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Thierry Backes
Veröffentlicht am Freitag, 09. April 2004 - 22:55 Uhr:   

Hallo alle zusammen.

Suche gerade nach aktueller wissenschaftlicher Literatur zum folgendem Thema: "Beeinflussen Wahlprognosen die tatsächliche Wahlentscheidung?". Jede Literaturangabe ist eine gute Literaturangabe. Deswegen möchte ich mich auch gleich bedanken bei allen...

MfG

T.B.
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Ralf Arnemann
Veröffentlicht am Montag, 19. April 2004 - 11:58 Uhr:   

Aus meiner persönlichen Erfahrung würde ich sagen, daß Wahlprognosen sehr massiven Einfluß auf die Wahlentscheidung vieler Leute haben und schon sehr oft den Wahlausgang entscheidend beeinflußt haben.

Ich sehe aber kaum Möglichkeiten, das seriös nachzuweisen (vor allem zu messen). Es würde mich überraschen, wenn es dazu Literatur gäbe, die mehr ist als reine Spekulation.
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Sole
Veröffentlicht am Montag, 19. April 2004 - 12:30 Uhr:   

Naja, Noelles Last Minute Swing / Bandwaggon basiert ja darauf, dass die Leute eine Grundlage für ihre Sieger-Erwartung haben.

Ich denke, dass Umfragen einen Einfluss haben, halte aber das wie und wieviel für nicht steuerbar.

Sprich: Keiner weiß, wie er Umfragen veröffentlichen/zurückhalten oder gar manipulieren muss um einen bestimmten Wähler-Effekt zu erreichen.
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c07
Veröffentlicht am Montag, 19. April 2004 - 14:32 Uhr:   

Ralf:
> Ich sehe aber kaum Möglichkeiten, das seriös nachzuweisen (vor allem zu messen).

Wenn man Wähler (und möglichst auch Nichtwähler) nach ihren Motiven befragt, müsste sich schon ermitteln lassen, ob und wie taktische Erwägungen, Siegeserwartung oder Mitleidseffekt eine Rolle gespielt haben. Das sind ja die Bereiche, auf die Prognosen einen Einfluss haben könnten.

Daneben bringen sie allerdings auch ganz allgemein Medienpräsenz, lenken die Aufmerksamkeit aber eher auf strategische als inhaltliche Fragen. Wem das eher nützt, ist aber ziemlich unklar.

Sole:
> Ich denke, dass Umfragen einen Einfluss haben, halte aber das wie
> und wieviel für nicht steuerbar.

Für die Masse ist eh eher entscheidend, wie sie interpretiert werden. Da gibt es ja einen sehr großen Spielraum.

Auf jeden Fall sind sie aber für taktische Wähler eine unverzichtbare Grundlage, und bei denen kann man schon positive oder negative Rückkopplungen ableiten, weil sie sich ja ziemlich rational verhalten. Insbesondere gibt es wenig Grund für Leihstimmen, wenn eine Partei oberhalb von 8% eingeschätzt wird, und unter 3% wird sie ziemlich unwählbar. Dafür sind exakte 5% sicher förderlich für die Mobilisierung.
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Philipp Wälchli
Veröffentlicht am Montag, 19. April 2004 - 16:08 Uhr:   

Im wesentlichen geht es um zwei denkbare Effekte: Mobilisierungseffekt und Anschluss an die siegreiche Seite. Der Mobiliserungseffekt ist ziemlich klar: Steht eine Partei in den Umfragen schlecht, dann kann dies zusätzliche Anhänger dieser Partei mobilisieren, umgekehrt kann der Mobilisierungseffekt bei einer Partei, die "gut" im Rennen liegt, dazu führen, dass manche potentielle Wähler sich die Wahlteilnahme sparen, weil sie meinen, ihre Partei schaffe es ja ohnehin. Solche Mobilisierungseffekte kennt man durchaus auch aus andern Bereichen, wie weit sie aber tatsächlich bei einer Wahl auftreten, ist schwierig zu quantifizieren. Unsicher ist schon einmal, wieviele potentielle und effektive Wähler überhaupt Umfragen zur Kenntnis nehmen.
Andere Einflüsse wirken sicher stärker, z. B. Nachrichten über die Wirtschaftslage, über angeblich geplante MAssnahmen einer Regierung bzw. Oppositionspartei, Skandale usw.
Ein anderer wesentlicher Effekte kann darin bestehen, dass sich Wähler der voraussichtlich siegreichenden Seite zuschlagen, um nicht zu den "Verlierern" zu gehören. Aber auch hier ist es schwer zu sagen, wie weit dies tatsächlich der Fall ist. In einem System z. B. mit offener Stimmabgabe in Versammlungen kann dieser Effekt aber nachweislich sehr stark wirken (das ist auch der Grund, weshalb geheime Stimmgebung zum weltweiten Standard gehört).
Wesentlich interessanter scheinen detaillierte Umfrageergebnisse darüber, was die Entscheidungen der Wähler beeinflusst. Die Wahlprogramme, Werbemassnahmen usw. werden ja in der Regel einige Zeit vor den Wahlen bestimmt, bisweilen Monate im voraus. Wenn nun aus den Umfragen hervorgeht, dass ein bestimmtes Thema die Wähler besonders beschäftigt, das vielleicht noch gar keine Rolle im Wahlkampf gespielt hat, und wenn nun eine Partei es versteht, kurzfristig auf dieses Thema einzugehen und auf diese Weise ein Politikfeld gleichsam zu monopolisieren, dann kann dies durchaus grosse Auswirkungen auf die Wahl haben - allerdings ist dies dann kein direkter Effekt der Umfragen mehr, sondern ein indirekter.
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Ralf Arnemann
Veröffentlicht am Montag, 19. April 2004 - 16:39 Uhr:   

