Gesetz vom 30.6.1900, betr. die Bildung der Wählerabteilungen bei den Gemeindewahlen.
(GS. S. 185.)
Wir Wilhelm von, Gottes Gnaden König von Preußen etc. verordnen mit Zustimmung
beider Häuser des Landtags Unserer Monarchie für den Umfang derselben mit Ausnahme
der Hohenzollerschen Landes, was folgt:
§ 1.
In den Gemeinden, in welchen die Bildung der
Wählerabteilungen für die Wahlen zur Gemeindevertretung nach dem Maßstabe direkter Steuern stattfinden,
werden die Wähler nach den von ihnen zu entrichtenden direkten Staats-, Gemeinde-, Kreis-, Bezirks- und
Provinzialsteuern in drei Abteilungen geteilt und zwar in der Art, daß auf jede Abteilung ein
Drittteil der Gesamtsumme der Steuerbeträge aller Wähler fällt.
Für jede nicht zur Staatseinkommensteuer veranlagte Person ist an dieser Steuer ein betrag von drei
Mark zum Ansatz zu bringen.
Steuern, die für Grundbesitz oder Gewerbebetrieb in anderer Gemeinde entrichtet werden,
sowie Steuern, die für die im Umherziehen betriebenen Gewerbe sind bei
Bildung der Abteilungen nicht anzurechnen.
Wo direkte Gemeindesteuern nicht erhoben werden, tritt an deren Stelle die vom Staat
ver anlagte Grund-, Gebäude- und Gewerbesteuer.
Personen, welche vom Staat zu einer Steuer nicht veranlagt sind, wählen stets in der dritten Abteilung.
Verringert sich infolge dessen die auf die erste und zweite Abteilung entfallende
Gesamtsteuersumme, so findet die Bildung dieser Abteilungen in der Art statt, daß
von der verbleibenden Summe auf die erste und zweite Abteilung je die Hälfte entfällt.
§ 2.
In denjenigen Gemeinden, die nach der jedesmaligen
ltzten Volkszählung mehr als 10000 Einwohner zählen, wird die nach §1 erfolgte
Drittelung derart verändert, daß jeder Wähler, dessen, Steuerbetrag den Durchschnitt
der auf den einzelnen Wähler treffenden Steuerbeträge übersteigt, stets der zweiten oder
ersten Abteilung zugewiesen wird. Im übrigenwählen Personen, welche vom Staate zu einer
Steuer nicht veranlagt sind, stets in der dritten Abteilung.
Bei Berechnung des durchschnittlichen Steuerbetrags sind die Wähler, welche zur
Staatseinkommensteuer nicht veranlagt sind, und, wo das Wahlrecht an einen Einkommensseteuersatz
von sechs Mark geknüpft ist, auch die zu diesem Satze veranlagten Wähler, sowie die Steuer,
mit welcher dieselben in die Wählerliste eingetragen sind, außer Betracht zu lassen.
Erhöht oder veringert sich infolge dessen die auf die erste oder zweite Abteilung
entfallenden Gesamtsteuersumme, so findet die Bildung dieser beiden Abteilungen in der
Art statt, daß von jener Summe auf die erste und zweite Abteilung je die Hälfte
entfällt. Eine höhere
Abteilung darf niemals mehr Wähler zählen, als eine niedere.
§ 3.
In den unter §2 fallenden Gemeinden kann durch Ortsstatut bestimmt werden
- daß bei der nach §2 erfolgenden Bildung der
Wählerabteilungen an Stelle des auf einen Wähler entfallenden durchschnittlichen
Steuerbetrags ein den Durchschnitt bis
zur Hälfte desselben übersteigender Betrag tritt,
- daß auf die erste Wählerabteilung 5/12, auf die zweite 4/12 und die dritte 3/12
der Gesamtsumme der in §1 bezeichneten Steuerbeträge aller Wähler fallen, eine
höhere Abteilung aber nicht mehr Wähler zählen darf als eine niedere.
§ 4.
