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iwiwiwm
| Veröffentlicht am Mittwoch, 23. Juni 2004 - 13:37 Uhr: | |
Weiß jemand, was passiert, wenn in Baden-Württemberg in einer Gemeinde mit unechter Teilortswahl in einem Wohnbezirk ein Kandidat einer Liste ausscheidet, diese Liste aber keinen Nachrücker in diesem Wohnbezirk hat? Verfällt dieser Sitz dann? |
c07
| Veröffentlicht am Mittwoch, 23. Juni 2004 - 14:13 Uhr: | |
§ 31 GemO legt nahe, dass sie im Allgemeinen nicht besetzt werden, wenn es keine Ersatzperson gemäß KomWG gibt. Allerdings werden auf jeden Fall die Gemeinderäte, die auf einem Ausgleichsmandat sitzen, auch aus einem anderen Wohnbezirk ersetzt. Eine Ungleichbehandlung nach normalen und Ausgleichsmandaten erscheint mir aber nur schwer zu rechtfertigen sein. Explizit geregelt ist der Fall offenbar nicht, und ich weiß auch nicht, wie es in der Praxis gehandhabt wird. |
thilo
| Veröffentlicht am Montag, 02. August 2004 - 18:26 Uhr: | |
Der GemO-Kommentar zu §31,Rand-Nr.11, sagt: "Ist ein Sitz der Erstzuteilung duch Nachrücken zu besetzen,...; steht in diesem Wohnbezirk kein Ersatzmann mehr zur Verfügung, bleibt der Sitz unbesetzt." Also das normale Mandat ("Direktmandat") bleibt in diesem Fall unbesetzt |
Mörsberg
| Veröffentlicht am Dienstag, 03. August 2004 - 13:28 Uhr: | |
Also ein weiteres Argument für eine Mindestgröße von Teilortswahlkreisen. Zwar dürfen im Ein-Sitz-Teilort auch zwei Kandidaten aufgestellt werden, aber das geht zu Lasten der übrigen Teilorte und wird deswegen nicht oft gemacht. Damit ist das Risiko, dass die Liste bei Ausscheiden des Gewählten erschöpft ist, unverhältnismäßig hoch. |
thilo
| Veröffentlicht am Dienstag, 03. August 2004 - 15:54 Uhr: | |
@Mörsberg.Deine Auffassung, dass zwei Kandidaten im Ein-Sitz-Teilort zu Lasten der übrigen Teilorte gehen, geht in die falsche Richtung. Zu beobachten ist,dass sich in Ein-Sitz-Teilorten die Listen mit 2 Kandidaten oftmals ins eigene Fleisch schneiden. Denn: Gibt ein Wähler z.B. je 3 Stimmen an beide Listen-Kandidaten dieses Teilorts, dann sind alle 6 Stimmen ungültig, da nur ein Kandidat gewählt werden kann.Trotz dieses hohen Risikos ungültiger Stimmen stellen viele Listen trotzdem 2 Kandidaten auf, weil für die Erlangung des Direktmandats zwei Kandidaten unter Umständen mehr Stimmen zusammen in die Waagschale werfen können als ein Kandidat. Zur Mindestgröße von Teilortswahlkreisen: Wenn schon Unechte Teilortswahl, dann sollte die Mindestgröße bei 4 oder 5 Sitzen liegen. Noch besser wäre es allerdings, die unechte Teilortswahl gleich ganz abzuschaffen. |
Martin Fehndrich
| Veröffentlicht am Dienstag, 03. August 2004 - 22:16 Uhr: | |
Eine Nachteil der Teilortswahl ist auch, daß die Bewohner des großen Hauptortes die Kandidaten im kleinen Teilort praktisch bestimmen können und so die ganze Teilortswahl ad absurdum geführt wird. |
Mörsberg
| Veröffentlicht am Freitag, 06. August 2004 - 15:20 Uhr: | |
> Zur Mindestgröße von Teilortswahlkreisen: Wenn schon Unechte > Teilortswahl, dann sollte die Mindestgröße bei 4 oder 5 Sitzen > liegen. Wieso gleich so viel? Man bedenke bitte, dass die Soll-Gesamtgröße der Gemeinderäte meist so um die 20 Sitze oszilliert. Das Risiko, dass alle Sitze an eine Liste gehen, was, wenn es mehrfach vorkommt, am Ende ja der häufigste Grund für Überhang ist, ist schon bei Dreierwahlkreisen auch mit d'Hondt gering genug (ergibt dann meistens CDU 2, FWV 1 oder umgekehrt bzw. CDU 1, FWV 1, SPD oder Grüne 1). > Noch besser wäre es allerdings, die unechte Teilortswahl gleich > ganz abzuschaffen. Diese Haltung finde ich nun arg destruktiv. Nur weil das System einige Mängel enthält, muss man es doch nicht gänzlich abschaffen. Der größte Mangel ist die fehlende Evaluierung. Einige Fehlentwicklungen wären wahrscheinlich recht leicht zu korrigieren. > Eine Nachteil der Teilortswahl ist auch, daß die Bewohner des > großen Hauptortes die Kandidaten im kleinen Teilort praktisch > bestimmen können Ja, aber auch umgekehrt. Genau das war nämlich die Absicht dieses Verfahrens, nämlich erstens eine garantierte Sitzzahl für einzelne Teilorte, aber zweitens ein Modus, der das Zusammenwachsen von Großgemeinden eher befördert statt behindert. |
Martin Fehndrich
| Veröffentlicht am Freitag, 06. August 2004 - 21:45 Uhr: | |
>> Eine Nachteil der Teilortswahl ist auch, daß die Bewohner des >> großen Hauptortes die Kandidaten im kleinen Teilort praktisch >> bestimmen können >Ja, aber auch umgekehrt. Genau das war nämlich die Absicht >dieses Verfahrens, nämlich erstens eine garantierte Sitzzahl >für einzelne Teilorte, aber zweitens ein Modus, der das >Zusammenwachsen von Großgemeinden eher befördert statt behindert. Der garantierte Sitz muß aber nicht an einen Kandidaten gehen, der seine Stimme aus dem Teilort erhält. |
thilo
| Veröffentlicht am Sonntag, 08. August 2004 - 14:45 Uhr: | |
