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01.01.2013
Das Jahr 2012 hätte ursprünglich ein Jahr ohne Wahlen auf Bundes- und Landesebene sein sollen. Denn unter Berücksichtigung ordentlicher Wahltermine stand eigentlich keine Wahl an. Vor allem das erste Halbjahr 2012 hatten dann aber doch so einiges zu bieten, insbesondere drei vorgezogene Landtagswahlen im Saarland, in Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen. Dazu wurde der Gesetzgeber auf Trab gehalten durch mehrere Wahlrechtsentscheidungen des Bundesverfassungsgerichts, vor allem durch die von Wahlrecht.de mitinitiierte Bürgerklage gegen Überhangmandate und negatives Stimmgewicht (NSG). Das hielt den Gesetzgeber aber nicht davon ab, den Rechtsschutz in Wahlangelegenheiten zu verbessern. Wie unser Ausblick zeigt, verspricht auch das Jahr 2013 interessante Wahlen und Wahlrechtsthemen.
Nachdem der Bundestag im Jahr 2011 das Bundeswahlgesetz in fast jeder Hinsicht noch einmal verschlechtert hatte und sich das Inkrafttreten bis Dezember 2011 verzögerte, lagen nur wenige Tage danach drei Klagen auf dem Tisch der Verfassungsrichter in Karlsruhe. Eine Normenkontrollklage der Bundestagsfraktionen von SPD und Grünen, ein Organstreitverfahren der Partei Bündnis 90/Die Grünen und eine Verfassungsbeschwerde von mehreren Tausend Bürgern, gemeinsam initiiert von Mehr Demokratie e. V. und Wahlrecht.de. Nachdem die Vertreter von Bundestag und Bundesregierung noch einmal Stellungnahmen abgeben durften und die Kläger darauf regieren konnten, wurde für den 5. Juni 2012 eine mündliche Verhandlung angesetzt. Mit dem Urteil vom 25. Juli 2012 wurden die bemängelten Regelungen gekippt und das Bundeswahlgesetz ist seitdem unanwendbar. An dieser Stelle einen großen Dank allen Unterstützern – Ihr alle habt gewonnen!
Nun liegt der Ball wieder bei der Politik. Schnell wurde bei den interfraktionellen Beratungen klar, dass Modelle mit einer spürbaren partei-internen Verrechnung von Überhangmandaten angesichts der Ablehnung durch die mutmaßlich betroffenen Landesgruppen von CDU/CSU und SPD keine Chance haben, im Bundestag eine Mehrheit zu finden. An eine Wahlkreisreform war angesichts des Umstands, dass die Kandidatenaufstellung in den Wahlkreisen längst begonnen hatte, ebenfalls nicht mehr zu denken. Nach zaghaften Versuchen seitens des Verhandlungsführers der Union, ein Wahlsystem zu kreieren, das möglichst dicht an die vom Bundesverfassungsgericht für tolerabel erklärte Grenze von 15 unausgeglichenen Überhangmandaten geht, verständigten sich die Parteien dann doch auf eine vollständige Ausgleichslösung. Letztlich bedeutet der Kompromiss im Wesentlichen eine Einigung auf den ursprünglichen Vorschlag der SPD-Fraktion, in dem NSG-ähnliche Effekte ohnehin nur noch im Rahmen der unvermeidlichen Rundungsabweichungen aufträten – allerdings ergänzt um eine kuriose Pseudo-Sitzverteilung, die lediglich der Bestimmung der Hausgröße des Bundestags dient und das Vorkommen von negativem Stimmgewicht verhindern soll. Unausgeglichenen Überhang wird es 2013 jedenfalls nicht mehr geben, so dass systematisches Stimmensplitting oder gar wahlstrategische Spaltungsüberlegungen von Parteien, über die wir am 1. April „berichten“ konnten, nicht mehr erforderlich sind.
Am 14. Dezember 2012 wurden zwei Gesetzentwürfe vom Bundestag in erster Lesung behandelt: der erwähnte gemeinsame Entwurf der Fraktionen CDU/CSU, SPD, FDP und Bündnis 90/DIE GRÜNEN sowie ein Gegenentwurf der Fraktion DIE LINKE, der eine vollständige partei-interne Verrechnung von Überhangmandaten mit Listensitzen der nicht-überhängenden Landesverbände vorsieht und erst bei externen Überhangmandaten auf Ausgleichsmandate ausweicht.
