Erfolg der Bürgerinitiative beim Volksentscheid für ein neues Wahlrecht in Hamburg
Parallel zur Europawahl haben die Hamburger über ein neues Bürgerschaftswahlrecht abgestimmt. Bei dem Volksentscheid
standen zwei Gesetzentwürfe zur Auswahl:
- der Gesetzentwurf des Volksbegehrens der Bürgerinitiative „Mehr Bürgerrechte – Ein neues Wahlrecht für
Hamburg“ und
- ein Gesetzentwurf der Bürgerschaft, der das Bundestagswahlrecht auf Hamburg übertragen wollte.
Nach dem vorläufigen Endergebnis stimmten für den Entwurf der Bürgerinitiative 66,5 % der
Wähler und mehr als die notwendigen 20 % der Wahlberechtigten, während der Bürgerschaftsentwurf nur von 54 % der
Wähler unterstützt wurde und zudem das Quorum nicht erreichte.
Die Kernpunkte des neuen Wahlrechts sind:
- die Einteilung des Wahlgebietes in 17 Mehrpersonenwahlkreise,
- die Kandidatur über offene Landeslisten und Wahlkreislisten,
- zehn Stimmen pro Wähler, fünf für einen Wahlkreiskandidaten (Wahlkreisstimmen), fünf für eine Landesliste
(Landeslistenstimmen) mit der Möglichkeit zu kumulieren und
panaschieren,
- das Divisorverfahren mit Standardrundung (Sainte-Laguë) und
- nur die Stimmen der Landesliste (Zweitstimmen) bestimmen den proportionalen Anteil der Sitze in der Bürgerschaft.
Damit hat Hamburg nun ein Landtagswahlrecht, bei dem die Wähler im Vergleich zu anderen Bundesländern den größten
Einfluß auf die Personalisierung eines Landesparlaments haben.
Auch eine kleinere Ungereimtheit im Hamburger Wahlrecht wurde beseitigt. Die 5 %-Hürde bezieht sich nun
– wie in fast allen deutschen Wahlgesetzen – allein auf die gültigen und nicht mehr auf die
abgegebenen Stimmen (siehe Meldung vom 23.09.2001).
Das neue Hamburger Wahlrecht wird in unserem Forum
kontrovers diskutiert.
Kommentar
In der Öffentlichkeit und den Medien scheint die Diskussion jedoch nicht so kontrovers geführt worden zu sein. Dabei
gibt es durchaus Kritikpunkte an dem neuen Gesetz:
- Bei einer Personenwahl auf zwei Ebenene ist für den Wähler unklar, wer auf welcher Ebene schon gewählt ist und wie
die beiden Ebenen ineinander greifen.
- Parteiunabhängige Wahlkreislisten (d. h. ohne Verbindung zu einer Landesliste) bzw. deren Wähler werden
gegenüber Listen, die einer Landesliste zugeordnen werden können, bevorzugt. So werden die Sitze solcher Wahlkreislisten
vom Kontingent der proportional zuzuteilenden Sitze abgezogen, während bei abhängigen Wahlkreislisten eine Verrechnung
mit der Landesliste stattfindet und für Überhangmandate noch zusätzliche Ausgleichsmandate zugeteilt werden. Auch werden
solche doppelt erfolgreichen Stimmen nicht analog dem Bundeswahlgesetz gestrichen.
Dies stellt einen Anreiz für die Kandidatur von Parallellisten mit politischer Nähe, aber ohne formalen Zusammenhang mit
einer Landesliste dar. Für zwei politische Gruppen, die auf dieselbe Wählergruppe zielen, macht es daher Sinn, jeweils
nur in den Wahlkreise bzw. als Landesliste zu kandidieren, da die angesprochenen Wähler dadurch ein doppeltes
Stimmgewicht erhalten.
- Die „risikolose“ Abgabemöglichkeit der Wahlkreisstimmen ermöglicht einen Einfluß auf die personelle
Zusammensetzung der gewählten Abgeordneten einer Partei, die man gar nicht mit den Landeslistenstimmen gewählt hat.
Und zwar im Gegensatz zum Bundestagswahlsystem durchaus mit guten Erfolgschancen. So können Außenseiter einer Partei,
die durch die Stimmen der Parteianhänger allein keine Chance hätten gewählt werden, durch die Erststimmen anderer Wähler
gewählt werden und zwar nicht als zusätzliche Gewählte, sondern durch Verdrängung anderer Kandidaten dieser Partei.
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