Die unechte Teilortswahl hat einen einzigen Vorteil: Dem Teilort wird ein bestimmte Anzahl von Sitzen im Gesamtgemeinderat garantiert.Demgegenüber sehe ich fast nur Nachteile. Nachteil Nr.1: Die Bewohner eines Teilorts können nur einen kleineren Teil ihrer Stimmen auf Kandidaten ihres Teilorts verteilen.Die übrigen Stimmen können nur auf andere Teilorte verteilt werden - in der Regel profitiert von dieser Regel der größte Teilort, oftmals auch Kernstadt genannt. Dagegen können Wähler aus der Kernstadt meistens alle ihre Stimmen auf Kernstadt-Kandidaten verteilen - ohne auf die Teilorte ausweichen zu müssen. Letztendlich führt dies dazu, dass der überwiegende Teil der Ausgleichsmandate auf die Kernstadt fällt.Insofern wird der Vorteil (garantierte Sitzzahl für jeden Teilort)durch die Verteilung der Ausgleichsmandate wieder relativiert. Nachteil Nr.2: Die Zahl der komplett ungültigen Stimmzettel beträgt oftmals bis zu 5%. Die Zahl der Fehlstimmen (teilweise ungültige Stimmen und nicht ausgeschöpfte Stimmen)kann bis zu weiteren 20% betragen).Bei einer Abschaffung der unechten Teilortswahl ließen sich diese Effekte stark reduzieren. |
c07
| Veröffentlicht am Sonntag, 08. August 2004 - 16:06 Uhr: | |
Mir scheinen auch die Nachteile deutlich zu überwiegen, aber mit ein paar Korrekturen könnte man das Verfahren zumindest akzeptabel machen: Mindestgröße der Teilorte von etwa 3 Sitzen, vernünftiges Zuteilungsverfahren (Sainte-Laguë) und Gleichbehandlung bei den Häufelmöglichkeiten, entweder durch Wegfall des Häufelmaximums oder durch feste Stimmverteilungsvorgaben für alle. Letzteres könnte zwar den unerwünschten Nebeneffekt haben, dass die kleinen Teilorte praktisch fremdbestimmt sind, aber wenn man das einseitig vermeiden will, wär es ehrlicher und einfacher, dass die Sitze der kleinen Teilorte auch formal nur dort bestimmt werden, während für den Hauptort alle wählen, wobei die Wähler aus den kleinen Teilorten entsprechend weniger Stimmen hätten. Wenn man auch dem großen Teilort ein paar private Sitze gönnt und aus dem Rest einen gemeinsamen Pool macht, funktioniert es auch noch mit mehreren großen Teilorten. |
Martin Fehndrich
| Veröffentlicht am Sonntag, 08. August 2004 - 21:45 Uhr: | |
Wegen der Fremdbestimmtheit, bin ich eher für verbundene Listen a la Bundestagswahlrecht und den Verzicht auf die festen Teilortsitze. |
Mörsberg
| Veröffentlicht am Montag, 09. August 2004 - 11:31 Uhr: | |
> Wegen der Fremdbestimmtheit, bin ich eher für verbundene Listen > a la Bundestagswahlrecht und den Verzicht auf die festen > Teilortsitze. Das hätte bei starren Teilortsgrenzen u.U. den Nachteil, dass bei Listen mit geringerem Stimmenanteil die Bewerber aus dem größten Teilort systematisch im Voerteil sind. Denkbar wäre allerdings, dass die Listen jeweils selbst eine Gebietseinteilung individuell festlegen könnten, auf deren Grundlage die Sitze unterverteilt werden. |
c07
| Veröffentlicht am Montag, 09. August 2004 - 12:16 Uhr: | |
Martin, Mörsberg: Dann bleibt allerdings nichts mehr von der Teilortswahl übrig, womit man sich gleich Gedanken über ein Wahlsystem völlig unabhängig vom Bestand machen könnte. Wenn die unechte Teilortswahl tatsächlich nur für eine Übergangszeit bis zum Zusammenwachsen der neuen Gemeinden konzipiert war, wär das inzwischen allerdings eh eine Überlegung wert. In kleinen Teilorten werden die kleinen Listen immer benachteiligt sein, wenn man nicht umgekehrt gezielt die größeren Teilorte (oder auch Listen) benachteiligt. Bei kleinen Sitzzahlen muss man immer irgendwo Abstriche machen. Gleichzeitig Partei- und Regionalproporz brauchbar zu erfüllen ist da einfach technisch nicht mehr möglich. Im Prinzip ist das bei den Bundestagswahlkreisen nicht anders, wo kleine Parteien kaum eine Chance auf ein Direktmandat haben. |
Mörsberg
| Veröffentlicht am Montag, 09. August 2004 - 15:13 Uhr: | |
> Dann bleibt allerdings nichts mehr von der Teilortswahl übrig, Das ist wohl richtig. Ich wollte auch in erster Linie nur Martin darauf hinweisen, dass sein Vorschlag einige Probleme ungelöst ließe. > womit man sich gleich Gedanken über ein Wahlsystem völlig > unabhängig vom Bestand machen könnte. Wenn man die Aufgabestellung weit fasst, kommt man automatisch dahin, weil es dann heißt "Suchen Sie eine Alternative zum bestehenden System der UTW, wobei deren Vorzüge erhalten bleiben sollen." > Wenn die unechte Teilortswahl tatsächlich nur für eine > Übergangszeit bis zum Zusammenwachsen der neuen Gemeinden > konzipiert war Ausdrücklich war das nicht darauf angelegt, das hätte in der Phase der Gebietsreform auch für zuviel Unruhe gesorgt. Praktisch gibt es aber Fälle, dass UTW-Gemeinden zwischenzeitlich zum Einheitswahlkreis übergegangen sind, z.B. Tübingen. Was man vermutlich aber nicht so leicht findet, ist eine Übersicht über diese Fälle und ob es auch Fälle umgekehrter Richtung gibt. Zu Deinen Korrekturvorschägen: > Mindestgröße der Teilorte von etwa 3 Sitzen, Plausibel, weil Hauptgrund für große Überhänge. > vernünftiges Zuteilungsverfahren (Sainte-Laguë) Ich meine, dass ich in einem anderen Thread meine Zweifel gegenüber der Annahme belegen konnte, man könne durch einen Wechsel von d'Hondt nach Sainte-Laguë viel erreichen. Die wichtigste Voraussetzung der Konsistenz erfüllen beide Verfahren. Die Entscheidung zwischen Abrundung und Standardrundung ist vorwiegend unter inhaltlichen Aspekten zu treffen, weniger unter technischen. > Gleichbehandlung bei den Häufelmöglichkeiten, entweder durch > Wegfall des Häufelmaximums Zwar ist die Höhe des Häufelmaximums willkürlich gewählt, doch die völlige Abschaffung ist wegen des Stimmenfängereffektes auch sehr problematisch, solange es im Grundsatz bei der Listenwahl bleibt. > oder durch feste Stimmverteilungsvorgaben für alle. Klingt irgendwie besser, aber man müsste anhand einiger Szenarien halt mal durchspielen, was sich dadurch ändern wird. |