Am 17. Februar trat Bundespräsident Christian Wulff, der gerade eineinhalb Jahre im Amt war, zurück. Die Neuwahl des Bundespräsidenten fand am 18. März 2012 statt. Bereits im ersten Wahlgang wurde Joachim Gauck zum Bundespräsident gewählt. Der traditionelle Wahltermin am sogenannten Verfassungstag, dem 23. Mai, mit anschließendem Amtsantritt am 1. Juli ist nun bis auf weiteres nicht mehr möglich.
In Duisburg gab es das erste, erfolgreich von Bürgern initiierte Abwahlverfahren gegen einen Oberbürgermeister in Nordrhein-Westfalen. Mit Abwahl und zwei Wahlgängen für die Neuwahl des Bürgermeisters durften die Duisburger zusätzlich zur Landtagswahl dreimal zur Wahlurne schreiten, bei der Stichwahl am 1. Juli haben dann auch nur noch 25,7 % der Wahlberechtigen von ihrem Wahlrecht Gebrauch gemacht.
Nachdem in Dortmund der Widerstand gegen eine Wiederholung der Kommunalwahl vom Bundesverwaltungsgericht abgewiesen wurde, fanden am 26. August 2012 Wiederholungswahlen für den Rat und die restlichen Bezirksvertretungen statt. Einen Teil der Wahlkosten mussten mit jeweils rund 30.000 EUR der ehemalige Oberbürgermeister und die ehemalige Stadtkämmerin übernehmen, weil sie nach Ansicht des Oberwaltungsgerichts eine amtliche Fehlinformation mit Auswirkung auf den Wahlausgang gegeben hatten. Zugelassen waren nur die Parteien, die schon bei der Wahl 2009 mit Wahlvorschlägen angetreten waren. Die Piratenpartei durfte daher nur zuschauen.
Bei einer Nachwahl in einem Wahlbezirk im nordrhein-westfälischen Marl konnten die Auswirkungen von dem negativen Stimmgewicht ähnlichen Effekten auf Wahlverhalten und Wahlergebnis beobachtet werden: Eine Partei verlor praktisch alle Stimmen, erhielt einen Sitz mehr, und zur Landtagswahl eine Woche später waren die Wähler alle wieder da.
Die Präsidentschaftswahl in den USA ergab eine klare Mehrheit für eine Wiederwahl Barack Obamas.
Auch neben der wichtigen Bürgerklage gab es einige interessante Wahlprüfungsentscheidungen:
Nur wenige Worte verlor das Bundesverfassungsgericht zur Wahlprüfungsbeschwerde der Freien Union. Deren Nichtzulassung zur Bundestagswahl war hoch umstritten und führte bei der Abstimmung im Bundeswahlausschuss am 6. August 2009 zu einem 4:4-Patt, das der Bundeswahlleiter mit seiner entscheidenden Stimme zu Ungunsten der Freien Union auflöste. Dessen ungeachtet stellte der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts mit Beschluss vom 31. Januar 2012 einstimmig lapidar fest, dass die bayerische Landesliste der Freien Union „nicht den gesetzlichen Anforderungen entsprach und der Landeswahlausschuss für den Freistaat Bayern die Landesliste deshalb zu Recht zurückgewiesen“ habe.
Mit Beschluss vom gleichen Tage gab das Gericht dem Gesetzgeber neue Hausaufgaben in Sachen Wahlkreiseinteilung auf: In Zukunft muss der Bundestag bei der Einteilung der Wahlkreise den Anteil der Minderjährigen an der Bevölkerung in den Blick nehmen. Bisher wird die Wahlkreiseinteilung auf Grundlage der Gesamtbevölkerung mit deutscher Staatsangehörigkeit vorgenommen. Weil minderjährige Deutsche aber gar nicht wahlberechtigt sind, muss der Gesetzgeber künftig sowohl bei der Verteilung der Wahlkreise auf die Ländern als auch bei der Wahlkreiseinteilung innerhalb der Ländern aufpassen, dass die Aufteilung nicht durch eine ungleiche Verteilung der minderjährigen Bevölkerung verzerrt wird.