@c07:
> Wenn man Wähler (und möglichst auch Nichtwähler) nach ihren Motiven
> befragt, ...
... können sie einem genauso Unsinn oder Lügen erzählen wie ohnehin bei politischen Umfragen.
Die Fehlerquote ist ja hier bekannt hoch, und bei Motivnachfragen etc. kann man nicht wie bei den nackten Prognosen selber mit den echten Ergebnissen als Erfahrungshintergrund nachgewichten.

Wobei man natürlich eine Menge Rückschlüsse ziehen kann (siehe etwa die Thesen von Noelle-Neumann). Aber wesentlich bleibt dabei (wie bei meinen eigenen Einschätzungen) die Erfahrung des Einschätzenden.

Da Wahlen eben immer singuläre, nicht-reproduzierbare Ereignisse sind, wird es nie einen Vergleich "Wahl X mit Prognose und ohne" geben können, an dem man die von uns allen hier vermutete Wirkung messen könnte.
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Ralf Arnemann
Veröffentlicht am Montag, 19. April 2004 - 16:45 Uhr:   

@Philipp:
> Im wesentlichen geht es um zwei denkbare Effekte: Mobilisierungseffekt
> und Anschluss an die siegreiche Seite.
Sehe ich auch so.
Wobei "Mobilisierung" wie von Dir beschriebenen auch De-Mobilisierung heißen kann (trifft auch bei 3%-Prognosen und 5%-Hürde oft ein).

Auch beim "Anschluß an die siegreiche Seite" gibt es einen (meistens wohl schwächeren) Gegeneffekt von Leuten, die grundsätzlich eher zum Widerspruch neigen.
Gerade bei recht sicheren Wahlergebnissen gibt es m. E. oft Wähler, die eigentlich dem Sieger zuneigen würden, aber dann doch denken "so fett muß das Ergebnis nicht sein".
Wäre interessant zu überlegen, ob dieser bzw. der entgegengesetzte Effekt in manchen Ländern stärker ausgeprägt ist (mehr Neigung zu Konformismus oder eben Opposition).

Der "Sieger"-Effekt ist aber wohl eindeutig der üblichere. Nicht umsonst versuchen alle Kandidaten vor der Wahl ihre Siegeszuversicht zu unterstreichen. Ich wüßte von keinem Politiker, der bewußt mal auf den underdog-Effekt gesetzt und dann auch gewonnen hat.
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c07
Veröffentlicht am Montag, 19. April 2004 - 17:57 Uhr:   

Ralf:
> ... können sie einem genauso Unsinn oder Lügen erzählen wie ohnehin
> bei politischen Umfragen.

Nach den Motiven darf man natürlich nicht direkt fragen. Das ist schon deshalb sinnlos, weil sie in der Regel zum größeren Teil unbewusst sind (zumindest bei den Spontanwählern, bei den anderen ist höchstens die Mobilisierungsfrage relevant). Aber man kann z.B. Parteien bzw. Personen nach bestimmten Kriterien bewerten lassen und das dann mit der tatsächlichen Wahlentscheidung vergleichen.

So wird es vermutlich eine relativ starke Korrelation zwischen der Einschätzung als "Siegertyp" und tatsächlicher Wahl geben. Sonst wär diese neuerdings äußerst beliebte Kategorie auch völlig sinnlos.
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Thomas Frings
Veröffentlicht am Mittwoch, 21. April 2004 - 12:06 Uhr:   

Naja, zu sehr "Siegertyp" zu sein kann auch nach hinten losgehen. 2002 galt Orban als sicherer Sieger in Ungarn und viele seiner Anhänger blieben zu Hause. Als nach dem ersten Wahlgang die Sozialisten völlig überraschend vorne lagen, konnte er im 2. Wahlgang zwar noch kräftig mobilisieren, gereicht hat es aber nicht mehr. Wäre die Wahlbeteiligung in der ersten Runde genauso hoch gewesen, wäre er Ministerpräsident geblieben.
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Bernhard Nowak
Veröffentlicht am Donnerstag, 22. April 2004 - 03:28 Uhr:   

Ich denke auch, man muss genau nach der Seriosität von Umfragen schauen. Bei der letzten Bundestagswahl war es ja zum Beispiel so, dass einige Umfrageinstitute im Sommer einen stabilen Vorsprung von Union und FDP voraussagten (etwa Allensbach oder Emnid), aber eben nicht darstellten, wie viele Wähler noch unentschlossen waren und zu welchem politischen Lager sie neigen würden.