c07
| Veröffentlicht am Montag, 09. August 2004 - 19:26 Uhr: | |
Mörsberg: > Ich meine, dass ich in einem anderen Thread meine Zweifel gegenüber > der Annahme belegen konnte, man könne durch einen Wechsel von d'Hondt > nach Sainte-Laguë viel erreichen. Bezüglich der Vermeidung von Ausgleichsmandaten schon. Aber ich halt d'Hondt auch sonst für einen Mangel. Richtig ist allerdings, dass es vertretbar ist, wenn man die Erfolgswertgleichheit niedriger einstuft als die Vermeidung von Listenspaltungen. Das Häufelmaximum muss man nicht unbedingt ganz aufheben. Für die Gleichbehandlung würd es schon reichen, wenn es bei jeder Teilortsliste möglich ist, ihr alle Stimmen zu geben. |
Martin Fehndrich
| Veröffentlicht am Montag, 09. August 2004 - 20:34 Uhr: | |
@Mörsberg, c07 >Dann bleibt allerdings nichts mehr von der Teilortswahl übrig Doch, im Teilort kandidieren die Teilortlisten der Parteien. Die Zahl der Sitze für Kandidaten eines Teilortes hängt dann davon ab, wieviel Stimmen auf die Listen entfallen und die Fremdbestimmtheit fällt weg. Das Problem ist natürlich der Rundungsfehler, der bei einem Teilort, dem rechnerisch ein Sitz zustünde, schon ins Gewicht fällt. Eine Gebietseinteilung der Parteien selber, wär da schon eine Alternative. Wenn man das weiterspinnt, könnten wie in einigen Schweizer Kantonen, von Teilorten völlig unabhängige Teillisten (Junge-Alte, Männer-Frauen, Kurz-Weitsichtige) antreten. |
c07
| Veröffentlicht am Montag, 09. August 2004 - 22:21 Uhr: | |
Ok, ich hab mich schlampig ausgedrückt. Es bleibt dann nichts mehr von der unechten Teilortswahl übrig. Ein gewisses Maß an Fremdbestimmtheit ist ja offenbar ein durchaus gewolltes Charakteristikum davon. Das Problem ist nur, das so zu regeln, dass es weder in absolute Fremdbestimmtheit umschlägt, noch dass es krasse Ungleichbehandlung der Teilorte zur Folge hat. Je stärker die Größe der Teilorte differiert, desto unmöglicher wird das. Bisher hab ich gedacht, dass es in der Praxis halbwegs funktioniert, weil die Wähler der größeren Teilorte die Möglichkeit haben, ausschließlich ihre eigenen Abgeordneten zu wählen, während nur die der kleineren Teilorte gezwungen sind, auch an die anderen Stimmen zu verteilen. Die sind aber zu wenig, um größere Teilorte zu majorisieren. Allerdings kann diese Überlegung nur für Wähler stimmen, die überhaupt von ihren Häufelmöglichkeiten Gebrauch machen. Wer einen Stimmzettel unverändert abgibt, wählt ja alle Teilorte nach deren Gewicht. Damit ist anzunehmen, dass die kleinen Teilorte momentan tatsächlich weitestgehend fremdbestimmt sind. Relativiert wird das nur dadurch ein bisschen, dass sich diese Fremdwähler bezüglich der Personenwahl praktisch enthalten. Deshalb haben die Teilorte immerhin noch listenintern eine relativ freie Wahl. Man müsste das wirklich mal im Detail untersuchen. Die Konsequenz wär eigentlich, dass eine halbwegs große Partei, deren Wähler häufig einen unveränderten Stimmzettel abgeben, die kleinen Teilorte ziemlich beherrschen kann. Nach den üblichen Vorurteilen müsste also die SPD die kleinen Teilorte dominieren. Warum passiert das in der Praxis nicht oder nur selten? Je länger ich drüber nachdenk, desto unklarer wird mir der Sinn hinter der Sache. Ich bin mir auch nicht sicher, wie viel davon Absicht und wie viel Zufall ist. Eine ganz gehörige Portion Fremdbestimmtheit ist aber anders als mit Absicht kaum zu erklären. Vielleicht geht es auch mehr um die Wahl an sich als symbolischen Akt, und das Ergebnis ist eigentlich egal, abgesehn von der Oberverteilung und den Mindestmandaten der Teilorte. Dann gäb es tatsächlich nicht viel zu verbessern. |
Martin Fehndrich
| Veröffentlicht am Montag, 09. August 2004 - 23:32 Uhr: | |
Die Fremdbestimmtheit fällt natürlich nicht weiters auf, wenn Wähler in den Teilorten im Großen und Ganzen das selbe wählen (vermutlich der Regelfall). Bei deutlich unterschiedlichen Mehrheiten wird dann im Teilort ein Kandidat gewählt, der seine Stimmen nicht aus seinem, sondern den anderen Teilorten erhält. Bei dem Vorschlag verbundene Teilortslisten wär das anders. Wenn eine Teilortsliste Stimmen aus anderen Teilorten erhält, wär sie halt entsprechend stärker, wenn sie keine Stimmen, nicht mal aus dem eigenene Teilort, erhält schwächer. Und wenn dann in einem Teilort keiner gewählt würde, kann man sich dort auch nicht beschweren (vielleicht ein Indiz, daß die Integration geglückt ist). |
iwiwiwm
| Veröffentlicht am Dienstag, 10. August 2004 - 10:14 Uhr: | |