Auch das Wahlrecht der Auslandsdeutschen muss reformiert werden. Nur den Auslandsdeutschen, die nie in der Bundesrepublik Deutschland gewohnt haben, das aktive Wahlrecht zu verweigern, ist nicht mehr statthaft. So hat es der Zweite Senat am 4. Juli entschieden und sich darin auch nicht von einem beeindruckenden Sondervotum der Richterin Lübbe-Wolff umstimmen lassen. Unmittelbare Folge der Entscheidung ist allerdings, dass derzeit gar kein Auslandsdeutscher mehr das aktive Wahlrecht hat. Das mag angesichts eines ohnehin nicht anwendbaren Bundeswahlgesetzes verschmerzbar sein, allerdings dürfen Auslandsdeutsche somit auch bei den zurzeit zahlreich stattfindenden Aufstellungsversammlungen nicht aktiv teilnehmen.
Die Bundesregierung hat inzwischen zu den Prüfbitten Bericht erstattet, die der Bundestag auf Vorschlag des Wahlprüfungsausschusses beschlossen hatte. Zum Problem der Wahllokale in kameraüberwachten Räumen hält die Bundesregierung ein Verbot, solche Räume als Wahlraum zu verwenden, für nicht erforderlich. Die gegenwärtige Rechtslage garantiere schon in vollem Umfang die Einhaltung des Wahlgeheimnisses, allerdings „sollen die Gemeindebehörden vor der nächsten Wahl auf die gebotenen Maßnahmen in Wahlräumen mit Überwachungstechnik erneut hingewiesen werden“.
Die Piratenpartei hatte eine Verfassungsbeschwerde vor der Kommunalwahl in Dortmund erhoben, da sie bei der Wiederholungswahl im August nicht teilnehmen durfte. Zur Wahl 2009 hatten die Piraten noch keine eigenen Wahlvorschläge. Das Bundesverfassungsgericht hat die Beschwerde nicht angenommen und im Beschluss vom 8. August 2012 auf die „Möglichkeit, den Beschluss des Landeswahlausschusses nach der Wahl in einem Wahlprüfungsverfahren gerichtlich überprüfen zu lassen“, verwiesen. Auf diese Möglichkeit haben die Piraten allerdings verzichtet. Zur Wiederholungswahl in Dortmund gab es erstaunlicherweise überhaupt keine Einsprüche.
Zwei Landesverfassungsgerichte hatten sich mit Klagen gegen die Wahlkreiseinteilung bei Landtagswahlen zu befassen. In beiden Fällen blieben die Kläger erfolglos: Der baden-württembergische Staatsgerichtshof erklärte am 22. Mai den Neuzuschnitt der Wahlkreise Schwäbisch-Gmünd und Aalen für rechtmäßig, der Bayerische Verfassungsgerichtshof gab am 4. Oktober der neuen Stimmkreiseinteilung in Oberfranken und Oberpfalz, insbesondere dem Stimmkreis Wunsiedel-Kulmbach, seinen Segen.