Zur Beschlußfassung über die Einführung, Abänderung oder Aufhebung der Ortsstaute (§3)
bedarf es der Mehrheit von 2/3 der abstimmenden Gemeindevertreter.
Der Beschluß unterliegt der Bestätigung und zwar in Landgemeinden
durch den Kreisausschuß, in Stadtgemeinden durch den Bezirksausschuß.
Gegen die in erster Instanz ergehenden Beschlüsse dieser Behörden ist
die Beschwerde an den Provinzialrat zulässig. Auf die Beschwerde finden
in allen Fällen die §§122 und 123 des Gesetzes über die allgemeine
Landesverwaltung vom 30.7.1883 (GS. S. 195) Anwendung.
§ 5.
Der §5 des Gesetzes, betreffend Änderung des Wahlverfahrens, vom 29.6.1983
(GS. S. 103) wird aufgehoben. Die bestehenden gesetzlichen Vorschriften
über das Gemeindewahlrecht bleiben im übrigen unberührt; insbesondere gilt dies
von den Bestimmungen der Gemeindeverfassungsgesetze, nach denen
die Ausübung des Wahlrechts an die Entrichtung bestimmter Steuergesetze geknüpft
ist oder geknüpft werden kann, sowie von denen im §15Abs. 1 bezw. § 21 Abs. 1 der
Städte- bezw. Landgemeindeordnung für die Provinz Hessen-Nassau vom 4.81897
(GS. S. 254, 301) hinsichichtlich des Wahlrechts von juristischen Personen und
sofort getroffenen Bestimmungen.
§ 6.
I. Im Bereiche der Städteverordnung für die
östlichen Provinzen der Monarchie vom 30.5.1853 (GS. S. 261),
der Städteordnung für die Provinz Westfalen vom 19.3.1856 (BS. S. 237),
der Städteordnung für die Rheinprovinz vom 15.3.1856 (GS. S. 406),
der Städteordnung für die Provinz Hessen-Nassau vom 4.8.1897 (GS. S. 254)
und des Gemeindeverfasssunggesetzes für
die Stadt Frankfurt am Main vom 25.3.1867 (GS. S. 401)
ist der Magistrat (Bürgermeister) befugt, an Stelle
oder innerhalb der Wahlbezirke, in denen je eine bestimmte Anzahl
Stadtverordneter zu wählen ist, Bezirke zum Zwecke der Stimmabgabe
(Abstimmungsbezirke) zu bilden oder die Wähler in anderer Weise in Gruppen
zu teilen und für jeden Abstimmungsbezirk bezw. jede Gruppe einen eigenen
Wahlvorstand zu bestellen. Soweit er von dieser Befugnis
Gebrauch macht, hat er zugleich die für die Feststellung des
Gesamtergebnisses der Wahl sowie für das Verfahren bei notwendig
werdenden engeren Wahlen erforderlichen Anordnungen zu treffen.
II. Im Bereiche der unter I genannten Städteordnungen besteht der
Wahlvorstand in den einzelnen Wahl-, Abstimmungsbezirken oder Gruppen
aus dem Bürgermeister und aus zwei von der Stadtverordnetenversammlung
gewählten Beisitzern; für den Vorsitzenden werden von dem Bürgermeister
und für die Beisitzer
von der Stadtverordnetenversammlung je ein oder mehrere
Vertreter aus der zahl der stimmfähigen Bürger bestellt.
§ 7.
Dieses Gesetz tritt am 1. Januar 1901 in Kraft.
Urkundlich unter Unserer Höchsteigenhändigen Unterschrift und beigedrucktem
Königlichen Insiegel.
Gegeben Travemünde, den 30. Juni 1900.
(L. S.) W i l h e l m.
Fürst zu Hohenlohe. v. Miquel. v. Thielen. Frhr. v. Hammerstein. Schönfeldt.
Brefeld. Gr. v. Posadowsky. Gr. v. Bülow. v. Tripitz. Studt. Frhr. v. Rheinbaben.
von Martin Fehndrich