@c07: "Man müsste das wirklich mal im Detail untersuchen. Die Konsequenz wär eigentlich, dass eine halbwegs große Partei, deren Wähler häufig einen unveränderten Stimmzettel abgeben, die kleinen Teilorte ziemlich beherrschen kann. Nach den üblichen Vorurteilen müsste also die SPD die kleinen Teilorte dominieren. Warum passiert das in der Praxis nicht oder nur selten?" Ganz einfach. Da die kleinen Teilorte (wie der Name schon sagt) klein sind, haben sie oft noch eine bäuerliche Struktur und sind traditionell CDU- Wahlerschaft. Nebenbei sind die meisten Gemeinderäte aus den kleinen Teilorten Landwirte. Abgesehen davon: Wer von Euch ist aus Baden- Württemberg? |
Mörsberg
| Veröffentlicht am Dienstag, 10. August 2004 - 12:00 Uhr: | |
In der Praxis ist es in UTW-Gemeinden eher äußerst selten, dass die Stimmzettel unverändert abgegeben werden. Die Gründe dafür liegen auf der Hand: Wer den Stimmzettel unverändert abgibt, verschenkt praktisch immer Stimmen, weil der Fall, dass eine Liste in jedem Teilort exakt die der Sitzzahl entsprechende Anzahl von Kandidaten aufstellt, fast nie eintritt. Da die UTW zudem in eher kleinen Gemeinden angewandt wird, ist der Bekanntheitsgrad der einzelnen Kandidaten verhältnismäßiig hoch, so dass man meistens schon durch Häufeln auf sechs oder sieben Leute, die man selbst gut kennt, alle Stimmen los wird. Das ist vermutlich auch der Normalfall. Die mittelgroßen Parteien (SPD, Grüne, örtlich auch FDP) sind in stark zerstückelten Gemeinden fast nie in jedem Dorf präsent - die CDU auch nicht generell. Und wenn deren Kandidaten primär wegen ihrer Parteizugehörigkeit gewählt werden (am häufigsten wohl bei den Grünen der Fall, sichtbar auch bei der SPD, weniger bei der FDP), ist wegen der ungleichmäßigen Verteilung eher zu vermuten, dass die Wähler auf alle Kandidaten in der vorgegebenen Reihenfolge solange drei Stimmen häufeln, bis alle Stimmen untergebracht sind. Oder man gibt erstmal jedem Kandidaten eine Stimme, und was noch übrig ist, wird an die Spitzenkandidaten gehäufelt. Die These hinsichtlich der SPD geht in Baden-Württemberg nicht auf, weil die SPD in den kleineren Gemeinden sehr schwach verankert ist. |
Martin Fehndrich
| Veröffentlicht am Dienstag, 10. August 2004 - 12:35 Uhr: | |
Ist es denn schon vorgekommen, daß in einem Teilort ein Kandidat entgegen der Teilortmehrheit gewählt wurde? |
Mörsberg
| Veröffentlicht am Dienstag, 10. August 2004 - 15:13 Uhr: | |
> Ist es denn schon vorgekommen, daß in einem Teilort ein Kandidat > entgegen der Teilortmehrheit gewählt wurde? Es ist sogar anzunehmen, dass das regelmäßig vorkommt. Ein sehr schönes Beispiel kann hier bestaunt werden. Die beiden großen Wählergemeinschaften hatten im Teilort 003 keine Kandidaten aufgestellt (da wollte wohl niemand), wohl aber die grünnahe Liste "KLUB" und die CDU. Deren insgesamt vier Bewerberinnen erreichten zusammen aber nur 36,4% aller im Teilort abgegebenen Stimmen - sieht man, wenn man "Gesamtergebnis (Ergebnisse in den einzelnen Wahlbezirken)" anklickt. Ich verbitte mir im Übrigen Kommentare zur Adresse des örtlichen Wahllokals. > Die Fremdbestimmtheit fällt natürlich nicht weiters auf, wenn > Wähler in den Teilorten im Großen und Ganzen das selbe wählen > (vermutlich der Regelfall). Bei deutlich unterschiedlichen > Mehrheiten wird dann im Teilort ein Kandidat gewählt, der seine > Stimmen nicht aus seinem, sondern den anderen Teilorten erhält. Obiges Beispiel zeigt nun, dass die Mehrheit der Wähler aus Teilort 003 die Fremdbestimmung durch die UTW sehr wohl in Kauf genommen haben. Es zeigt aber auch, dass diese Fremdbestimmung deswegen gerechtfertigt ist, weil sie immer auf Gegenseitigkeit beruht, und zwar aus der Perspektive des einzelnen Wählers. Denn dadurch, dass der größte Teil der Wähler aus Teilort 003 nachweislich gar keine Kandidaten aus dem eigenen Dorf gewählt und damit in überproportionalem Umfange das Ergebnis in den anderen Teilorten fremdbestimmt hat, lassen sie erst die Fremdbestimmung ihres eigenen Teilortes zu. Umgekehrt kommt die scheinbare grüne Zweidrittelmehrheit im Teilort 003 natürlich erst durch Stimmen aus den anderen Teilorten zustande, was aber umgekehrt das grüne Ergebnis in den anderen Teilorten beeinträchtigt. Nebenbei half die komische Konstellation hier ungemein, die Zahl der notwendigen Ausgleichssitze gering zu halten. |
c07
| Veröffentlicht am Dienstag, 10. August 2004 - 17:54 Uhr: | |
Martin: > Ist es denn schon vorgekommen, daß in einem Teilort ein Kandidat > entgegen der Teilortmehrheit gewählt wurde? Wenn das Konzept der unechten Teilortswahl einen Sinn hat, müsste die Frage eher lauten, wie häufig ein Kandidat entgegen der Teilortsmehrheit gewählt wird. Wenn es so gut wie nie vorkommen würde, könnte man sich den Aufwand, das zu ermöglichen, sparen. Insbesondere dürften die kleinen Teilorte regelmäßig die hinteren Plätze der großen Teilorte umsortieren. Mörsberg: > Wer den Stimmzettel unverändert abgibt, verschenkt praktisch immer Stimmen Das muss man aber erst mal wissen. Wenn schon die Zahl der ungültigen Stimmen ein Problem ist, spricht das eigentlich gegen die weite Verbreitung von solchem Spezialwissen. Gibt es wo konkrete Zahlen? > Deren insgesamt vier Bewerberinnen erreichten zusammen aber nur > 36,4% aller im Teilort abgegebenen Stimmen Insbesondere hat es für 19,3% beide Sitze gegeben. Da kommt aber noch ein ziemlich krasser d'Hondt-Grenzfall dazu. > Obiges Beispiel zeigt nun, dass die Mehrheit der Wähler aus Teilort 003 > die Fremdbestimmung durch die UTW sehr wohl in Kauf genommen haben. Netto hat der Teilort 1990 Stimmen von 5077 verloren. Das sind erst 39%. Man müsste dazu die genaue Stimmenverteilung kennen. Jedenfalls heißt das, dass die verbliebenen (und eingewanderten) Stimmen relativ wertvoll werden. Bezüglich der Personenwahl wird dieses erhöhte Gewicht direkt wirksam und insgesamt ist es im Allgemeinen eine Quelle von Überhangmandaten. |
