werden, wenn der Hersteller versichert, dass es baugleich zu einem geprüften Gerät ist. Eine Kontrolle, ob dies der Fall ist oder ob das Gerät möglicherweise bis zu seinem Einsatz von Dritten manipuliert wurde, ist nicht vorgesehen, ist weder für Wahlvorstand, noch für Wählerinnen und Wähler sowie Wahlbeobachterinnen und Wahlbeobachter möglich. Die einzige Kontrolle der Geräte findet nach § 35 BWahlG durch das Innenministerium und den Hersteller statt. Dies ist im Gegensatz zur Kontrolle durch jederman bei Wahl mit Wahlzettel und Urne nicht akzeptabel. 62
Das Prinzip der öffentlichen Kontrolle ist nicht delegierbar, schon gar nicht an das Innenministerium oder den Hersteller der Wahlgeräte. Die demokratische und öffentliche Kontrolle wird durch den Einsatz von Wahlcomputern wesentlich erschwert, wenn nicht gar unmöglich gemacht. (D) 63
An dieser Stelle möchte ich ausdrücklich dem Chaos-Computer-Club, der sich trotz aller Geheimniskrämerei bei der Aufdeckung der gravierenden Sicherheitsmängel ein großes Verdienst erworben hat, herzlich für seinen unermüdlichen Einsatz danken. 64
Unser Antrag, für den ich um Ihre Zustimmung werbe, fordert daher die Bundesregierung auf, durch Änderung des Bundeswahlgesetzes den Einsatz von Wahlcomputern und eine Internetwahl bei Wahlen zum Deutschen Bundestag und des Europäischen Parlaments ausdrücklich auszuschließen und die Bundeswahlgeräteverordnung entsprechend anzupassen. 65
[Plenarprotokoll 16/133, S. 14085] Wahlcomputer müssen in Deutschland verboten werden, bevor wir auch hier Zustände wie in den USA bekommen. Die hier verwendeten NEDAP-Computer sind mindestens genauso unsicher und manipulierbar wie die aus den Wahlskandalen in den USA bekannten Systeme. Es liegt in unser aller Interesse, dass Wahlmanipulationen wirksam verhindert werden. (A) 66
Silke Stokar von Neuforn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Lassen Sie mich in aller Kürze etwas zu den uns hier vorliegenden drei Gesetzentwürfen und dem Antrag der Linken sagen. 67
Beginnen möchte ich mit dem Antrag der Linken, in dem sie die Abschaffung der Wahlcomputer fordert. Es wird Sie nicht verwundern, dass ich für diesen Antrag große Sympathien hege. Gerade die Union wird mich hier verstehen. Wenn es um Wahlen geht, bin ich konservativ und will Bewährtes bewahren. Ich greife lieber zum Bleistift und mache damit bei der Wahl mein Kreuz. Ich brauche dafür keinen elektronischen Stift und keinen Computer. Nur so kann ich genau kontrollieren, ob ich auch wirklich mein Kreuz an der richtigen Stelle gemacht habe, und bei der anschließenden Auszählung kann ich live dabei sein. Ein transparenteres Verfahren kann ich mir nicht vorstellen. 68
Wir sollten nicht die gleichen Fehler wie die Niederlande machen. Dort wurden Computer flächendeckend eingesetzt, doch der Chaos-Computer-Club überzeugte die Regierung von den erheblichen Risiken, sodass jetzt wieder auf Papier und Bleistift zurückgegriffen wird. Auch hierzulande warnt der CCC vor den Risiken der Geräte der Firma Nedap, die fast baugleich sind mit den Geräten in den Niederlanden. Der Bundesinnenminister geht hier ohne Not ein Sicherheitsrisiko ein. Wir wollen über Politikinhalte diskutieren und nicht darüber, ob die Wahlergebnisse womöglich manipuliert worden sind. Vielleicht wird es eines Tages sichere Verfahren bei der elektronischen Wahl geben. Solange es berechtigte Zweifel gibt, darf es weder Wahlstifte noch Wahlcomputer geben. Wir stimmen hier dem Antrag der Linksfraktion zu. (B) 69