Nachdem im Vorfeld der Bundestagswahl 2009 offenkundig wurde, dass der Rechtsschutz in Wahlsachen große Defizite aufweist, hat sich der Bundestag auf Initiative von CDU/CSU, SPD, FDP und Grünen zu vier konkreten Verbesserungen aufgerafft:
Um das Wahlrecht von im Ausland lebenden Deutschen wieder auf eine verfassungsmäßige Grundlage zu stellen, haben alle Bundestagsfraktionen – diesmal einschließlich der Linken – einen gemeinsamen Entwurf vorgelegt, der das Wahlrecht für Auslandsdeutsche gegenüber der bisher geltenden Regelung teilweise einschränkt, teilweise aber auch erweitert. Kein Wahlrecht mehr haben künftig Auslandsdeutsche, wenn sie zwar drei Monate ununterbrochen in Deutschland gelebt haben, dies aber schon über 25 Jahre her ist oder sie zu jener Zeit noch nicht mindestens 14 Jahre alt waren. Hingegen sollen künftig auch Auslandsdeutsche unabhängig davon, ob sie früher einmal in Deutschland gelebt haben, wahlberechtigt sein, „sofern sie aus anderen Gründen persönlich und unmittelbar Vertrautheit mit den politischen Verhältnissen in der Bundesrepublik Deutschland erworben haben und von ihnen betroffen sind.“
Auch in Hessen streitet man noch um den Wahltermin. Die rot-grüne Opposition befürchtet, dass die Landesregierung erst Anfang Januar 2014 wählen lassen möchte, und fordert unter Berufung auf ein Rechtsgutachten einen Wahltermin im November. In Hessen fehlt übrigens nicht nur ein Wahltermin, sondern auch ein Landeswahlleiter. Die Stelle ist seit dem Ausscheiden des langjährigen Amtsinhabers Wolfgang Hannappel am 1. Juli 2011 verwaist. Die geplante Berufung von Wilhelm Kanther, Sohn des früheren Bundesinnenministers Manfred Kanther, ist vom Verwaltungsgericht Wiesbaden vorläufig gestoppt worden.
Auch wenn wir die interfraktionelle Einigung nicht für die ideale Lösung halten, haben wir keine durchgreifenden verfassungsrechtlichen Bedenken gegen die vorliegende Ausgleichsmandatsregelung, gegen die wir daher kein erneutes Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht anstrengen werden. Allerdings haben auch diesmal wieder alle Wahlberechtigten, die einen Wahlrechtsgrundsatz verletzt sehen, die Möglichkeit, direkt Verfassungsbeschwerde gegen die Gesetzesänderung erheben. Möglicherweise wird sich das Bundesverfassungsgericht daher noch vor der Bundestagswahl zum neuen Wahlrecht äußern. Im späteren Verlauf der Wahlperiode könnten sich zudem noch Wahlprüfungsbeschwerden von Kandidaten ergeben, die aufgrund der problematischen Nachrücker-Regelung nicht zum Zuge gekommen sind.
Von den beim Bundesverfassungsgericht erhobenen Wahlprüfungsbeschwerden sind die Verfahren zur Prüfung der Bundestagswahl 2009 alle abgeschlossen. Offen ist dagegen noch ein Einspruch gegen die Briefwahl bei der Europawahl 2009 (2 BvC 7/10). Hier ist möglicherweise eine interessante Auseinandersetzung des Bundesverfassungsgerichts mit den verschiedenen Sicherheitsproblemen bei der Briefwahl zu erwarten. Der Beschwerdeführer kritisiert in seiner Beschwerdeschrift die in den letzten Jahrzehnten erfolgte schrittweise Abschaffung von Absicherungen und Beschränkungen der Briefwahl. Das Bundesverfassungsgericht hatte den Staatsorganen und Parteien Gelegenheit zur Stellungnahme bis zum 19. März 2012 gegeben, wovon die Angeschriebenen aber keinen Gebrauch gemacht haben. Statt dessen hat der Beschwerdeführer dem Gericht zur Demonstration der Fälschungsanfälligkeit der Briefwahl im April einhundert selbst gefertigte Briefwahlunterlagen für einen Bürgerentscheid in seiner Heimatgemeinde geschickt.
Nachdem – mit Ausnahme der Stadtbürgerschaft Bremen – alle kommunalen Fünfprozenthürden gefallen sind, gibt es noch in Berlin und Hamburg Dreiprozenthürden bei den Wahlen zu den Bezirks(verordneten)versammlungen. Im Rahmen von Prüfungsverfahren der letzten Wahlen im Jahr 2011 (VerfGH 155/11 bzw. HVerfG 2/11) sind inzwischen die Verfassungsgerichte der beiden Stadtstaaten damit befasst. In Hamburg steht bereits der 15. Januar 2013 als Verkündungstermin fest – dem Verlauf der mündlichen Verhandlung am 9. November 2012 nach hat die Wahlprüfungsbeschwerde durchaus Aussicht auf Erfolg. In Berlin findet die mündlichen Verhandlung voraussichtlich im Februar statt.
