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Demokratie in Zeiten von Pandemien

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Wahlticker
Registriertes Mitglied
Veröffentlicht am Donnerstag, 19. März 2020 - 01:36 Uhr:   

Ich möchte mal einen Diskussions-Faden zu den aktuellen Entwicklungen eröffnen. Es stellen sich ja viele Fragen.

Wie können Wahlen in den verschiedenen Ländern noch durchgeführt werden, sind reine Briefwahlen nach den Gesetzen möglich, wie ja in Bayern für die Stichwahl der Kommunalwahl vorgesehen? Am interessantesten wird sicherlich die Wahl in den USA, wobei die so weit in der Zukunft liegt, dass nicht absehbar ist, wie die Lage dann sein wird.

Eine viel dringlichere Frage für viele Länder, und auch Deutschland, ist aber natürlich die Frage wie eine Legislative arbeiten kann. Das Grundgesetz sieht hier keine Regeln vor, der "gemeinsame Ausschuss" ist nur für den Verteidigungsfall vorgesehen, eine Grundgesetzänderung wäre erforderlich. Alterativ könnten die Fraktionen Vereinbarungen treffen, "freiwillig" nur noch in kleinen Gruppen im Bundestag zu erscheinen, so dass die Mehrheitsverhältnisse gewahrt bleiben. Eine Variante, die aber z.B. der AfD zu jeder Zeit eine Sperrminorität gegen jede Entscheidung einräumen würde, könnte doch die Beschlussfähigkeit immer angezweifelt werden. (Die selbe Waffe hätte natürlich auch jede andere Fraktion).

In Österreich, ist die Lage ähnlich verfahren, anscheinend kann sich das dortige Nationalrats-Präsidium bislang auf keinen Modus einigen.
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tg
Registriertes Mitglied
Veröffentlicht am Donnerstag, 19. März 2020 - 12:17 Uhr:   

Wahlen abzusagen ist natürlich eine Ultima Ratio, aber manchmal in Extremsituationen nicht zu vermeiden. Eine Möglichkeit, diesen schwerwiegenden Eingriff in die Demokratie abzufedern, könnte IMHO in einer Regelung bestehen, daß dies nur mit einer Allparteienregierung erlaubt ist.

Im Vereinigten Königreich gab es z.B. von 1935 bis 1945 keine Wahlen, allerdings eine Allparteienregierung.

In den USA ist die Situation eine andere, da dort die Amtszeiten auf keinen Fall verlängert werden können. Sollte das Covid-19-Problem im November noch bestehen, weiß ich nicht genau, was passieren würde. Als es 2000 zu den Auszählungs-Problemen in Florida kam, wurde diskutiert, ob die Legislativen des Einzelstaates die Wahlmänner bestimmen kann, wenn die Wahl durch das Volk technisch nicht möglich ist. Oder ob die Wahlmänner dann nicht gewählt werden, so daß mangels einer Mehrheit im Wahlmännerkollegium das Repräsentantenhaus den Präsidenten und der Senat den Vizepräsidenten wählen würde. Wobei im konkreten Pandemie-Szenario noch die Frage wäre, ob es überhaupt noch ein Repräsentantenhaus gäbe oder nur noch einen Senat mit 2/3-Besetzung.
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Holger81
Registriertes Mitglied
Veröffentlicht am Donnerstag, 19. März 2020 - 14:18 Uhr:   

@Wahlticker:
"Eine Variante, die aber z.B. der AfD zu jeder Zeit eine Sperrminorität gegen jede Entscheidung einräumen würde, könnte doch die Beschlussfähigkeit immer angezweifelt werden. (Die selbe Waffe hätte natürlich auch jede andere Fraktion). "

Diese "Sperrminorität" lässt sich einfach durch eine Änderung der Geschäftsordnung verändern, indem man das Quorum für die Beschlussfähigkeit abschafft oder absenkt. Das Grundgesetz macht schließlich keine Vorgaben zur Beschlussfähigkeit, sondern legt im Gegenteil in Artikel 42 nur fest:
"(2) Zu einem Beschlusse des Bundestages ist die Mehrheit der abgegebenen Stimmen erforderlich, soweit dieses Grundgesetz nichts anderes bestimmt."

Im Extremfall könnte demnach sogar ein einziger anwesender MdB gültige Beschlüsse fassen. ;-)

Tatsächlich gab und gibt es ja schon zahlreiche Bundestagsentscheidungen, die mit weniger als 50% anwesenden MdBs getroffen wurden, im Extremfall nur mit 30 anwesenden MdBs (mit stillschweigendem Ignorieren der mangelnden Beschlussfähigkeit durch alle Beteiligten).
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tg
Registriertes Mitglied
Veröffentlicht am Donnerstag, 19. März 2020 - 14:59 Uhr:   

Wäre es denkbar, daß eine Bundestagsdebatte so durchgeführt wird, daß jeder Abgeordnete per Video aus seinem Büro übertragen wird?