Kommen wir nun zu den uns vorliegenden Gesetzentwürfen. Die Neueinteilung der Wahlkreise ist erforderlich. Zuletzt haben wir in der letzten Legislatur eine der Bevölkerungsentwicklung in den einzelnen Regionen unseres Landes entsprechende behutsame Anpassung der Wahlkreise vorgenommen. Auch in dieser Legislaturperiode macht die Wahlkommission entsprechende Vorschläge, die in diesen Entwurf eingeflossen sind. Ich gehe davon aus, dass die Große Koalition erneut alle Fraktionen einlädt und wir uns bemühen, zu einer sachlich begründeten, gemeinsamen Anpassung der Wahlkreisgrenzen zu kommen. 70
Der mit dem zweiten uns vorliegenden Gesetzentwurf angestrebten Umstellung auf ein neues Berechnungsverfahren für die Sitzverteilung und Verteilung der Wahlkreise auf die Länder stehen wir offen gegenüber. Für die Verteilung der Ausschusssitze im Bundestag wird es ja bereits angewendet und auch in den Bundesländern erfreut es sich immer größerer Beliebtheit. Sollten die beim Hare-Niemeyer-Verfahren auftretenden Paradoxe beim St. Laguë/Schepers-Verfahren tatsächlich nicht vorkommen und damit dem Prinzip der Gleichheit der Wahl besser Rechnung getragen werden, werden wir uns dem nicht verschließen. Auch ein zeitlich unbeschränktes aktives Wahlrecht für im Ausland lebende Deutsche oder die Vereinfachung der Briefwahl tragen wir mit. 71
Lassen Sie mich zum letzten Entwurf kommen. Es ist richtig, das Wahlprüfungsgesetz der jahrzehntelangen Praxis des Wahlprüfungsausschusses anzupassen. Das Gesetz sieht zwar bisher vor, in jeder Anfechtungssache mündliche Verhandlung anzuberaumen. Doch seit 34 Jahren ist keine solche mündliche Verhandlung mehr angesetzt worden. Diese Praxis wird gegenüber den Einspruchsführern überwiegend damit begründet, der Einspruch sei offensichtlich unbegründet. Die Durchführung einer mündlichen Anhörung mit dieser Begründung abzulehnen ist zwar im Gesetz ausdrücklich vorgesehen. Doch häufig trifft die Bewertung des Einspruchs als „offensichtlich unbegründet“ bei den Einspruchsführern auf großes Unverständnis. Um auf diese Begründung gegenüber den Einspruchsführern künftig verzichten zu können, ist zu begrüßen, wenn aus dem bisherigen Regelfall einer mündlichen Verhandlung künftig der Ausnahmefall wird. (C) 72
Allerdings sollte es von diesem Grundsatz zwei Ausnahmen geben. Erstens sollte eine mündliche Verhandlung ausnahmsweise anberaumt werden, wenn der Einspruch Fragen von grundsätzlicher Bedeutung aufwirft. In der bisherigen Begründung des Gesetzentwurfs (II. zu Art. 1 Nr. 2) ist diese Ausnahme schon ausdrücklich genannt. Folglich ist es zur Klarstellung angebracht, diese Ausnahme auch in den Gesetzestext aufzunehmen. Zweitens sollte dies der Fall sein, wenn ein Einspruch in der Öffentlichkeit großes Interesse gefunden hat und breit diskutiert wurde. Für diesen Vorschlag wollen wir im parlamentarischen Verfahren werben. (D) 73
Für die Einspruchsführer und auch für die Öffentlichkeit ist häufig schwer nachzuvollziehen, wenn in einer wichtigen Streitfrage zur Gültigkeit der Wahl von angesehenen Experten gewichtige Argumente für die unterschiedlichen Auffassungen öffentlich vorgebracht und monatelang diskutiert werden, dass dann aber der Wahlprüfungsausschuss des Deutschen Bundestages quasi in eigener Sache den Einspruch trotzdem ohne öffentliche Verhandlung abhandelt und verwirft. Demgegenüber könnte eine öffentliche Verhandlung solcher Einsprüche die Akzeptanz und öffentliche Vermittlung der Wahlprüfungsentscheidungen verbessern. 74
Lassen Sie uns diese Fragen in der gewohnten Sachlichkeit im Ausschuss offen diskutieren. 75
Gert Winkelmeier (fraktionslos): In Art. 20 des Grundgesetzes lesen wir: 76
Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Sie wird vom Volke in freien und geheimen Wahlen und Abstimmungen … ausgeübt.
