Nachrichten

[Aktuelle Meldungen]

09.02.2008

Sainte-Laguë bei Bundestags- und Europawahlen

Bundestag ändert Wahlgesetze – Teil 1

Der Deutsche Bundestag hat bei Bundestags- und Europawahlen das Quotenverfahren mit Restausgleich nach größten Bruchteilen (Hare/Niemeyer) durch das Divisorverfahren mit Standardrundung (Sainte-Laguë) ersetzt – und zwar jeweils bei der Oberverteilung und der Unterverteilung. Ebenso wird bei der Verteilung der Bundestagswahlkreise auf die Länder nun erstmals mit dem Divisorverfahren mit Standardrundung ein Verfahren explizit vorgeschrieben. Dies ergibt sich aus den Gesetzen von CDU/CSU und SPD zu Änderungen im Wahl- und Abgeordnetenrecht (BT-Drs. 16/7461).

Hervorzuheben ist die durchaus gelungene Formulierung des entsprechenden Paragraphen, die den Gesetzesschreibern in den Bundesländern als Vorbild dienen kann. In § 6 Abs. 2 Bundeswahlgesetz (BWahlG) sollen die Sätze 2 bis 5 wie folgt gefasst werden:

Jede Landesliste erhält so viele Sitze, wie sich nach Teilung der Summe ihrer im Wahlgebiet erhaltenen Zweitstimmen durch einen Zuteilungsdivisor ergeben. Zahlenbruchteile unter 0,5 werden auf die darunter liegende ganze Zahl abgerundet, solche über 0,5 werden auf die darüber liegende ganze Zahl aufgerundet. Zahlenbruchteile, die gleich 0,5 sind, werden so aufgerundet oder abgerundet, dass die Gesamtzahl der zu vergebenden Sitze eingehalten wird; ergeben sich dabei mehrere mögliche Sitzzuteilungen, so entscheidet das vom Bundeswahlleiter zu ziehende Los. Der Zuteilungsdivisor ist so zu bestimmen, dass insgesamt so viele Sitze auf die Landeslisten entfallen, wie Sitze zu vergeben sind. Dazu wird zunächst die Gesamtzahl der Zweitstimmen aller zu berücksichtigenden Landeslisten durch die Gesamtzahl der nach Absatz 1 Satz 3 verbleibenden Sitze geteilt. Entfallen danach mehr Sitze auf die Landeslisten als Sitze zu vergeben sind, ist der Zuteilungsdivisor so heraufzusetzen, dass ich bei der Berechnung die zu vergebende Sitzzahl ergibt. Entfallen zu wenig Sitze auf die Landeslisten, ist der Zuteilungsdivisor entsprechend herunterzusetzen.

Geschichte: Der lange Weg zur Einführung des Divisorverfahrens mit Standardrundung

Schon vor 10 Jahren haben wir an den Bundestag die Forderung gerichtet, bei Europa- und Bundestagswahlen zum Divisorverfahren mit Standardrundung (Sainte-Laguë) zu wechseln. In gewisser Hinsicht erfolgreich war zu dieser Frage die danach erfolgte Prüfung der Bundestagswahl 1998 (WP 65/98, WP 86/98). In dieser kommt der Bundeswahlleiter in einer Stellungnahme zu dem Schluss, „da das Verfahren von St. Lague frei von den erwähnten Widersinnigkeiten sei [Alabama-Paradoxon, fehlende Konsistenz – Anm. durch den Verf.] und ebenso wie das Verfahren Hare-Niemeyer (im Gegensatz zum Verfahren von d’Hondt) unverzerrt, sei es nach seinem Erachten vorzuziehen.“

Der Wahlprüfungsausschuss (BT-Drs. 14/1560 – Beschlussempfehlung vom 9. September 1999) und in der Folge der Deutsche Bundestag bitten, die Bundesregierung zu prüfen, „ob die Wahlrechtsvorschriften dahin gehend zu ändern sind, daß das zur Verteilung der Sitze auf die Listenverbindungen und Landeslisten angewandte Berechnungsverfahren nach Hare/Niemeyer (§ 6 Abs. 2, § 7 Abs. 3 Bundeswahlgesetz) durch das Verfahren nach Sainte-Lague/Schepers ersetzt wird“.

Der Bericht des Bundesministeriums des Inneren (BMI) wurde im August 2002 an den Wahlprüfungsausschuss des Deutschen Bundestages übersandt, uns allerdings erst nach mehreren Bitten und Nachfragen im Juli 2004. Darin betrachtet das BMI Sainte-Laguë als vorzugswürdiges Verfahren für die Bundestagswahl.

Das Bundestagswahlrecht folgt damit dem Weg, den die Bundesländern Bremen, Hamburg, Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen schon beschritten haben, die das Divisorverfahren mit Standardrundung (z. T. mit Vorgriff auf Planungen zum Bundestagswahlrecht) inzwischen eingeführt haben.

Negatives Stimmgewicht

Das Auftreten des negativen Stimmgewichts wird auch durch das neue Gesetz nicht verhindert. Hier hat der Bundestag keine Lösung gefunden, oder finden wollen. Wir verweisen daher auf die noch offenen Punkte der Minimallösung, insb.Punkt 4.

Teil 2 – weitere Änderungen des Bundeswahlgesetzes – folgt ...

Meldungen


von Matthias Cantow und Martin Fehndrich (09.02.2008, letzte Aktualisierung am 09.02.2008)