In Schleswig-Holstein wird sich das Landesverfassungsgericht im Verfahren einer Wahlprüfungsbeschwerde mit der Frage der Verfassungsmäßigkeit der Befreiung des SSW, der Partei der dänischen Minderheit, von der Fünfprozentklausel befassen.
In Sachsen bahnt sich ein Streit über den Neuzuschnitt der Wahlkreise zur Landtagswahl 2014 an. Die Landesregierung hat einen Entwurf vorgelegt, der in einigen Punkten von den Empfehlungen der Wahlkreiskommission abweicht. Möglicherweise wird die Angelegenheit von der Opposition vor das Landesverfassungsgericht gebracht.
Nach der ersten Lesung im Dezember 2012 findet am 14. Januar im Innenausschuss eine Anhörung von Sachverständigen statt, u. a. mit Martin Fehndrich von Wahlrecht.de. Mit einem anwendbaren Bundeswahlgesetz kann im Frühjahr gerechnet werden.
Die Mehrheit der Fraktionen unterstützt dabei den Ansatz Überhangmandate in ähnlicher Größe bestehen zu lassen und dann den anderen Parteien Ausgleichsmandate zuzuteilen. Der nächste Bundestag wird damit die Sollgröße von 598 Sitzen mehr oder weniger überschreiten.
Beim Wahlrecht für Auslandsdeutsche hat das Bundesverfassungsgericht dem Bundestag eine überaus knifflige Aufgabe aufgetragen, bei der er eventuell noch nachbessern muss. Die vorgesehene Formulierung zur Vertraut- und Betroffenheit mit den politischen Verhältnissen in Deutschland (siehe oben) würde den Wahlbehörden einen weiten Ermessensspielraum eröffnen, der weder praktikabel noch verfassungsrechtlich hinnehmbar erscheint. Zudem lässt sich die bisherige Regelung, wonach man als Auslandsdeutscher in seiner (letzten) früheren deutschen Heimatgemeinde wahlberechtigt ist, schwerlich auf die nun wahlberechtigten Auslandsdeutschen übertragen, die nie in Deutschland gelebt haben. Laut Gesetzesbegründung „kommt als Anknüpfungspunkt die letzte Heimatgemeinde seiner Vorfahren in gerader Linie im heutigen Bundesgebiet in Betracht, bei mehreren der des jüngeren Fortzuges.“ Vor einer konsequenteren Umsetzung eines speziellen Wahlrechts für Auslandsdeutsche – etwa in Form eines reinen Zweitstimmenwahlrechts ohne Zuordnung zu einem bestimmtem Wahlkreis/Bundesland oder die Einrichtung eines Extra-Wahlkreises für Auslandsdeutsche – schrecken die Fraktionen noch zurück, weil diese Alternativen schwerwiegende Folgeprobleme aufwerfen.
Noch nicht so recht abfinden mögen sich die „Volksparteien“ mit der Abschaffung der Fünfprozenthürde bei Europawahlen. Der CDU-Parteitag beschloss am Anfang Dezember, für die Europawahlen 2014 eine Dreiprozentsperrklausel zu fordern. Auch mehrere Landesparteitage der SPD haben sich für eine Dreiprozenthürde ausgesprochen. Die CSU hingegen präferiert laut einem Parteitagsbeschluss im Oktober die Einführung von Wahlkreisen und die Umstellung des Situzuteilungsverfahrens auf d’Hondt. Lediglich hilfsweise möchte die CSU eine Dreiprozentsperrklausel erwägen. Da die FDP an alledem aber kein Interesse haben kann, erscheint es fraglich, ob Union und SPD vor der Bundestagswahl ihre Vorstellungen durchsetzen werden können. Verfassungsrechtliche Munition für ein erneutes Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht soll jedoch anscheinend die Entschließung des Europäischen Parlaments vom 22. November 2012 liefern, in der die Ansicht vertreten wird, „angesichts des sich ändernden Verhältnisses zwischen Parlament und Kommission“ würden „ab den Wahlen 2014 verlässliche Mehrheiten im Parlament für die Stabilität der Legislativverfahren der Union und das reibungslose Funktionieren ihrer Exekutive von entscheidender Bedeutung sein“.