Mörsberg
| Veröffentlicht am Mittwoch, 11. August 2004 - 13:09 Uhr: | |
> Insbesondere dürften die kleinen Teilorte regelmäßig die hinteren > Plätze der großen Teilorte umsortieren. Und genau das ist gewollt. Denn so werden die Kandidaten belohnt, die in mehreren Teilorten Zuspruch finden. > > Wer den Stimmzettel unverändert abgibt, verschenkt praktisch immer Stimmen > Das muss man aber erst mal wissen. Wenn schon die Zahl der > ungültigen Stimmen ein Problem ist, spricht das eigentlich gegen > die weite Verbreitung von solchem Spezialwissen. Ich wär da nicht so pessimistisch und glaube im Gegenteil, dass ein großer Teil der Wähler sogar die taktischen Möglichkeiten berücksichtigt. Um beim Beispiel zu bleiben: Von allen Stimmen für grüne Kandidaten entfielen 22% auf Kandidatinnen aus Teilort 003, dem nur 10% der garantierten Sitze zustehen. Damit hat der durchschnittliche Grün-Wähler (panaschierbereinigt) 4,4 Stimmen in den Teilort 003 vergeben. Das deutet darauf hin, dass ein Großteil dieser Leute hier gleich 2x3 oder 3+2 Stimmen vergeben hat. Darunter waren sicher auch einige, die das in Kenntnis der Kandidatenlage und des Wahlsystems aus der Motivation heraus gemacht haben, so möglichst die Stimmen für beide Sitze im Teilort zusammenzubringen - und damit eventuell sogar einen Überhang zu erreichen, denn der nächste Sitz im Teilort 001 wär ja auch an die Grünen gegangen. Man muss berücksichtigen, dass die Beteiligung ja sehr niedrig sind, wodurch diejenigen, die sich dann noch beteiligen, in der Regel überdurchschnittlich informiert sind. > Insbesondere hat es für 19,3% beide Sitze gegeben. Die zwei Sitze hat es eben nicht für die 19,3% der Stimmen aus dem Teilort gegeben, sondern für die 66,9% der Stimmen für die Kandidatinnen des Teilorts. > Da kommt aber noch ein ziemlich krasser d'Hondt-Grenzfall dazu. Umgekehrt (1:1) hätte es auch nicht mehr Ausgleichssitze gegeben. Es wäre bei CDU und Grünen nur jeweils eine Person ausgetauscht worden. > Netto hat der Teilort 1990 Stimmen von 5077 verloren. Gemessen daran, dass die Wählervereinigungen (man kann auch den Singular verwenden, hier handelt es sich um eine rein technische Trennung) nicht vertreten waren, ist das doch noch glimpflich. Aber der Ansatz, das so zu rechnen, ist schon mal gut. Problematisch wird das halt dadurch, dass der Idealanspruch des Teilorts nur 1,52 von 20 Sitzen (gerechnet nach Wahlberechtigten) beträgt. > insgesamt ist es im Allgemeinen eine Quelle von Überhangmandaten. Und im konkreten Beispiel wirkt es zufällig genau entgegengesetzt. |
c07
| Veröffentlicht am Mittwoch, 11. August 2004 - 15:18 Uhr: | |
Mörsberg: > Die zwei Sitze hat es eben nicht für die 19,3% der Stimmen aus > dem Teilort gegeben, sondern für die 66,9% der Stimmen für die > Kandidatinnen des Teilorts. Schon klar, dass die Berechnung so läuft. Wenn man sich aber auf den theoretischen Standpunkt stellt, dass die eigenen Mandate jeweils eigenbestimmt sein müssten, stellt man eben fest, dass das hier eindeutig nicht der Fall ist (wobei natürlich bei einer abgeschlossenen Wahl im Teilort keine Stimmen an nicht kandidierende Listen gehen könnten). |
Mörsberg
| Veröffentlicht am Mittwoch, 11. August 2004 - 15:59 Uhr: | |
> Wenn man sich aber auf den theoretischen Standpunkt stellt, dass > die eigenen Mandate jeweils eigenbestimmt sein müssten ... dann muss man die Unechte Teilortswahl prinzipiell ablehnen. Man kann es doch einfach so sehen. Die Mehrheit der Wähler des Teilortes 003 hat der Minderheit plus Wählern aus anderen Teilorten die Entscheidung über die Sitze des eigenen Dorfes überlassen. Statt dessen sind die Stimmen an Bewerber aus den anderen Teilorten gegangen - vermutlich überwiegend in den Teilort 001, die haben denselben Pfarrer. Damit haben sie unter anderem erreicht, dass die beiden letzten Sitze im Teilort 001 an die Wahlvorschläge FWV und UWV gingen und nicht an die Grünen, die erst an Position 12 wieder drangewesen wären. Und damit war das also eine vollkommen rationale Entscheidung und zeigt, dass aus Sicht eines einzelnen Wählers jede erdenkliche Einflussmöglichkeit gewahrt bleibt. |
Martin Fehndrich
| Veröffentlicht am Mittwoch, 11. August 2004 - 22:09 Uhr: | |
@Mörsberg Wenn man die Häufelbegrenzung beachtet, kann man so viele Stimmen gar nicht im Dorf lassen. Die CDU im Teilort 003 wär selbst mit gehäufelten Stimmen aller Wähler im Teilort auf Stimmen anderer Wähler angewiesen um das Mandat zu gewinnen. |
