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Interessierter Unregistrierter Gast
| Veröffentlicht am Montag, 26. September 2011 - 14:17 Uhr: | |
Gerade wird ja über das negative Stimmgewicht bei Bundestagswahlen diskutiert. Allerdings scheint es auf Landesebene auch nicht viel besser auszusehen. Daher meine Frage: Bei welchen Landtagswahlsystemen ist negatives Stimmgewicht möglich (vielleicht sogar schon aufgetreten) und bei welchen nicht? |

Arno Nymus
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| Veröffentlicht am Dienstag, 27. September 2011 - 19:22 Uhr: | |
Die Landeswahlsysteme unterscheiden sich teilweise stark vom Bundeswahlrecht, so dass bei ihnen oft auch andere Wahl-Paradoxien bzw. NSG in anderen Formen auftreten. Ein Ueberlick ueber verschiedene Formen des negativen Stimmgewichtes findet sich hier: http://www.wahlrecht.de/systemfehler/index.html Insbesondere werden dort folgende Formen des negativen Stimmgewichtes angesprochen: (1) durch interne Ueberhangmandate: [1] Bund, BW, BE, RP (2) durch Sonderstellung von Sperrklausel-Parteien: [2] BW,HE,MV,NI,NW,RP,ST,TH (3) durch merkwuerdige Ausgleichsregelung: [3],[4] BW, NI, BE (4) durch erschoepfte Teillisten: [5] Bund, BW, BE, RP (5) durch Hare-Niemeyer: [6] BY, BE, BB, HE, MV, ST, TH Bund: (1), (4) BW: (1), (2), (3), (4) BY: (5) BE: (1), (3), (4), (5) BB: (5) HE: (2), (5) MV: (2), (5) NI: (2), (3) NW: (2) RP: (1), (2), (4) ST: (2), (5) TH: (2), (5) Kein negatives Stimmgewicht tritt bei den Landtagswahlen in in HB, HH, SN, SH und SL* auf. Die Liste erhebt keinen Anspruch auf Vollstaendigkeit, insbesondere bei den frueher geltenenden Wahlgesetzen gab es teilweise noch weitere Moeglichkeiten fuer negatives Stimmgewicht. * Das Auftreten von Ueberhangmandaten ist im Saarland nicht explizit geregelt, insofern ist hier eine potentielle Quelle negativen Stimmgewichtes. [7] [1] http://www.wahlrecht.de/ueberhang/ueberhangmandat.html [2] http://www.wahlrecht.de/systemfehler/sperraus.htm [3] http://www.wahlrecht.de/systemfehler/ausgleichsmandat.html [4] http://www.wahlrecht.de/systemfehler/internerausgleich.htm [5] http://www.wahlrecht.de/systemfehler/erschoepfte-teilliste.html [6] http://www.wahlrecht.de/systemfehler/index.html#hare [7] http://www.wahlrecht.de/landtage/saarland.htm |

Thomas Frings
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| Veröffentlicht am Dienstag, 27. September 2011 - 20:45 Uhr: | |
Wobei aber Variante 4 sehr theoretisch ist (noch nie seit Gründung der Bundesrepublik konnte ein Sitz in einem Bundes- oder Landtag wegen zu wenig Kandidaten nicht besetzt werden und die Piraten in Berlin haben eine Landesliste) und Variante 2 praktisch nicht ausgenutzt werden kann - zumindest nicht ohne großes Risiko. Hare/Niemeyer kann für sich niemals zu negativem Stimmgewicht führen, das kann nur im Zusammenhang mit einer Ausgleichsregelung geschehen. Das "Sperrklauselparadoxon" ist praktisch unmöglich, weil das nur mit sehr geringer Sitzzahl auftreten kann. "Zu viele" Direktmandate können bei jedem Wahlrecht mit Ausgleichsmandaten schaden. Aber das ist nicht vorhersehbar. |

Ratinger Linke
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| Veröffentlicht am Dienstag, 27. September 2011 - 22:27 Uhr: | |
Bei Ausgleichsregelungen können nicht nur zu viele Direktmandate schaden, sondern auch zu viele Zweitstimmen, und zwar nicht nur bei überhängenden Parteien. Zusammen mit D'Hondt kann das auch zu einer systematischen Schlechterstellung führen, weil die verzerrende Wirkung mit zunehmender Parlamentsgröße abnimmt. Die Frage ist halt, ob man das als negatives Stimmengewicht bezeichnet. Ob es vorhersehbar oder gar ausnutzbar ist, spielt jedenfalls keine Rolle. Bei Nach- und Wiederholungswahlen ist es aber potenziell vorherseh- und ausnutzbar, wie jedes andere negative Stimmengewicht auch. Besserstellung von ausgesperrten Parteien ist seitens eines einzelnen Wählers unter derzeit praktisch herrschenden Bedingungen nicht ausnutzbar, seitens der Parteien aber prinzipiell schon, insbesondere wenn sie ihren Wählern eine Alternative für die Zweitstimme anbieten. Hare/Niemeyer allein hat zwar kein negatives Stimmengewicht, aber außer Ausgleich gibts noch diverse andere Möglichkeiten, die zusammen mit Hare/Niemeyer dazu führen können. Bei kleiner Sitzzahl kann schon eine Sperrklausel ausreichen. Wirklich frei von negativem Stimmengewicht ist wohl nur Bremen, wo aber Stimmen an einen Bewerber dazu führen können, dass dieser nicht gewählt wird (ohne dass es der Partei insgesamt schadet). Beim tatsächlichen Auftreten ist die Frage, was man damit bezeichnen will; es handelt sich ja immer nur um Hypothesen. Wenn man einfach schaut, ob man ausgehend von einem Wahlergebnis durch zusätzliche Stimmen bei einer einzelnen Liste deren Ergebnis verschlechtern kann (oder umgekehrt), tritt zumindest das ausgleichsbedingte relative Stimmengewicht sicher regelmäßig auf, wenn es Überhang gibt. |