77
Um diese Wahlen geht es heute; und zwar unter Ausschluss des eigentlichen Souveräns. 78
[Plenarprotokoll 16/133, S. 14086] Nun könnte man argumentieren, die drei hier vorgelegten Gesetzentwürfe befassten sich mit Kleinigkeiten oder Spitzfindigkeiten, die den Wähler nicht interessieren. Nur geben die Volksvertreter dem Volk nicht einmal die Chance, der Debatte beizuwohnen, da sie ausschließlich in den Anlagen zum stenografischen Protokoll dieses Sitzungstages stattfindet. (A) 79
Dabei wäre eine breitangelegte Diskussion zu Wahlen und zur Beteiligung des Volkes an politischen Entscheidungen angebracht. Aber die Regierung und die Koalitionsfraktionen gehen einer solchen Auseinandersetzung bewusst aus dem Weg, indem sie die heute am Donnerstag zu debattierenden Gesetze in einer Nacht- und Nebelaktion von Dienstag auf Mittwoch den Abgeordneten haben zukommen lassen, und das nur, weil sich SPD und Union nicht auf eine Regelung zu den Überhangmandaten einigen konnten. 80
Wie soll man denn da noch kritisch prüfen, was einem auf den Tisch gelegt wurde? Wenn nicht einmal die Vertreterinnen und Vertreter des eigentlichen Souveräns die Gelegenheit erhalten, sich mit den geplanten Änderungen auseinanderzusetzen, kann man auch nicht wirklich erwarten, dass sich die Menschen hier im Lande mit dem Gegenstand befassen. Dabei geht es sie etwas an, wenn sich ihre derzeit einzige Möglichkeit, politisch zu entscheiden, ändern soll. Es wäre auch kein Zacken aus der Krone gebrochen, wenn die Debatte ins kommende Jahr verschoben worden wäre. 81
Die Änderungen im Wahlprüfungsgesetz lassen sich abhaken; aber wir brauchen eine breitangelegte Diskussion über den veränderten Zuschnitt der Wahlkreise: Es deutet sich doch an, dass im Laufe der Jahre – wenn weiterhin viele Menschen aus den ländlichen Gebieten, vor allem im Osten, abwandern – diesen Landstrichen auch weniger Wahlkreise, sprich: Abgeordnete, zustehen. Das läuft darauf hinaus, dass deren Interessen hier im Bundestag immer weniger vertreten werden können. Das kann man nicht einfach so hinnehmen. (B) 82
Im Bundeswahlgesetz fehlt außerdem eine konkrete Regelung, um Wahlmanipulationen zu verhindern und die Kontrolle von Wahlergebnissen geräteunabhängig sicherzustellen, wie im Antrag der Linksfraktion gefordert. Hier muss dringend nachgebessert werden. 83
Auch die Änderungen im Wahl- und Abgeordnetengesetz sind an der einen oder anderen Stelle problematisch und müssen öffentlich diskutiert werden. Ich nenne hier nur die rückwirkende Entfristung beim Wahlrecht für im Ausland lebende Deutsche – bisher war nach 25 Jahren Schluss. Sie könnte dazu führen, dass ein NS-Kriegsverbrecher, der nach Südamerika abgehauen ist, jetzt wieder in unserem Land wählen darf. 84
In diesem Zusammenhang müssen wir zudem darüber streiten, weshalb Menschen, die seit Jahrzehnten in Deutschland leben, weiterhin keine Möglichkeit erhalten sollen, hier auch zu wählen. Teilhabe an demokratischen Prozessen und politischen Entscheidungen muss auch für diese Menschen gewährleistet sein! 85

 


eingetragen von Matthias Cantow