thilo
| Veröffentlicht am Donnerstag, 12. August 2004 - 11:53 Uhr: | |
@mörsberg,martin,c07:Klingt alles sehr theoretisch. Was ich raushöre, dass niemand so richtig glücklich ist über die UTW. Aber vom Gesetzgeber(Landtag Ba-Wü) ist keine Hilfe zu erwarten. Die letzte wesentliche Änderung bei der UTW ist vor 25 Jahren erfolgt.Kein Wunder, dass viele Gemeinden in Ba-Wü zur Selbsthilfe greifen und die UTW duch einfachen Gemeinderatsbeschluß (Satzungsänderung)gleich ganz abgeschafft haben.UNd jedes Jahr gibt es ein paar Gemeinden mehr, die für sich die UTW abschaffen.So richtig verstehen tut die UTW doch niemand mehr - sehr oft weder die Wähler noch die Kandidaten selber. Aber auch die Spezialisten hier im Forum haben offenbar unterschiedliche Ansichten vom Sinn und Zweck der UTW. Frage: gibt es eine Perspektive hinsichtlich der generellen Abschaffung oder eine grundlegende Reform der UTW? |
Mörsberg
| Veröffentlicht am Donnerstag, 12. August 2004 - 13:23 Uhr: | |
@ Martin: > Die CDU im Teilort 003 wär selbst mit gehäufelten Stimmen aller > Wähler im Teilort auf Stimmen anderer Wähler angewiesen um das > Mandat zu gewinnen. Weil sie nur eine Kandidatin für zwei Sitze aufgestellt hatte. Die Gestaltungsmöglichkeiten eingefleischter CDU-Anhänger sind bei acht Kandidaten für 20 Sitze natürlich sehr gering. Man kann auch leicht nachrechnen, dass da viel panaschiert wurde (vor allem mehr als bei den Grünen) und die von Dir geforderten Stimmengewinne somit nicht gerade unwahrscheinlich gewesen wären, sonst lägen die Ergebnisse der einzelnen Bewerber dichter beieinander. @ thilo: > Kein Wunder, dass viele Gemeinden in Ba-Wü zur Selbsthilfe greifen > und die UTW duch einfachen Gemeinderatsbeschluß (Satzungsänderung) > gleich ganz abgeschafft haben. In den meisten betroffenen Gemeinden ist das wahrscheinlich der Ärger über die Überhang- und Ausgleichssitze. Wenn aus geplanten 22 Gemeinderäten 30 werden, wirds schnell eng im sparsam geplanten Sitzungssaal. Unbefriedigend ist halt, dass die Alternative nur zwischen dem gegenwärtigen Modus der UTW und ihrer völligen Abschaffung besteht. > Frage: gibt es eine Perspektive hinsichtlich der generellen > Abschaffung oder eine grundlegende Reform der UTW? Davon ist mir nichts bekannt. Einige spekulieren vielleicht darauf, dass sich das Modell dank der von Dir beschriebenen Prozesse totläuft. |
Mörsberg
| Veröffentlicht am Donnerstag, 12. August 2004 - 15:41 Uhr: | |
Ich empfehle übrigens, einfach mal "unechte teilortswahl" in eine Suchmaschine einzugeben und dann die gelieferten Fundstücke zu genießen. Tatsächlich ist unsere Debatte ein wenig praxisfern. Folgende nicht wahlrechtstheoretische Argumente, die überliefert sind: - resigniert und rechenschwach: immer wieder die vielen Ungültigen - pragmatisch I: zu große Schwierigkeiten, in jedem TO Kandidaten zu finden (vgl. auch im Beispiel Dörnach) - pragmatisch II: Teilorte sind so stark zusammengewachsen, dass der Unterschied von außen eh nicht mehr auffällt. - schwäbisch: mögliche Kosteneinsparungen durch Verkleinerung des Gremiums und sei es nur durch Wegfall des Überhangs. - misstrauisch: deren Gegenpole, die meinen, ein zu kleiner Gemeinderat freue vor allem eine wenig kontrollfreudige Verwaltung. - identitätsbewusst: die Beibehalter eben, die argwöhnen, bei den Abschaffern handele es sich doch meist um Reigschmeckte. - idealistisch: die bedeutende Funktion des jeweiligen Teilortgemeinderates wird betont. - leistungsorientiert: dem sei jedoch entgegenzuhalten, dass Leute mit großem Engagement ohnehin keine Probleme hätten, gewählt zu werden. - funktional: für die Vertretung der Ortschaften seien schließlich deren Ortschaftsvertretungen zuständig. - strategisch: Auffallend häufig sind die stärksten Befürworter der UTW meistens Angehörige der stärksten Partei oder Wählervereinigung, also jener Gruppierung, die den Überhang erst verursacht. Umgekehrt halten die anderen sie um so mehr für entbehrlich. Besonders schön ist der Fall des Ortschaftsrates von Balingen-Frommern, der sich einerseits für die Abschaffung der UTW für den Stadtrat von Balingen aussprach (wo Frommern mit fünf Garantiesitzen gegenüber dem Idealanspruch schlecht wegkommt), andererseits jedoch für die Wahl des Ortschaftsrates die UTW beibehalten möchte (Ortschaftsrats-UTW ist also auch noch möglich!). Das Auszählverfahren ist außer bei uns hier nie ein Thema. Nach gegenwärtigem Stand wird die UTW noch in über der Hälfte aller Gemeinden (ca. 600) praktiziert. |
Martin Fehndrich
| Veröffentlicht am Donnerstag, 12. August 2004 - 18:48 Uhr: | |
@ Mörsberg Aber selbst bei der anderen Liste ist die Häufelmöglichkeit und damit die Stimmen, die im Teilort bleiben können, begrenzt. D.h. an einem guten Teil Fremdbestimmtheit kommt man nicht vorbei, vor allem in kleinen Teilorten. Nehmen wir als Beispiel einen Einsitz Teilort (Hechingen - Teilort 003 Beuren) http://www.wahlen.rz-kiru.de/417031g.htm Hier haben die Teilortler (grob genauso wie im Gemeindeschnitt) CDU,FWG,SPD mit 42%,32%,18% gewählt. Gewählt im Teilort wurde aber der SPD Kandidat (mindestens 2/3 seiner Stimmen von anderen Teilorten). Hier stellt sich doch wirklich die Frage, was soll der garantierte Sitz für den Teilort, wenn der Sitz dann durch eine Minderheit außerhalb des Teilortes gegen die Teilortsmehrheit bestimmt wird. |