Interessierter Unregistrierter Gast
| Veröffentlicht am Dienstag, 27. September 2011 - 22:54 Uhr: | |
Vielen Dank für die Zusammenstellung! [Ironie ein] Das freut mich aber, dass ich in BW wahlberechtigt bin... [Ironie aus] Wenn man allerdings mitgekriegt hat, wie wenig sich die Parteien für Wahlmathematik interessieren (wie in der Debatte zum Bundeswahlgesetz erkennbar war), muss man froh sein, dass immerhin 4 bzw. 5 (mit SL) Landtagswahlrechte NSG-frei sind... Soweit ich das überblicken kann, wird ein großer Teil der Hare-Niemeyer-NSGs durch das Direktmandatsparadoxon verursacht, dies scheint in BE, BB, HE, MV, ST und TH wohl so zu sein. In BY sollte das nicht möglich sein (keine Direktbewerber), dies scheint dann wohl auf das Alabama-Paradoxon im Zusammenhang mit einer Ausgleichsregelung und auf das Sperrklauselparadoxon herauszulaufen. Das Sperrklauselparadoxon ist meiner Meinung nach in BY nicht praktisch unmöglich, da die Sitze bezirksweise verteilt werden. Daher 1. werden pro Bezirk nur wenige Sitze verteilt (z.B. in Oberfranken nur 17) und 2. kann eine Partei A, die landesweit nahe der 5%-Hürde ist, in einem Bezirk nur einen geringen Bruchteil (z.B. 1%) haben. Dann funktioniert die Situation wie hier beschrieben: http://www.wahlrecht.de/verfahren/paradoxien/minderheitenpartei.html. Eine kleine Partei B hätte einen Vorteil, wenn die Kleinstpartei A mitberechnet wird, obwohl sie keinen Sitzanspruch hat. B könnte sich also selbst schaden, wenn sie die Partei A (z.B. durch eine Stimme in einem anderen Bezirk) unter die landesweiten 5% drückt. |

Ratinger Linke
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| Veröffentlicht am Mittwoch, 28. September 2011 - 00:24 Uhr: | |
Im Wesentlichen wird das Hare-Niemeyer-bedingte negative Stimmengewicht durch Ausgleich ausgelöst. Im Prinzip funktioniert das nicht anders als das normale negative Stimmengewicht bei Ausgleich, bloß dass er zusammen mit Hare/Nimeyer nicht nur einen relativen, sondern auch einen absoluten Sitzverlust verursachen kann. Sehr relevant ist das bei Landtagen nicht, weil vom Alabamaparadoxon hauptsächlich sehr kleine Parteien betroffen sind, die schon von der Sperrklausel eliminiert werden. In Bayern ist es aber bei den Bezirkstagen äußerst relevant (seit der jüngsten Wahlrechtsänderung). Bei Hare/Niemyer kann prinzipiell alles negatives Stimmengewicht verursachen, was zu variabler Sitz- oder Stimmenzahl in der Verteilung führt. Dass schon bei ganz normalem Hare/Niemeyer eine Partei, die Stimmen an eine andere Partei verliert, von eben dieser einen zusätzlichen Sitz erhalten kann, könnte man auch schon als negatives Stimmengewicht bezeichnen, ist aber in der üblichen Sichtweise keins. Beim Beispiel mit den bayrischen Wahlkreisen (Bezirken) wird die betroffene Partei praktisch (aber nicht zwingend) in den anderen Wahlkreisen mehr profitieren, als sie verliert. Wobei es natürlich auch hier eine reine Definitionsfrage ist, was genau man als negatives Stimmengewicht betrachtet und was nicht. |

Arno Nymus
Registriertes Mitglied
| Veröffentlicht am Mittwoch, 28. September 2011 - 17:42 Uhr: | |
Thomas Frings schrieb Hare/Niemeyer kann für sich niemals zu negativem Stimmgewicht führen, das kann nur im Zusammenhang mit einer Ausgleichsregelung geschehen. Lesen Sie sich bitte den bei Hare/Niemeyer angegebenen Link durch (in dem Post, auf den Sie antworteten), damit Sie erkennen, dass Ihre Aussage falsch ist. |
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