In Hamburg haben zwei Anträge von Oppositionsfraktionen gute Chancen, die nötige Zweidrittelmehrheit in der Bürgerschaft zu erreichen. Der Vorschlag der CDU, die Wahlperiode von vier auf fünf Jahre zu verlängern, stößt auch bei SPD und Grünen auf Zustimmung. Der grüne Gesetzentwurf, der die Absenkung des Wahlalters auf 16 Jahre vorsieht, dürfte hingegen mit der Unterstützung von SPD und Linke und eventuell auch mit den Stimmen einzelner FDP-Abgeordneter verabschiedet werden.
Die Bürgermeister, die im kommenden Jahr in Nordrhein-Westfalen gewählt werden, kommen womöglich auf eine besonders lange Amtszeit, nämlich bis Mitte 2020 (so in Kall und Wetter). Das wäre eine Folge des Vorhabens, Rats- und Bürgermeisterwahlen wieder an einem Termin stattfinden zu lassen. Zu diesem Zwecke soll auch die Amtszeit der im Jahr 2014 zu wählenden Räte einmalig auf sechs Jahre verlängert werden. Die gerade erreichte Zusammenlegung von Kommunalwahlen und Europawahl wäre in Nordrhein-Westfalen dann wieder passé.
In Baden-Württemberg plant die grün-rote Landesregierung eine umfassende Reform des Kommunalwahlrechts. Ein entsprechender Gesetzentwurf der Landesregierung befindet sich derzeit im Anhörungsverfahren und soll im neuen Jahr in den Landtag eingebracht werden. Er sieht unter anderem vor, das Wahlalter auf 16 Jahre abzusenken, und das Sitzzuteilungsverfahren von d’Hondt auf Sainte-Laguë umzustellen. Eine verbindliche Frauenquote bei der Aufstellung, wie sie die Grünen ursprünglich gefordert haben, wird es nicht geben. Statt dessen einigten sich Grüne und SPD auf eine unverbindliche Soll-Regelung, die keinen Einfluss auf die Zulassung eines Wahlvorschlags hat. Noch weiter gehende Reformschritte fordert Mehr Demokratie e. V., insbesondere die Einführung der integrierten Stichwahl bei Bürgermeister- und Landratswahlen.
Die rot-grüne Landesregierung würde in Rheinland-Pfalz gerne das Wahlalter für Kommunal- und Landtagswahlen auf 16 Jahre reduzieren. Für die dazu erforderliche Verfassungsänderung – in Rheinland-Pfalz ist sogar für Kommunalwahlen das Wahlter in der Verfassung auf 18 Jahre festgelegt – benötigt sie jedoch eine Zweidrittelmehrheit im Landtag, die dank der ablehnenden Haltung der CDU nicht in Sicht ist. Außerdem in der Diskussion: die Einführung einer Frauenquote bei der Kandidatenaufstellung, das aktive und passive Ausländerwahlrecht sowie die Umstellung von Hare/Niemeyer auf Sainte-Laguë.
Wir bedanken uns herzlich für das anhaltend hohe Interesse an Wahlrecht.de! Wie immer gilt ein besonders Dankeschön allen Lesern, die uns auf interessante Meldungen, Fakten oder auch Fehler und neue Wahlumfragen hinwiesen oder uns fehlende Umfragewerte aus lokalen Zeitungen zusandten, sowie den Mitarbeitern von Umfrageinstituten, Medien, Behörden und Parteien, die uns wieder bei fehlenden Zahlen und Informationen halfen.
Wie Sie vielleicht bei Lektüre unseres Jahresrückblicks bemerkt haben, gab es im abgelaufenen einige wichtige Themen, die von uns lediglich mit einer kurzen Notiz bei facebook, Twitter und G o o g l e + gewürdigt wurden. Leider konnten wir uns im Rahmen dieses Freizeitprojekts vielen Sachen nicht so intensiv widmen, wie wir es uns gewünscht hätten. Wir hoffen, dass uns dies im kommenden Jahr wieder etwas besser gelingen wird.