Mörsberg
| Veröffentlicht am Donnerstag, 12. August 2004 - 21:32 Uhr: | |
@ Martin: Es ist doch in Hechingen dasselbe Muster der Gegenseitigkeit wie in Pliezhausen: Die SPD-Stimmen in Beuren fehlen den SPD-Kandidaten aus den anderen Teilorten. Außerdem hat man sich auch in diesem Fall wieder ein Überhangmandat gespart. Die SPD kann nichts dafür, wenn einer ihrer prominentesten und beliebtesten Leute nun ausgerechnet mal in einem kleinen Teilort wohnt. |
c07
| Veröffentlicht am Freitag, 13. August 2004 - 00:21 Uhr: | |
Es wird halt nur der Sitz garantiert, aber nicht, dass man auch selber bestimmen könnte, wer drauf sitzt. Auf Gegenseitigkeit beruht es nur teilweise. Ob wer anders einen gewissen Einfluss oder die alleinige Entscheidungsmacht hat, ist schon eine andere Qualität. Das Hauptproblem ist dabei aber wieder, dass 1-sitzige Teilorte einfach zu klein sind, um alle Anforderungen auch nur halbwegs erfüllen zu können. |
iwiwiwm
| Veröffentlicht am Freitag, 13. August 2004 - 00:24 Uhr: | |
@Martin: >Hier haben die Teilortler (grob genauso wie im Gemeindeschnitt) CDU,FWG,SPD mit 42%,32%,18% gewählt. Gewählt im Teilort wurde aber der SPD Kandidat (mindestens 2/3 seiner Stimmen von anderen Teilorten). Hier stellt sich doch wirklich die Frage, was soll der garantierte Sitz für den Teilort, wenn der Sitz dann durch eine Minderheit außerhalb des Teilortes gegen die Teilortsmehrheit bestimmt wird. Es ist ja gerade der Sinn der UTW, daß alle Wähler in allen Stimmbezirken mitentscheiden!! |
Martin Fehndrich
| Veröffentlicht am Freitag, 13. August 2004 - 10:59 Uhr: | |
@iwiwiwm Das Mitentscheiden ist hier allerdings schon Fremdbestimmt und es sind nicht die Wähler aller Stimmbezirke, sondern nur eine Minderheitsgruppe von Wählern anderer Stimmbezirke. @Mörsberg Klar, die SPD kann nichts dafür, aber was hat der Teilort nun vom garantierten Sitz, wenn der an einen Kandidaten einer Minderheitspartei (sowohl in der Gemeinde, als auch im Teilort selbst) geht? |
Thomas Frings
| Veröffentlicht am Freitag, 13. August 2004 - 19:10 Uhr: | |
"Das Mitentscheiden ist hier allerdings schon Fremdbestimmt und es sind nicht die Wähler aller Stimmbezirke, sondern nur eine Minderheitsgruppe von Wählern anderer Stimmbezirke." Diese angebliche Fremdbestimmung ist vom Gesetzgeber eindeutig gewollt, wie schon andere erwähnt haben. Ich weiß auch nicht, was schlimm daran sein soll, wenn alle Wähler bei allen Kandidaten mitentscheiden können, das ist in den Gemeinden ohne UTW auch so. Die UTW hat aber einige Nachteile, die hier ja schon erwähnt wurden. Insnbesondere werden kleinere Teilorte de facto nicht schützt sondern in Verbindung mit d'Hondt benachteiligt, vor allem, wenn es in der GEmeinde einen Hauptort gibt, der alle anderen bei weitem überragt. In einem Beispiel, daß ich mir angesehen habe, gab es einen Teilort mit 11 regulären Sitzen und 9 Sitze für weitere sechs Teilorte, darunter vier mit nur einem Sitz. Letzlich bekam der Hautort 15 der 25 Sitze, und das obwohl nicht mal die Hälfte der gültigen Stimmen abgegeben wurden. In den kleineren Teilorten gibt es zudem oft sehr wenig Auswahl. Ein deutlicher Nachteil ist auch, daß die Zahl der Ratssitze erbeblich schwanken kann, Überhangmandate sind jedenfalls so gut wie sicher. DIe UTW kann getrost abgeschafft werden, die Parteien werden schon im eigenen Interesse die Kandidaten einigermaßen über die Gemeinde verteilen und gerade Kandidaten aus kleineren Teilorten sich auch über diesen hinaus bekannt machen wollen. |
Mörsberg
| Veröffentlicht am Samstag, 14. August 2004 - 12:10 Uhr: | |
Immer diese Extrembeispiele (die Argumentation kommt mir vielfach so vor wie bei der Flussschifffahrt). Erstmal noch was zur Historie, das ich zwischenzeitlich herausgefunden hab: Die UTW gab es bereits vor den großen Gebietsreformen in den 60ern und 70ern. Sie hat damals auch kaum Probleme bereitet, denn meistens waren es nur zwei Teilorte, die gegeneinander auszutarieren waren, was dann zu unproblematischen Konstellationen wie 9:5 oder 11:7 führte. Es gab damals noch keine Ausgleichssitze. Erst als nach der Verwaltungsreform sehr viele Gemeinden nach dem Muster "großer Hauptort, mehrere kleine Teilorte" auch die UTW einführten, stellte man fest, dass das Gesamtresultat als reine Summe aus den Einzelergebnissen nicht mehr den Grundsätzen der Verhältniswahl entspricht - welch Wunder bei Einerwahlkreisen. Daraufhin wurde für 1980 die Ausgleichsregel eingeführt. Diese führte dann zu den bekannten Erhöhungen der Sollmandatszahl, wozu auch die buntere politische Landschaft (Grüne, Frauenlisten usw.) ihren Teil beitrug. Blauäugig wie man damals war, dachte man, einen Großteil des Problems dadurch in den Griff zu bekommen, dass man den UTW-Gemeinden größere Flexibilität in der Festlegung der Sollgröße einräumte. Dass die Einsitzteilorte ein Problem an sich sind, erwähnt in dieser Deutlichkeit nie jemand. Hechingen ist nun ein geradezu exzellentes Beispiel, um die möglichen Auswirkungen einer Teilortsmindestgröße unter Beibehaltung der UTW zu demonstrieren. 