Natürlich können gravierende Ereignisse in letzer Minute - siehe den Terroranschlag in Spanien, die offensichtliche Absicht der amtierenden damaligen konservativen Regierung, die ETA wider eigenes Wissen für die Anschläge verantwortlich zu machen und der daraufhin ausgelöste "Last Swing" zur sozialistischen Opposition, was zu deren Wahlsieg führte - zu einer Veränderung in der Landschaft führen.

Zu der im Thema angeschnittenen Frage kann ich für mich selber und zahlreiche weitere Bekannte sprechen. Wir alle sind parteilos, jedoch eher Sympathisanten der Grünen. Trotzdem haben wir bei der letzten Bundestagswahl SPD gewählt. Warum? Die Umfragen ließen - aus unserer Sicht - offen, ob die PDS ein drittes Direktmandat erringen und damit in Fraktionsstärke in den Bundestag zurückkehren würde. Wir befürchteten daher eine große Koalition. Zwar sahen Umfragen die SPD knapp vor der Union. Aufgrund der Äußerungen von Frau Däubler-Gmelin schien uns aber unsicher, ob die SPD ihren knappen Umfragevorsprung halten würde. Unser Kalkül war: wählen wir grün - wie eigentlich gewollt - könnten wir einen Unionskanzler Stoiber als Chef einer großen Koalition bekommen. Also wählten wir SPD, damit diese vor der Union ins Ziel ging, in einer großen Koalition also die SPD den Kanzler stellen würde. Die SPD blieb - äußerst knapp - stärkste Partei. Insofern ging das Kalkül auf.

Andererseits waren die Grünen stärker als in den Umfragen zuvor signalisiert worden war. Neben dem großen persönlichen Einsatz von Fischer scheint mir folgende Überlegung zahlreicher SPD-Anhänger eine Rolle gespielt zu haben: die Umfragen sahen kurz vor dem Urnengang die Möglichkeit einer SPD/FDP-Koalition. Diese sollte aus Sicht dieser Wähler verhindert werden. Sie wählten grün.

Insofern hat Ralf recht: man kann dies meines Erachtens nicht messen. Aber der Anteil der Wähler, die spontan entscheiden, ob sie a)wählen gehen oder nicht und b) was sie wählen, spontan am Wahltag oder erst in der Wahlkabine entscheiden (meine Entscheidung zur Wahl der SPD ist erst am Wahltag selbst gefallen), nimmt sicherlich zu. Insofern würde ich - aus persönlicher Erfahrung - sagen: Umfragen beeinflussen die Wahlentscheidung, aber nur, wenn ein knapper Wahlausgang prognostiziert wird, Wechselwähler also die Möglichkeit sehen, mit ihrer Stimme die Wahl zu beeinflussen. Wenn - wie beispielsweise in Bayern - die deutliche absolute Mehrheit der CSU schon lange feststeht - es wurde ja eine Zweidrittelmehrheit im Landtag - bleiben zahlreiche Wähler zu Hause, weil sie das Gefühl haben, ihre Stimme sei unwichtig und es sei unwichtig, wählen zu gehen.
Da aufgrund des stärkeren Anteils der jüngeren und der Wechselwähler stabile Mehrheiten in Zukunft wohl eher seltener werden, dürfte die Tendenz, dass Umfragen die Wahlen beeinflussen, zunehmen. Aber empirische Nachweise gibt es meines Wissens dafür nicht.
Also eine zwiespältige Antwort auf das Thema dieses Threads. Wie gesagt: bei mir haben Umfragen meine Wahlentscheidung beeinflusst - aber nur innerhalb des "Lagers" (hier: rot-grün) welches ich sowieso wählen wollte. Analoges dürfte für Wähler gelten, die zwischen Union und FDP entscheiden. Hamburg dürfte ein solcher Fall gewesen sein. Die dort prognostizierten Umfragen, die die Union bei der absoluten Mehrheit sahen, dürften kaum Unionswähler bewogen haben, FDP zu wählen. Sie dachten, ihre Stimme gehe verloren (da die FDP doch unter der Sperrklausel bleiben würde ("Sperrklauseldilemma")), wohl aber der Union evtl. unentschlossene Wähler - v.a. aus dem Lager derer, die vorher die Schill-Partei wählten - zugeführt haben.
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Niklas
Veröffentlicht am Donnerstag, 22. April 2004 - 10:33 Uhr:   

@Bernhard Nowak:

"Da aufgrund des stärkeren Anteils der jüngeren und der Wechselwähler stabile Mehrheiten in Zukunft wohl eher seltener werden, dürfte die Tendenz, dass Umfragen die Wahlen beeinflussen, zunehmen."

Auch wenn ich Ihrer Analyse weitgehend folge, glaube ich kaum, dass der Anteil der jüngeren Wähler in Zukunft noch zunehmen wird.

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