Und für eine Abstimmung würde jeder Abgeornete einzeln in den bis auf das Präsidium (deren Mitglieder schön Abstand voneinander halten) leeren Plenarsaal gerufen, wo er seinen Stimmzettel in die Urne wirft.
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Thomas Frings
Registriertes Mitglied
Veröffentlicht am Donnerstag, 19. März 2020 - 17:28 Uhr:   

Es sind schon Wahlen verschoben worden, mir fallen da die Kommunalwahlen in Vorarlberg und der Steiermark ein, auch die Wahl in Serbien wurde verschoben, ebenso das Referendum über die Parlamentsverkleinerung in Italien. In der Schweiz wurden die Landsgemeinden in Appenzell Innerrhoden und Glarus auf August bzw. September verschoben, da ist das Risiko ja auch weit größer als bei Wahlen an der Urne oder per Brief. Auch die Volksabstimmungen im Mai sollen verschoben werden, obwohl in der Schweiz ohnehin schon die große Mehrheit brieflich abstimmt.

Für irgendwelche Notstandsgesetze für Katastrophenfälle sehe ich keinen Bedarf, halte sie im Gegenteil für gefährlich. Man kann damit schnell rein politisch motiviert einen anderen angeblichen Notstand an den Haaren herbeiziehen, um Grundrechte oder die Demokratie auszuhebeln. Nach der Coronakatastrophe ruft die Politik wohl die Klimakatastrophe aus. Zudem ist die Frage, wann die Katastrophe anfängt und wann sie aufhört. Haben wir Stand heute eine Katastrophe in Deutschland? Und zählen die absehbar katastrophalen Folgen, wenn man die Wirtschaft länger als ein paar Wochen abwürgt, auch zur Katastrophe? Die werden ja länger anhalten.

Das Parlament hat schon einige Möglichkeiten, z. B. Sitzungen von vornherein weit nach hinten terminieren. Es lassen sich auch Absprachen treffen, dass nur ein Teil der Abgeordneten anwesend ist. Das GG kennt kein Anwesenheitsquorum für den Bundestag. Im Bundesrat kann bei nur 16 Abstimmungsteilnehmern plus Schriftführer jedes Land seine Stimmen abgeben.


"Wäre es denkbar, daß eine Bundestagsdebatte so durchgeführt wird, daß jeder Abgeordnete per Video aus seinem Büro übertragen wird?"
Aus dem Bundestag übertragen geht selbstverständlich und wird auch gemacht. Eine "virtuelle" Sitzung geht dagegen nicht. Es steht zwar nicht ausdrücklich im GG, aber das GG geht eindeutig von Präsenzsitzungen aus, am deutlichststen in Art. 43.
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tg
Registriertes Mitglied
Veröffentlicht am Sonntag, 22. März 2020 - 17:52 Uhr:   

In den USA steht ja im Moment die turnusmäßige Volkszählung an. Kann die denn planmäßig durchgeführt werden? Oder könnte es passieren, daß das Redistricting nicht rechtzeitig fertig wird und das Repräsentantenhaus 2022 noch mit den alten Wahlkreisen (gezogen entsprechend den Bevölkerungszahlen von 2010) gewählt werden muß?

Eine Präsidentenwahl wäre von einem ungeplant langen Census übrigens nicht betroffen. Dieses Jahr gelten sowieso noch die Werte von 2010, und bis 2024 wird man mit dem Census von 2020 wohl fertig sein.
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Hans Sabrowski
Registriertes Mitglied
Veröffentlicht am Sonntag, 22. März 2020 - 19:23 Uhr:   

Hallo Thomas Frings,
"Das GG kennt kein Anwesenheitsquorum für den Bundestag"

Die Geschäftsordnung schon:
https://www.bundestag.de/parlament/aufgaben/rechtsgrundlagen/go_btg/go06-245164
(dort unter § 45)
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Holger81
Registriertes Mitglied
Veröffentlicht am Sonntag, 22. März 2020 - 21:52 Uhr:   

Deswegen soll die Geschäftsordnung jetzt auch (wie von mir oben angeregt ;-)) geändert werden, um das Quorum vorübergehend auf 25% abzusenken:
Süddeutsche: "Parlament der leeren Sitze"

Das GG erwähnt zwar an zwei Stellen die "Beschlussfähigkeit" des Bundestags, definiert den Begriff aber nirgends. Nur in sehr wenigen Fällen wird explizit ein Zustimmungsquorum (meist "Mehrheit der Mitglieder") gefordert. Selbst eine Kanzlerwahl wäre im 3. Wahlgang ohne die vermeintliche "Kanzlermehrheit" möglich. Nicht jedoch absurderweise die aktuell geplante Notsituations-Ausnahme zur Schuldenbremse nach Artikel 115 (wie auch im verlinkten Artikel beschrieben):

"Im Falle von Naturkatastrophen oder außergewöhnlichen Notsituationen, die sich der Kontrolle des Staates entziehen und die staatliche Finanzlage erheblich beeinträchtigen, können diese Kreditobergrenzen auf Grund eines Beschlusses der Mehrheit der Mitglieder des Bundestages überschritten werden."

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