2004 fielen da bei vier Listen und neun TO-WK (16-2-2-1-1-1-1-1-1) sechs Ausgleichssitze an (3 FWV, 2 SPD, 1 FDP). Wenn man jetzt eine Mindestgröße von drei Stitzen je TO-WK festlegt, sich ansonsten eine halbwegs sinnvolle geographische Einteilung zum Ziel setzt, könnte man auf folgendes Muster kommen (für die Sollgröße habe ich den Spielraum wieder voll ausgeschöpft, also auf 26 Sitze): A: Hechingen (16 Sitze) B: Stetten (3 Sitze) C: Beuren, Boll, Schlatt (3 Sitze) D: Bechtoldsweiler, Sickingen, Stein, Weilheim (4 Sitze) Gegenüber Stetten ist diese Einteilung sehr großzügig (Idealanspruch 2,43 Sitze), aber unter Berufung auf Hare/Niemeyer durchaus möglich. Sainte-Laguë würde den letzten Sitz an A geben, und dann müsste man auch B und C noch zusammenschmeißen. Rechne ich jetzt die jeweiligen Stimmenzahlen für die Parteien einfach zusammen, so ergäbe das folgendes (Rf. jew. CDU-FWV-SPD-FDP): A: 6-5-4-1 B: 1-1-0-1 C: 1-1-1-0 D: 3-1-0-0 Gesamt: 11-8-5-2 Es würde dann noch genau ein Ausgleichssitz vergeben, nämlich für die SPD, Endstand 11-8-6-2. D'Hondt und Sainte-Laguë ergeben dasselbe Ergebnis, wie auch die hybride Variante mit Standardrundung unten und Abrundung oben. Es wird jetzt schwer, darüber noch herumzumeckern und man sieht, dass es auch andere sinnvolle Wege als "abschaffen" geben kann, um bestehende Mängel zu beheben. Der fragliche SPD-Bewerber aus Beuren ist übrigens amtierendes Mitglied im Kreistag Zollernalb gewesen (der einzige für die SPD aus Hechingen), was vielleicht einen erhöhten Bekanntheitsgrad erklären könnte. Der Aberwitz hinsichtlich dem (deutlich kleinsten) Teilort Beuren erhöht sich noch, wenn man bedenkt, dass er allein gerade mal auf einen Idealanspruch von 0,24 Sitzen kommt. Die bestehende Regel lässt diese Extremfälle zu leicht zu. Ferner stimmt es eben auch nicht, dass die UTW immer zu Ausgleissitzen führt. Ich hab mal von Hechingen aus ein paar Kilometer nach Osten geschaut und landete in Sonnenbühl, Kreis Reutlingen. Unechte Teilortswahl mit 18 Sitzen und drei Listen (alles Wählervereinigungen). Die Sollaufteilung beträgt 5-5-4-4 und es überrascht nicht, dass es in diesem weitgehend ausgewogenen Verhältnis exakt aufging. Neben dem Größenverhältnis Hauptort vs. einzelner Teilort spielt auch noch eine Rolle, dass man sich in Baden-Württemberg gerne am Ideal des mittelgroßen oder großen dicht bebauten Haufendorfes orientiert, am liebsten auch noch durch Suburbanisierung erweitert. Dieser Siedlungstyp ist zwar weit verbreitet und besonders rund um Stuttgart vorherrschend, aber in Gegenden wie Oberschwaben, Hohenlohe (Weiler, wenig Suburbanisierung) oder Schwarzwald (Einzelhöfe) bereitet es halt Probleme, wenn man die kleinen Flecken so behandelt, als seien auch sie Haufendörfer. |
c07
| Veröffentlicht am Samstag, 14. August 2004 - 12:57 Uhr: | |
Mörsberg: > Ferner stimmt es eben auch nicht, dass die UTW immer zu Ausgleissitzen führt. Man muss aber immer damit rechnen. Selbst wenn es nirgends spezielle Ursachen dafür gibt, kann es noch ziemlich leicht passieren, dass die Rundungen einfach nicht aufgehn. Wenn man ihre Zahl begrenzen will, wird d'Hondt in der Unterverteilung fast zur Notwendigkeit, selbst wenn man in der Oberverteilung ein gerechtes Verfahren verwendet (vorausgesetzt, dass es keine Teilorte mit nur einem Sitz mehr gibt). |
Mörsberg
| Veröffentlicht am Samstag, 14. August 2004 - 13:12 Uhr: | |
Ich frag mich, ob vielleicht nicht sogar eine so flexible Lösung denkbar wäre, die die Entscheidung zwischen d'Hondt und Sainte-Laguë erst dann auf Gemeindeebene treffen lässt, sobald man errechnet hat, welches Verfahren die Mandatszahl im konkreten Fall weniger erhöht. Dann würde bei eher großen Listen als Überhangverursarchern nach d'Hondt oberverteilt und bei kleinen überhangverursachenden Listen nach Sainte-Laguë. |
Thomas Frings
| Veröffentlicht am Samstag, 14. August 2004 - 16:31 Uhr: | |
@Mörsberg Hört sich vernünftig an, kann aber zu negativem Stimmgewicht führen. Eine Mindestgröße für Teilorte ist hingegen sinnvoll. Überhangmandate treten natürlich nicht in jedem Fall auf, aber nur unter glücklichen Umständen gibt es keine. |
Martin Fehndrich
| Veröffentlicht am Samstag, 14. August 2004 - 17:15 Uhr: | |
Thomas, im Beipiel sind es aber nicht alle Wähler, sondern eine Minderheitengruppe, die den Teilortkandidaten bestimmt. Die UTW garantiert halt einem Teilort einen Sitz für irgendeinen ihrer Kandidaten, der von irgendwelchen Wählern der Gesamtgemeinde bestimmt wird. Aber hier wird interesssant, was vom Gesetzgeber bei der UTW beabsichtigt war, und was für einen Nach-/Vorteil es für einen Teilort bedeutet? Die Problematik mit dem mehrfach parallel angewandten d'Hondt und den Überhangmandaten seh ich allerdings nicht als eigentliches UTW Problem. Das Problem könnte man durch ein sinnvolleres Zuteilungsverfahren zumindest reduzieren. |
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